Grönlandwale sind kaum anfällig für Krebs | Polarjournal
Kaltes Wasser scheint eines der Geheimnisse für ein langes, gesundes Leben der Grönlandwale zu sein. Foto: Heiner Kubny

Grönlandwale scheinen über einen DNA-Reparaturmechanismus zu verfügen, der dem anderer Säugetiere überlegen ist. Das könnte erklären, weshalb die großen Wale 200 Jahre und länger leben.

Ein langes Leben und bis ins hohe Alter gesund bleiben — wer wünscht sich das nicht? Grönlandwale scheinen im Laufe ihrer Evolution die richtige Formel dafür gefunden zu haben. Sie sind die am längsten lebenden Säugetiere und erkranken offenbar nur sehr selten an Krebs. Ein Forschungsteam unter der Leitung der University of Rochester hat jetzt entschlüsselt, wie es die Tiere schaffen, ein so hohes Alter zu erreichen. 

Bei großen Tieren mit einer langen Lebensdauer und einer höheren Anzahl von Zellen und Zellteilungen ist davon auszugehen, dass sie im Laufe ihres Lebens eine große Anzahl an DNA-Mutationen anhäufen. Eigentlich würde man erwarten, dass diese zu einer höheren Krebsinzidenz und einer kürzeren Lebensspanne führen als bei kleinen Tieren. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ein Phänomen, das als Peto-Paradoxon bezeichnet wird. Um zu verhindern, dass die Mutationen bei großen Tieren wie Grönlandwalen Krebs oder andere altersbedingte Krankheiten auslösen, müssen die Tiere also über besonders effektive genetische Mechanismen verfügen.

Ein solcher Mechanismus ist die Tumorsuppression, die allerdings nicht ausreicht, um die Entstehung von Krebszellen in langlebigen Tieren effektiv und dauerhaft zu verhindern.  Was bei Grönlandwalen den Unterschied macht, sind präzisere und effizientere Reparaturmechanismen von sogenannten DNA-Doppelstrangbrüchen (DSB), wie das Forschungsteam in Experimenten mit Fibroblasten, Bindegewebszellen, herausgefunden hat. Die Forschenden identifizierten zwei Proteine, RPA2 und CIRBP, die maßgeblich zu der präzisen Reparatur der DSB beitragen. 

DNA-Doppelstrangbrüche bei Grönlandwalen werden anders als zum Beispiel beim Menschen mittels der beiden Proteine RPA2 und CIRBP mit sehr hoher Genauigkeit repariert. Grafik: Firsanov et al. 2023

Der Studie zufolge, für die das Peer-Review noch aussteht, könnte die Strategie der Wale, bei der Zellen nicht unnötig vernichtet, sondern repariert werden, entscheidend sein für ein langes und krebsfreies Leben. Andere Arten verfügen nicht über diese Art von DNA-Reparatur.

Kommt es in Zellen zu Brüchen in der DNA, «stehen sie vor der Wahl zwischen verschiedenen Schicksalen, die zusammenwirken, um die kurzfristigen Risiken für die Lebensfähigkeit des Organismus mit den langfristigen Risiken der Genomstabilität abzuwägen», erklärt das Autorenteam in der Studie. Zum Beispiel können die DNA-Schäden behoben und die Zellfunktion wieder aufgenommen werden. Allerdings birgt ein fehlerhaft reparierter DSB die Gefahr, für den Organismus tödlichen Krebs auszulösen, wohingegen ein nicht reparierter DSB nur den Tod der Zelle zur Folge hat. Daher haben Säugetiere eine Vielfalt an Checkpoint-Mechanismen entwickelt, um Zellen mit DNA-Schäden zu blockieren oder zu eliminieren. 

Kommt es zu übermäßigen oder anhaltenden Schäden, kann sich die Zelle auch für zwei andere Prozesse entscheiden — Apoptose, den programmierten Zelltod, oder Seneszenz, bei der die Zellteilung gestoppt wird — was in diesen Fällen für das Überleben und die Langlebigkeit eines Organismus oft besser ist, heißt es in der Studie.

Elefanten, die mit einer Lebenserwartung von etwa 70 Jahren ebenfalls ein hohes Alter erreichen, haben mit Tumorsuppression und verstärkter Apoptose einen Kompromiss zwischen der Verhinderung von Krebs und altersbedingter Degeneration gefunden. Die bessere Strategie haben aber Grönlandwale entwickelt, indem sie das Gleichgewicht von Apoptose/Seneszenz hin zu Überleben und präziser Reparatur verschoben haben.  

Laut der Studie dürften diese effizienten Reparaturmechanismen zumindest teilweise auf die hohen physiologischen Belastungen, denen der Grönlandwal im extrem kalten Wasser der Arktis ausgesetzt ist, zurückzuführen sein. Offenbar wird dadurch eine dauerhaft hohe Genexpression des Proteins CIRBP hervorgerufen.

Auch beim Menschen ist die gesundheitsfördernde Wirkung von Kälte als therapeutisches Mittel seit langem bekannt. Vielleicht sollten wir alle gelegentlich ein kaltes Bad nehmen, um lange gesund zu bleiben.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Denis Firsanov, Max Zacher, Xiao Tian et al. DNA repair and anti-cancer mechanisms in the longest-living mammal: the bowhead whale. bioRxiv 2023.05.07.539748; doi: https://doi.org/10.1101/2023.05.07.539748

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