Ausgefallen oder feierlich – Sonnenwende in den Polargebieten | Polarjournal
Ein letzter Blick auf die Sonne am 20. März, bevor die Nacht den Südpol einhüllt. Am 21. Juni wird sie dann ihren Höhepunkt (oder Tiefpunkt, je nach geographischem Standort) erreichen. Für die Menschen in Antarktika ein Grund, zu feiern. Bild: Alexander Pollak via USAP / NSF under Creative Common License

Schon seit Jahrtausenden ist für die Menschen in Europa, besonders im hohen Norden, der 21. Juni ein Feiertag. Denn er markiert die Sommersonnenwende, den Höchststand der Sonne, den längsten Tag. Doch am anderen Ende der Welt, wo mittlerweile auch Menschen das ganze Jahr über leben, ist das Ganze zwar komplett umgekehrt, doch wird nicht weniger stark gefeiert, wenn auch aus anderen Gründen und mit anderen Mitteln.

Wenn es Nacht wird am Südpol, dann aber richtig. Ab dem 20. März verschwindet die Sonne immer weiter unter dem Horizont und ab Mai übernimmt die Dunkelheit das Zepter am südlichsten Punkt der Welt. Zwischendurch erhellen südliche Polarlichter die Szenerie, doch die Sonne wird sich erst wieder am 21. September über dem Horizont zeigen. Eine andere Lichtquelle erhellt aber die unmittelbare Umgebung des Südpols unabhängig von Sonnenaktivitäten: die Lichter der Amundsen-Scott-Station mit ihren etwa 45 Bewohnerinnen und Bewohnern, die hier den antarktischen Winter verbringen. Für sie und viele andere Überwinterungsteams in den restlichen 41 permanent besetzten Stationen in Antarktika und auch in den neun subantarktischen Stationen bildet der 21. Juni einen ganz besonderen Feiertag, der auf unterschiedlichste Art und Weise begangen wird.

Bei vielen Stationen an der Küste ist es Tradition, am Mittwinter-Tag einen Sprung ins eiskalte Nass des Südlichen Ozeans zu wagen. Während die einen sich einfach in die Wellen stürzen können, müssen die anderen erst einmal den Weg zum Wasser im Eis freischneiden. Doch der Spass steht bei allen an erster Stelle. Video: Australian Antarctic Division

Der Mittwintertag ist in Antarktika sicherlich der wichtigste Feiertag, schon seit Jahrzehnten. Denn er fällt in die Zeit der Polarnacht mit ihren eisigen Temperaturen und der lang andauernden Dunkelheit. Die meisten Aktivitäten, egal ob Wartungs- oder Forschungsarbeiten, sind reduziert oder komplett eingestellt und vieles spielt sich im Inneren der Stationen ab. Das schlägt mit der Zeit aufs Gemüt und kann für Spannungen sorgen. Das wussten auch schon die frühen Polarforscher wie Scott, Shackleton und Amundsen. Deswegen feierte man die längste Nacht des Jahres schon damals mit besonderem Essen und ausserwissenschaftlichen Aktivitäten . Daran hat sich bis heute nichts geändert. Mit Verkleidung oder ohne, einem Sprung ins eiskalte Wasser oder einem Fussballspiel auf dem Hochplateau Antarktikas, Theater- oder Filmabenden, Brettspielturnieren mit Teams anderer Stationen – der Kreativität der Überwinterungsteams sind kaum Grenzen gesetzt.

Schon Scott und seine Männer feierten den 21. Juni mit einem Festmahl. Daran hat sich bis heute nichts geändert in antarktischen Stationen (im Bild: Neuseelands Scott-Base). Bilder: Wikicommons CC BY-SA 4.0

Alle Stationen verbindet eine Aktivität am Mittwintertag: das Festessen. Was heutzutage dank technischem und logistischem Fortschritt kaum mehr ein Problem darstellt, war zu Zeiten der frühen Polarhelden eine ganz grosse Besonderheit. Es sollte den Zusammenhalt im Team stärken und die Standesunterschiede zumindest an einem Tag etwas aufweichen. Und dieser Helden will man am 21. Juni mit den Feierlichkeiten auch gedenken, gemeinsam mit den anderen Stationen. «Eines der besten Dinge am Mittwintertag ist, dass er daran erinnert, dass man Teil einer grösseren Forschungsgemeinschaft ist», erklärt Sarah Clarke, letztjährige BAS-Stationsleiterin auf Südgeorgien. «Der Mittwintertag wird im Team, aber auch auf dem ganzen Kontinent gefeiert, und man erhält Nachrichten und Fotos von jeder Station. Das alles schafft ein grosses Gemeinschaftsgefühl.» Und der letztjährige Rothera-Stationsleiter Matt Jobson fügt an: «Eine Zeit, in der wir voll und ganz zu schätzen wissen, wo wir sind, mit wem wir zusammen sind, und die Erfahrungen und die Kameradschaft, die ein antarktischer Winter mit sich bringt.»

Während sich die Stationsteams in der Antarktis an das astronomische Datum für den Mittwintertag halten, sieht es auf der nördlichen Halbkugel etwas anders aus. Hier wird zwar der Mittsommertag gefeiert, doch in vielen Ländern wurde er durch die christliche Übernahme des Sommersonnenwendfests mit dem Geburtstag des Heiligen Johannes des Täufers am 24. Juni in Verbindung gebracht und wird heutzutage auch als «Johanni» gefeiert. Ursprünglich aber feierten die nordischen Völker, von den Wikingern bis zu den Inuit, ebenfalls um den 21. Juni das vorchristliche Fest. Traditionell wird das Fest, egal an welchem Datum, mit grossen Feuern (Johannisfeuer), vielen Feiern im privaten und öffentlichen Bereich, volkstümlichen Darbietungen, die sich stark an landwirtschaftlichen Traditionen orientieren, Tänzen und Prozessionen und wiederum mit viel Essen gefeiert.

Mittlerweile hat der Tag auch eine politische Bedeutung, wie beispielsweise in Grönland. (Bild: Wikicommons CC BY-SA 3.0 )

Doch auch politisch hat der 21. Juni im hohen Norden eine grosse Bedeutung: In Grönland ist der Tag zum Nationalfeiertag erklärt worden, nachdem das Land 2009 das Selbstbestimmungsrecht erhalten hatte. Entsprechend festlich wird der Tag begangen.

Auch in Schweden wurden Vorschläge gemacht, den Nationalfeiertag auf den 21. Juni statt auf den 6. Juni (Wahl von Gustav Wasa zum König von Schweden) zu legen und so die Bedeutung der Sommersonnenwende wieder hervorzuheben. In anderen Ländern wie Finnland und den baltischen Staaten gilt der Mittsommertag als nationaler Feiertag und wird entsprechend gewürdigt.

Ganz gleich wie am Ende der 21. Juni gefeiert wird, ob traditionell, ruhig oder ausgefallen, das Datum bildet eine weitere Brücke, die Arktis und Antarktis und die Menschen dort miteinander verbindet.

Dr. Michael Wenger, PolarJournal

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