Das Thermometer an der Wand des UN-Klimasekretariats in Bonn zeigt hochsommerliche Temperaturen – und das schon seit Ende Mai. Wie jedes Jahr um diese Zeit treffen sich hier Delegierte aus aller Welt, um die nächste Weltklimakonferenz im November vorzubereiten. Die “COP28” wird in Dubai stattfinden, und da wird es um die ‚globale Bestandsaufnahme‘ (Global Stocktake) gehen. Das heißt, es wird geprüft, ob in der Summe die Ziele des Übereinkommens von Paris erreicht werden.
Die Vereinten Nationen sehen uns an einem “kritischen Wendepunkt, bei den Bemühungen um Klimaschutz”. Zur Halbzeit zwischen der letzten Weltkonferenz in Ägypten und dem Treffen in Dubai ist es nicht gut um das Weltklima bestellt.
Der CO2-Ausstoß ist auf Rekordniveau
Temperaturen schießen rund um den Globus in die Höhe
Kanada leidet unter katastrophalen Waldbränden. Erst als der Rauch den Himmel über New York verdunkelte, schlugen die Weltmedien Alarm. Nicht gerade aufmunternd für die Betroffenen in den Brandregionen.
Gleichzeitig geht der russische Krieg gegen die Ukraine weiter. Neben den tragischen Verlusten an Menschenleben zeigte in diesen Tagen eine Studie, dass die Emissionen im ersten Kriegsjahr auf der Höhe der jährlichen Emissionen Belgiens lagen. Das Land war 2019 der siebthöchste Emittent in der EU.
Die neuestens wissenschaftlichen Studien über die eisigen Regionen unseres Planeten zeigen, dass es jetzt schon zu spät sei, um das Sommereis der Arktis zu erhalten.
Gleichzeitig wird selbst die Antarktis wesentlich stärker und schneller als befürchtet durch den Klimawandel getroffen. Die Auswirkungen auf tiefer liegende Regionen und Kleininselstaaten könnten verheerend sein.
Eine Bestandsaufnahme des Klimaschutzes
Die Klimaverhandlungen erhitzen sich wie das Klima selbst. Und die Zeit läuft uns davon. Die Delegierten haben keine leichte Aufgabe. Das ‚global stocktake‘ (GST), erklärt das UN-Klimasekretariat UNFCCC, ist “Ein Moment, um dem Zustand unseres Planeten einen langen und harten Blick zu widmen, um einen besseren Kurs für die Zukunft anzusteuern”.
Jetzt erst?
Wie steht es um den Klimaschutz? Welche Lücken gibt es noch? Welche gemeinsamen Aktionen und Lösungen gibt es für die Zeit bis 2030 und danach? Das sind die Fragen, die bei der globalen Bestandsaufnahme angegangen werden.
Regelmäßige Leser meiner Artikel werden es schon ahnen: die Welt steht nicht besonders gut da. Dies belegt eine Analyse, die während der Bonner Konferenz von Climate Action Tracker (CAT) vorgestellt wurde. Die Denkfabriken Climate Analytics und New Climate Institute beliefern Entscheidungsträger mit dieser Analyse regelmäßig seit 2009. Dafür verfolgen sie Klimaschutzmaßnahmen durch Regierungen und vergleichen sie mit dem Pariser Ziel, die globale Erwärmung wesentlich unter 2°C, möglichst nicht höher als 1,5°C zu halten. Ihr Bericht war ernüchternd. Die Wissenschaftler fanden heraus, dass Konzerne und Regierungen das Geschäft mit fossilen Brennstoffen weiterhin ausbauen und damit die Pariser Ziele gefährden. Keiner der größten Produzenten habe sich verpflichtet, neue Investitionen in Öl und Gas zu beenden. Im Gegenteil, sie bauen sie noch aus, so die Studie. Lediglich kleinere Produzenten handelten anders. Außerdem hätten die meisten Regierungen immer noch nicht ihr Versprechen umgesetzt, Subventionen für fossile Brennstoffe zu eliminieren. G7-Mitglieder unterstützten weiterhin trotz Versprechen 2022 international die öffentliche Finanzierung für fossiles Gas
CO2-Abscheidung und -Speicherung: problematisch
CAT kritisiert die Strategie großer Öl- und Gasproduzenten, Technologien wie CCS – CO2-Abscheidung und -Speicherung zu forcieren. Ihrer Meinung nach ist dies nur eine Methode, die Produktion von Öl und Gas weiterhin zu ermöglichen, die gleichzeitig von der Notwendigkeit ablenkt, den Treibhausgasaustoß bis 2030 zu halbieren und die globale Produktion von fossilen Brennstoffen zu verringern. Der Gastgeber der diesjährigen COP, die Vereinigten Arabischen Emirate, der siebtgrößte Öl Produzent der Welt und an Platz 15 unter den Gasproduzenten, hält an einer ‚emissionsfreien fossilen Brennstoffagenda‘ fest. Laut CAT wollen sie im Energiebereich CCS verwenden, statt sich allmählich von der Öl- und Gasproduktion zu verabschieden.
Der Weltklimarat setzt zwar auch auf ’negative Emissionstechnologien”. Diese dürfen jedoch nicht als Vorwand dienen, um fossile Brennstoffe weiterhin zu verwenden. Noch ist die Technologie nicht in dem notwendigen Maße verfügbar. Außerdem ist sie extrem teuer.
Der ‚CO2-Tracker‘ berechnet einen ‚katastrophalen‘ Temperaturanstieg von 2,7°C bis 2100, wenn man die vorhersehbaren Emissionstrends als Basis nimmt.
Wie geht es weiter?
Es gibt allerdings andere Studien, unter anderem vom UNEP, die davon ausgehen, dass die Kriterien des Pariser Abkommens erreichbar seien, mit ‚einem kleinen zusätzlichen Schub‘ – so Professor Joeri Rogelj, vom Grantham Institute und dem Imperial College London. Diese Schätzungen gehen davon aus, dass die Erwärmung unter 2°C und sogar in Richtung der Einhaltung des 1,5°C-Limits bleiben wird. In einem Gastartikel für Carbon Brief widmet sich der Experte den unterschiedlichen Prognosen zu.
In einer kürzlich in Science veröffentlichten Studie unterscheiden Rogelj und seine Kollegen zwischen “glaubhaften Klimaversprechen” und anderen. Während die positiveren Berechnungen alle Versprechen als gegeben annehmen, betrachten die anderen lediglich Maßnahmen, die bereits beschlossen und implementiert werden.
Wenn man nur die ‚glaubwürdigen‘ Versprechen in Betracht zieht, könnte die Erwärmung bis zum Ende des Jahrhunderts tatsächlich 2,6°C betragen, so die Experten. Wenn man aber davon ausgeht, dass alle Klimaversprechen rechtzeitig umgesetzt werden, kommt man auf 1.7°C.
‚Glaubhaft‘ sind Klimaversprechen, wenn sie einen rechtlich bindenden Charakter haben, es einen klaren Umsetzungsplan gibt und wenn ein Land durch seine jetzige Klimapolitik seine Emissionen bereits reduziert.
Um sich dem Pariser Limit zu nähern, bedarf es ehrgeiziger Versprechen und Ziele, die weit über die jetzigen hinausgehen, so Rogelj und seine Mitautoren.
Das klingt eigentlich wie selbstverständlich. Es ist aber eine Mammutaufgabe für diejenigen, die international über das Klima verhandeln.
Vereinte Arabische Emirate (UAE) – Ölproduzent als COP-Gastgeber
Die Emirate sind als Gastgeber der diesjährigen Klimakonferenz stark umstritten. Der COP28-Präsident Sultan al-Jaber ist gleichzeitig Chef der Abu Dhabi National Oil Company. Er hat sich wiederholt der Forderung nach einem Ende des fossilen Zeitalters widersetzt. Bei einem Empfang hier in Bonn, seinem ersten (kurzen) Auftritt bei einer UN-Klimakonferenz in diesem Jahr, hat er zum ersten Mal tatsächlich die Notwendigkeit zugegeben, fossile Brennstoffe „herunterzufahren“ (phase down). Wie die Nachrichtenagentur AP berichtet, machte er allerdings vor einem vollständigen Verbot halt.
“Wir wissen aus Erfahrung: je mehr Fortschritte wir in Bonn erzielen, desto höher die Wahrscheinlichkeit eines Erfolgs im Dezember“, so COP28-Vorsitzender al-Jaber.
In der Tat.
Allerdings befürwortet er auch weiterhin ein globales Energiesystem ohne „ungeminderte“ (unabated) fossile Brennstoffe. Damit bezieht er sich auf Maßnahmen, um die Treibhausgasemissionen zu reduzieren oder, wie oben erläutert, die noch sehr teure und nur begrenzt verfügbare CO2-Abscheidung und -Speicherung.
Eine französische Europaabgeordnete Manon Aubry verglich den Vorsitz al-Jabers mit dem Vorsitz eines globalen Tabakkonzerns über die interne Arbeit der Weltgesundheitsorganisation WHO. COP28 ‘Director General’ Majid al Suwaidi verteidigte hingegen die Wahl al-Jabers. Zum ersten Mal in der Geschichte der Klimagipfel gebe es einen Konzernchef an der Spitze. Diese könnte einen positiven Schritt weg vom rein politischen Prozess und hin zu Ergebnissen führen, so al Suwaidi.
Es gibt allerdings schwerwiegende Vorwürfe von “Greenwashing” und dem Einsatz von “fake”- Accounts in den sozialen Medien, um die Rolle der UAE zu verteidigen.
Schlechte Nachrichten für eis- und schneebedeckte Regionen
Die Weltwetterorganisation WMO gab in diesen Tagen bekannt, dass sie die Kryosphäre zu einer ihrer höchsten Prioritäten erheben will. Grund dafür sind die zunehmenden Auswirkungen von abnehmendem Meereis, schmelzenden Gletschern, Eisschilden, Permafrost und Schnee auf den Meeresspiegelanstieg; Gefahren in Zusammenhang mit Wasser; sowie die Sicherheit von Wasser, Wirtschaft und Ökosystemen.
Letzte Forschungen zeigen, dass selbst ein Anstieg von 1,5°C zu hoch sein könnte, um die Kryosphäre – die von Eis und Schnee bedeckten Regionen der Welt – zu erhalten. Eine steigende Anzahl der im letzten Jahr veröffentlichen Studien benennen Temperaturen zwischen 1,5°C und 1,8°C als kritische Schwellenwerte, die einen unumkehrbaren Verlust von Teilen des Eisschilds auslösen. Die gilt besonders für den westantarktischen Eisschild (WAIS), aber auch für Teile der Ostantarktis, eine Region, die lange als immun gegenüber der globalen Erwärmung galt. Das WAIS alleine könnte für vier Meter Meeresanstieg verantwortlich werden, genug, um die Küstenregionen vieler niedrig-liegender Nationen zu verwüsten. Für solche Länder wie auch für die kleinen Inselstaaten ist die Erhaltung der Eisgebiete eine Frage des Überlebens.
20 Länder sind einer Koalition beigetreten, die sich zum Ziel setzt, den Druck zu erhöhen, um das Ziel von 1,5°C einzuhalten und damit den Schaden für das Polareis, die Berggletscher und den Rest der Kryosphäre zu begrenzen. Die Ambition on Melting Ice (AMI), die auf der COP27 gegründet wurde, war in Bonn aktiv, um ein steigendes Bewusstsein für die globalen Auswirkungen eines Eisverlustes zu schaffen. Es ist interessant, dass einige der großen Länder – oder besonders stark von den Auswirkungen betroffene Länder wie Bangladesch – (noch) nicht Teil der Vereinigung sind. Die Gruppe umschließt nicht nur Polar- und Bergregionen (Island und Chile teilen sich den Vorsitz, Nepal ist Mitglied), sondern auch Liberia und Vanuatu, Länder, die stark vom Meeresanstieg bedroht sind.
“”Um die Chance zu erhalten, unter 1,5°C zu bleiben, müssen die CO2-Emissionen bis 2030 mindestens halbiert werden und bis Mitte des Jahrhunderts auf Null reduziert werden. Sich auf weniger festzulegen, wird zu einem katastrophalen Eisverlust in der Antarktis führen. Das würde als Resultat die Überschwemmung zahlreicher menschlicher Siedlungsräume entlang der Küsten haben und damit Hunderte von Millionen Menschen entwurzeln sowie einige Nationen von der Landkarte verschwinden lassen,” sagte Pam Pearson, Leiterin und Gründerin der International Cryosphere Climate Initiative (ICCI) auf der Klimakonferenz in Bonn.
Ein Hauptstreitpunkt bei den Klimagesprächen war wieder das Sichern von genügend Geldmitteln, um Ländern zu helfen, die Verluste und Schäden durch den Klimawandel erleiden.
In diesen Gesprächen geht es um Milliarden. Viele reichere Länder jedoch gebrauchen hier Hinhaltetaktiken, so Harjeet Singh von CAN International:
Die Verhandler kämpfen in diesen Gesprächen stundenlang über die Formulierungen. Länder verteidigen ihre eigenen (wirtschaftlichen) Interessen und blockieren, wenn nötig, den Fortschritt. NGOS und andere Beobachter arbeiten intensiv im Hintergrund, auf Veranstaltungen und in Gesprächen in der Cafeteria, um Verhandler zu überzeugen, ihre Sichtweise und Anregungen in die Diskussionen mitzunehmen. Es bleibt nur zu hoffen, dass die ungefähr 4000 Verhandler und Beobachter in Bonn genug Fortschritt machen können, um die Dubai-Konferenz in der kurzen Zeit, die noch bleibt, auf den richtigen Weg zu bringen
Das letzte Wort hat Namgay Choden, eine junge Delegierte, die für Bhutan verhandelt. Sie führte auf einer Veranstaltung aus, dass ihr Land, eines der am wenigsten entwickelten Länder, momentan ein negativer Klimaemittent sei, und weltweit mit am wenigsten zu den Emissionen beigetragen hat. Dennoch ist das Land eines der am stärksten betroffenen und am wenigsten auf die Auswirkungen durch den menschengemachten Klimawandel vorbereiteten. Diesen Klimawandel hat sie seit ihrer Zeit als Kind erfahren, so durchlebte sie eine Flut, die als ‚Realitätscheck‘ dafür diente, welche Schäden Klimawandel hervorruft.
Bhutan verliert rapide seine Gletscher. Das wirkt sich nicht nur auf die Wasser- und Lebensmittelversorgung aus, sagt Namgay. Es gibt ein Überflutungsrisiko für Wälder, die Biodiversität, die Menschen und die Wirtschaft. Die Wasserkraftwerke, von denen die Menschen abhängen, ist bedroht.
“Ich bin hier als junge Person, die für die Existenz meines Landes eintritt”, sagte sie in einem berührenden Appell an ihre Mitverhandler und die Beobachter. Allerdings gibt sie auch der Hoffnung Ausdruck:
“Die Welt braucht Bhutan als Inspiration, als eine Quelle von Optimismus,” betonte sie, “als ein kleines Land, das zu einem Leuchtturm für Umweltfreundlichkeit geworden ist. Aber Bhutan braucht auch die Welt….für die Reduktion der Emissionen und einen Stopp für den Klimawandel.
Link zum Blog von Dr. Irene Quaile-Kersken:
Aktueller Blog: https://iceblog.org
Aktueller Blog: https://iceblog.org
Älterer Blog: https://blogs.dw.com/ice/