In der Arktisforschung stehen einige Arten im Rampenlicht | Polarjournal
Ein geschickter Jäger – und ein Sammler der Aufmerksamkeit der Forschung. Ein Viertel aller Forschungsarbeiten befasst sich mit Eisbären, während andere Arten, die für die Ozeane wichtig sind, weitgehend zu kurz kommen (Foto: Michael Wenger)

Ein Vergleich der Forschungsarbeiten über große arktische Meerestiere zeigt, dass einige wenige Arten und einige wenige Gebiete die meiste Aufmerksamkeit erhalten.

Die Forschung über die großen Meerestiere der Arktis konzentriert sich größtenteils auf die charismatischsten oder profitabelsten Arten, während ganze Arten unzureichend erforscht sind. Und dies, obwohl ihr Verhalten potenziell wertvolle Erkenntnisse darüber liefert, wie das Ökosystem der Arktis durch die globale Erwärmung gestört wird, so die Schlussfolgerung einer kürzlich veröffentlichten Studie.

Die in Trends in Ecology & Evolution veröffentlichte Studie untersuchte die in den letzten fünf Jahren veröffentlichten Forschungsarbeiten über die arktische Meeres-Megafauna. Dabei stellte das Autorenteam fest, dass jeder vierte Artikel sich mit Eisbären befasst. Gleichzeitig steht in solchen Arbeiten, dass für ein vollständiges Verständnis der Auswirkungen der globalen Erwärmung auf die Region mehr Informationen über andere Tierarten, einschließlich Größe, Ernährung, Verbreitungsgebiet und Exposition gegenüber Schadstoffen und anderen schädlichen Faktoren, erforderlich wären.

Rossia palpebrosa und Gonatus fabricii (hier abgebildet) sind die am häufigsten vorkommenden Tintenfischarten in der Arktis, aber nur zwei Studien haben sie in den letzten fünf Jahren untersucht (Foto: NOAA)

Um zu dieser Schlussfolgerung zu gelangen, haben die Autoren, der Ozeanograph und leitende CNRS-Wissenschaftler David Grémillet und Sébastien Descamps vom Norwegischen Polarinstitut, die in den letzten fünf Jahren veröffentlichten Studien über die arktische Megafauna (Fische, Quallen, Tintenfische, Seevögel und Meeressäuger) untersucht.

Die Überprüfung von 250 Veröffentlichungen ergab, dass sich 36 % der Studien auf Fische konzentrierten. Insbesondere auf Kabeljau (Gadus morhua) und den Polardorsch (Boreogadus saida). Die am zweithäufigsten untersuchte Tierart ist der Eisbär (Ursus maritimus). Er ist Gegenstand von 20 % aller veröffentlichten Studien. Die Kopffüßer (Tintenfische) sind dagegen nur sehr wenig untersucht. Die beiden in der Arktis am häufigsten vorkommenden Arten, Rossia palpebrosa und Gonatus fabricii, waren Gegenstand von nur zwei Fallstudien. Bei den Vögeln ist es die Dickschnabellumme, die die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht: Sie war das Thema der Hälfte aller Arbeiten über Seevögel.

Die Erklärung für die Diskrepanz liegt in dem Wert, der den einzelnen Arten beigemessen wird. „Diese Arten wurden am meisten untersucht, weil sie entweder einen hohen kommerziellen Wert haben (Atlantischer Kabeljau), eine Schlüsselrolle für das Funktionieren der Ökosysteme spielen (Polardorsch) oder ein Symbol für die Arktis sind (Eisbär)“, heißt es in der Arbeit.

Die Autoren stellten auch eine starke geografische Verzerrung fest. In den US-Gewässern vor Alaska wurden insgesamt 136 Studien durchgeführt, in russischen Gewässern dagegen nur sechs. „Die erste wichtige Schlussfolgerung unserer Untersuchung ist, dass das vorhandene Wissen über die Auswirkungen des Klimawandels im Hinblick auf die untersuchten Arten und die geografische Abdeckung extrem verzerrt ist“, schreiben die Autoren weiter.

Meeressäuger und Alaska sind in wissenschaftlichen Publikationen beliebt, während Kopffüßer und Russland kaum je untersucht worden sind (Illustration: David Grémillet und Sébastien Descamps)

Dank moderner Technologien für die groß angelegte Datenerfassung im Bereich Fernerkundung, wie Satelliten, Drohnen, biologische Messgeräte oder Computer, die Beobachtungen aufzeichnen, speichern und übertragen können, könnte die Forschung jedoch weiter voranschreiten.

Die Autoren sehen in sogenannten „Citizen Science“ Initiativen auch eine Möglichkeit, Informationen über die Verbreitung und Häufigkeit von Arten sowie über andere Bereiche zu sammeln, die sie als „blinde Flecken der Wissenschaft“ bezeichnen. Ein solcher Ansatz könnte auch dazu beitragen, indigene Gemeinschaften zu stärken und sie in die wissenschaftliche Forschung einzubeziehen.

Die beiden Autoren stellen in der aktuellen Studie zehn Forschungsansätze vor, die sich sowohl auf die arktische Meeres-Megafauna selbst als auch auf die Instrumente konzentrieren, die eine Forschung in einem so großen und unwirtlichen Gebiet wie der Arktis ermöglichen würden, einschließlich der Interaktion mit der lokalen Bevölkerung.

Quelle
D. Grémillet und S. Descamps: Ecological impacts of climate change on Arctic marine megafauna, Trends in Ecology & Evolution https://doi.org/10.1016/j.tree.2023.04.002

Mirjana Binggeli, PolarJournal / Deutsche Version: Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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