Alfred Wegeners Erbe leistet wichtigen Beitrag zur modernen Klimaforschung | Polarjournal
Jakob Abermann von der Universität Graz vermisst das Eis mit etwas moderneren Methoden als Alfred Wegener zu seiner Zeit. (Foto: Uni Graz / Andreas Trügler)

Beinahe 100 Jahre alte Wetteraufzeichnungen und Schnee- und Eisdaten, die Alfred Wegener während seiner Grönlandexpedition sammelte, helfen Wissenschaftlern, den Klimawandel besser zu verstehen.

Der einzigartige Datenschatz von Alfred Wegeners dritter Grönland-Expedition in den Jahren 1929 bis 1931, sicher verwahrt im Archiv der Universität Graz, wurde von der Wissenschaft bislang so gut wie nicht beachtet. Ein Team von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern unter der Leitung der Uni Graz, das die Klimaänderungen auf Grönland erforscht, erkannte das Potential dieser historischen Beobachtungen und verknüpfte sie jetzt mit aktuellen Messdaten und Rekonstruktionen aus Klimamodellen.

«Wir stießen auf mehrere hundert Seiten von bislang brach liegenden Messergebnissen, die Alfred Wegener vor knapp hundert Jahren auf seiner Grönland-Expedition gesammelt hatte», sagt Dr. Jakob Abermann, Forscher am Institut für Geographie und Raumforschung der Universität Graz und Hauptautor der Studie, in einer Meldung der Universität. «Es ist erstaunlich, wie gut die Messungen in vielen Variablen mit den Modellierungen übereinstimmen.»

Das Forschungsteam errichtete sein Camp und die Messstationen an derselben Stelle am Fuß des Gletschers, an der auch Alfred Wegener seine Messungen durchführte. Die Karte zeigt die Stationen der Wegener-Expedition und die späterer Expeditionen. (Foto: Universität Graz / Karte: Abermann et al. 2023)

Für das Forschungsteam war besonders spannend, dass Wegeners Expedition in den Jahren 1929 bis 1931 in eine außergewöhnlich warme Periode gefallen ist, aus der bisher kaum Daten vorliegen, so Dr. Abermann. Vergleiche mit heute seien daher besonders relevant.

Im Sommer 2022 begannen Dr. Abermann und sein Team, Alfred Wegeners Datenerhebungen von damals zu wiederholen. Vom Qaamarujup Sermia, einem Gletscher an der Westküste Grönlands, bis zu der von Alfred Wegener eingerichteten Station «Eismitte» in der Mitte des Eisschilds sammelten die Forschenden unter anderem Daten zu Gletschermorphologie, Meteorologie, Schnee- und Firntemperaturen und -dichte sowie zu den Eisbedingungen im Fjord.

Der Qaamarujup Sermia in den Jahren 1930 (links) und 2022 (rechts), aufgenommen von derselben Position. (Bild: Abermann et al. 2023)

Beim Vergleich der Daten stellte das Team zum Beispiel fest, dass sich der Qaamarujup Sermia stark verändert hat. Der Gletscher zog sich um mehr als zwei Kilometer zurück und seine Dicke nahm um bis zu 120 Meter ab. Die Firntemperaturen sind seit Wegeners Expedition deutlich angestiegen, die Dichte von Schnee und Firn ist ähnlich geblieben oder gesunken.

Die Schneegrenze lag in etwa derselben Höhe wie in den extrem warmen Jahren 2012 und 2019. Darüberhinaus stellten die Forschenden fest, dass die Ausdehnung des Fjordeises verglichen mit heute im Jahr 1930 im frühen Frühjahr eher gering und im späten Frühjahr außerordentlich groß war.

Der Expedition 2022 war die Digitalisierung der Ergebnisse der Wegener-Expedition vorausgegangen. Die Daten sind nun in der originalen Auflösung gemeinsam mit den eingescannten Originalberichten frei verfügbar. Im nächsten Schritt werden die Forschenden neue Technologien anwenden, dank derer es ihnen heute möglich ist, tiefere Einblicke in die Wechselwirkungen zwischen Eisoberfläche und Atmosphäre zu gewinnen.

«Neben konventionellen Methoden verwenden wir hier vor allem künstliche Intelligenz und Deep-Learning, um Muster und Zusammenhänge in den Daten zu identifizieren», erklärt Dr. Andreas Trügler, Experte für KI-Prozesse am Know Center Graz und Co-Autor der Studie.

Alfred Wegener war ein außergewöhnlicher Wissenschaftler, der erst posthum durch seine Theorie der Kontinentalverschiebung berühmt wurde. Der Meteorologe, Geophysiker und Polarforscher war vor allem an der Polarmeteorologie interessiert. Seine dritte Expedition nach Grönland war leider auch seine letzte — er verstarb auf dem Rückweg von der Station Eismitte im November 1930, vermutlich an Herzversagen.

Die aktuelle Studie erschien in Nature Scientific Reports im Rahmen des mehrjährigen Projekts „WEG_Re – Centennial Climate Drivers of Glacier Changes in Greenland“. Das Projekt wird von der Universität Graz geleitet in Kooperation mit dem Know Center Graz, der University of Alaska Fairbanks und GEUS (Dänemark).

Julia Hager, PolarJournal

Quelle:
J. Abermann, B. Vandecrux, S. Scher et al.: Learning from Alfred Wegener’s pioneering field observations in West Greenland after a century of climate change, Scientific Reports https://www.nature.com/articles/s41598-023-33225-9

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