Narwale sind für die Gemeinden im nördlichen Teil Nunavuts ein wichtiger Bestandteil der Lebensgrundlage. Doch die akustisch sensiblen Meeressäuger stehen in der Region massiv unter Druck, vor allem durch den starken Schiffsverkehr. Um in dem Bereich etwas Entlastung zu schaffen, wollen Expeditionsschiffe der AECO-Mitglieder nun einen Umweg fahren, um nach Mittimatalik (Pond Inlet) zu kommen.
Statt auf dem direkten Weg via Eclipse Sound nach Mittimatalik (früher: Pond Inlet) zu fahren, werden die Mitglieder der AECO (Association of Arctic Expedition Cruise Operators) einen Umweg fahren und von Norden her zur Gemeinde in Nunavut gelangen. Damit soll der Lärmpegel unter Wasser etwas reduziert werden und so der Druck auf die lokale Narwalpopulation im Sommer durch den Schiffsverkehr reduziert werden. Darauf haben sich die AECO und die dort ansässige Mittimatalik Hunters and Trappers Organization MHTO geeinigt.
Sowohl die AECO wie auch die MHTO begrüssen die Einigung und das Entgegenkommen der AECO. Der Leiter der MHTO, David Qamaniq, erklärt: «Die Zahl der Narwale geht in unserer Region immer weiter zurück und steigt nicht an, wie wir gehofft haben. Wir danken den Schiffsbetreibern für die Zusammenarbeit in diesem Jahr, um die Tiere zu schützen, die noch übrig geblieben sind.» Und auch von Seiten der Umweltschutzorganisationen erhält die AECO viel Lob für die Entscheidung, den Umweg zu fahren. So erklärte beispielsweise Chris Debicki, Vizepräsident für Politikentwicklung bei Oceans North: «Es ist wirklich ermutigend zu sehen, dass AECO die Bedenken der Gemeinschaft ernst nimmt und zeigt, wie eine Industrie sowohl auf die Bedürfnisse der Menschen eingehen als auch Verantwortung übernehmen kann.»
Solche Worte sind, wenn es um Naturschutz und Tourismus geht, traditionell seltener zu hören. Gerade bei Narwalen sind in der Vergangenheit die Meinungen zwischen den Seiten auseinandergegangen. Immer wieder warfen (und werfen) lokale Jagd- und Schutzgruppierungen den Schiffsbetreibern vor, mit den Schiffen und den Zodiacs für die Ausflüge zuviel Lärm zu generieren und so die Narwale, die akustisch sehr sensibel sind, zu vertreiben oder gar zu schädigen. Dadurch entstünden den Gemeinden massive Nachteile, da diese auf die Versorgung mit Narwalfleisch angewiesen sind.
Mittimatalik liegt am Eingang der Nordwestpassage und war von je her eine wichtige Anlaufstelle für Expeditionsschiffe und Tourismus, denn die knapp 1’500 Einwohner zählende Ortschaft gilt als Schnittstelle für traditionelle und moderne Lebensgrundlagen. Diese Situation entstand durch die nahe gelegene Mary River Mine, in der im grossen Stil Eisen abgebaut und verschifft wird.
Und hier liegt auch nach Ansicht aller Parteien die Hauptverantwortung für den Rückgang der Narwalpopulation in der Region. Die AECO liess verlauten, dass ihre Schiffe im letzten Jahr nur 14 Prozent des gesamten Durchgangsverkehrs ausgemacht hatten. Auch in diesem Jahr sind Stopps in Mittimatalik von insgesamt 32 Schiffen geplant.
Der grösste Teil jedoch stammt aus der im Milne Fjord gelegenen Mine, von wo aus im Jahr 2021 allein 200 Fahrten (Starts, Ziel, Transits) durchgeführt worden waren. Hier sieht Oceans North und auch die MHTO die Bundesbehörden, allen voran Transport Canada in der Pflicht, schärfere Massnahmen zur Reduktion des Schiffsverkehrs vorzunehmen und dem Beispiel der AECO zu folgen.
Für die Narwale in der Region um Mittimatalik sind die Nachrichten etwas beruhigend, während es Grönland für die Tiere ungemütlicher werden dürfte. Denn hier fordern Jagdvertreter den zuständigen Minister Kalistat Lund schon seit längerem eine Erhöhung der Fangquoten, besonders in Westgrönland, und ein Verbot von Touristenschiffen in denjenigen Fjorden, in denen sich Narwale bevorzugt aufhalten. Die Schiffe wären für das Verschwinden der Narwale aus den Fjorden verantwortlich, glauben viele der Jäger. Gleichzeitig aber rechtfertigen sie die Forderung nach der Quotenerhöhung mit einem Anstieg der Populationszahlen, die auf Sichtungen basiert. Dieser Ansicht widersprechen Expertinnen und Experten des grönländischen Instituts für natürliche Ressourcen, die für die Zählung der Tiere verantwortlich ist. Sie empfehlen sogar eine Reduktion der Fangquoten.
Vielleicht sollte sich Minister Lund an Mittimatalik orientieren, denn hier zeigt sich, dass manchmal ein Umweg am Ende doch direkter zum Ziel führt.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal