Atmosphärenflüsse wirken auf die Polarregionen | Polarjournal
Atmosphärenflüsse sind nicht leicht zu erkennen. Aber manchmal ist der Transport von Wasserdampf aus dem Ozean in den Himmel ein Zeichen für die Kraft dieser Flüsse. Bild: Michael Wenger

Atmosphärenflüsse sind aus verschiedenen Teilen unseres Planeten bekannt; ihre Auswirkungen könnten jedoch in den Polarregionen noch bedeutender sein. Sie werden als lange und konzentrierte „fließende Gürtel“ aus Wasserdampf in der Atmosphäre beschrieben. Diese transportierte Feuchtigkeit kann aus verschiedenen Regionen stammen, aber außertropische Tiefdruckgebiete spielen eine wichtige Rolle bei ihrer Entstehung. Solche Atmosphärenflüsse können extrem groß sein und die Menge an Wasserdampf mit sich führen, die mit der Wassermenge eines großen Flusses verglichen wird. Wenn sie das Land erreichen, steigen die Luftmassen auf und geben Wasser in Form von Niederschlägen wie Schnee oder Regen ab.

Forscher verwenden verschiedene Instrumente zur Untersuchung von Atmosphärenflüssen, darunter Flugzeuge, Radar, Satelliten und weitere Geräte. Außerdem arbeiten Wissenschaftler an der Sammlung von Daten über Atmosphärenflüssen, um Wetter- und Klimamuster besser zu verstehen und Modelle und Vorhersagen erstellen zu können. Früher glaubte man, dass Atmosphärenflüsse in der Regel die Regionen zwischen den Tropen und den Polen beeinflussen, doch heute deuten Beobachtungen darauf hin, dass sie auch direkte Auswirkungen auf die Polarregionen haben.

Auswirkungen auf die Polarregionen

Wissenschaftlichen Beobachtungen zufolge werden Atmosphärenflüsse in den kalten Gebieten immer häufiger auftreten. So ist der polwärts gerichtete Feuchtigkeitstransport mit dem wiederholten Einströmen von Tiefdruckgebieten in die arktische Region verbunden, wodurch regionale hydrologische Ereignisse beeinflusst werden. Mit dem Klimawandel und dem Auftreten extremer Wetterbedingungen wird auch die Menge des in die Atmosphärenflüsse aufsteigenden Wasserdampfes voraussichtlich zunehmen.

Nordostgrönländische Gletscher wie der Elefantenfußgletscher werden durch Atmosphärenflüsse zum Schmelzen gebracht. Bild: Urs Stoller

Jüngste Daten zeigen, dass die zunehmende extreme Schmelze in Nordostgrönland höchstwahrscheinlich durch solche Flüsse von Wasserdampf verursacht wird. Interessant ist, dass in diesem Gebiet in der Nähe von niedrig gelegenen Auslassgletschern 50-75 % der extremen Schmelze unter dem Einfluss von Atmosphärenflüssen stattfindet. Zusammen mit den Winden tragen die atmosphärischen Flüsse dazu bei, dass der Feuchtigkeitsgehalt in dem Gebiet infolge des Klimawandels zunimmt.

Eine weitere negative Auswirkung der Atmosphärenflüsse im Norden ist mit der geringeren Erholung des Meereises verbunden. Es scheint, dass Atmosphärenflüsse mehr Wärme aus niedrigeren Breitengraden in die Arktis bringen, sogar im Winter. Es wird gezeigt, dass dieser Effekt in der Barents-Kara-See und der zentralen Arktis bis zu 34 % des Rückgangs der Meereisbedeckung ausmachen kann. Darüber hinaus können atmosphärische Flüsse, z. B. aus Sibirien, über Kaltluftgebiete, die über dem Meereis liegen, hinaufgleiten und dadurch verschiedene Atmosphärenschichten aufheizen (siehe Abbildung). Diese Ereignisse haben Auswirkungen auf die arktische Region – auf das Meereis und die marinen Ökosysteme.

Die Antarktis scheint auch nicht so stark isoliert und vor den Auswirkungen der Flüsse von Wasserdampf geschützt zu sein. Es wird vermutet, dass Atmosphärenflüsse die gleichen negativen Auswirkungen (wie in der Arktis) auf das Meereis im Südlichen Ozean haben, allerdings ist die Entstehung dieses Phänomens bei geringer Inlanddurchdringung im Süden nicht häufig. In der Westantarktis haben sie jedoch eine doppelte Auswirkung – sowohl auf den Niederschlag (Schneefall) als auch auf die Oberflächenschmelze. In diesem Teil des Gebiets verursachen sie intensive Niederschläge in kurzen Zeiträumen und machen 11 % der jährlichen Oberflächenakkumulation aus. Gemäss Satellitendaten von 2019 waren in der Westantarktis bis zu 41 % des Schneehöhenwachstums auf mehrere extreme Niederschlagsereignisse zurückzuführen, darunter auch inlandgerichtete Atmosphärenflüsse. Atmosphärische Flüsse als subtropische Feuchtigkeitsquellen können eine anomal hohe Schneeakkumulation in der Ostantarktis verursachen, die für das Verständnis der Entwicklung des gesamten antarktischen Eisschildes und der Auswirkungen des Klimawandels auf diesen wichtig ist. Ausserdem können atmosphärische Flüsse zusammen mit Windereignissen zu einem extrem trockenen Klima in der Ostantarktis beitragen, da die intensive Sublimation von Schneefall dort zu fast keinem Niederschlag am Boden führen kann.

Eine Reihe von Studien hat die Auswirkungen der atmosphärischen Flüsse auf die Arktis (links) und sogar auf die Antarktis (rechts) gezeigt. Insbesondere das Meereis wird von den atmosphärischen Flüssen beeinflusst und beeinflusst. Grafiken: Komatsu et al. (2018) / Wille et al. (2022)

Rolle beim Verständnis globaler Prozesse

Atmosphärenflüsse scheinen ein Schlüsselelement im globalen Wasserkreislauf zu sein, und sie spielen eine wichtige Rolle bei vielen natürlichen Prozessen auf dem Weg von ihren Ursprungsorten zu den Polarregionen. Jüngste Erkenntnisse zeigen, wie groß das Spektrum ihrer Auswirkungen auf die lokalen Wetterbedingungen und Niederschläge sein kann. Das Phänomen der atmosphärischen Flüsse ist noch nicht vollständig erforscht, aber das derzeitige Wissen ermöglicht die Entwicklung von Anwendungsbereichen. Zu den wichtigsten Möglichkeiten gehören die Bewertung von Prognosen zum Klimawandel und die Analyse extremer globaler Ereignisse. Die Polarregionen werden häufiger von Atmosphärenflüssen getroffen, die in diesen abgelegenen Gebieten neue Extremereignisse verursachen. Um genaue Klimaprojektionen zu entwickeln und die Vorhersagefähigkeiten zu verbessern, müssen die Wissenschaftler mehr Daten über atmosphärische Flüsse sammeln, vor allem in Gebieten mit geringem menschlichen Einfluss, wie in den Polarregionen.

Dr. Ekaterina Uryupova ist Senior Fellow am Arctic Institute. Sie hat in den Polarregionen als Forscherin und Polarführerin gearbeitet. Ihre Fachgebiete sind der Klimawandel, marine Ökosysteme, Fischerei und Umweltpolitik.

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