Der Ukraine-Konflikt legt wichtige Arktisforschung auf Eis | Polarjournal
Das grossräumige Auftauen von Permafrost im Rahmen der globalen Erwärmung gilt als eines der bedeutendsten Kippelemente im Klimawandel. (Foto: Andrian Kolotilin)

Die Arktis erwärmt sich schneller als irgendeine andere Region auf der Welt, was sie zu einem bedeutenden Forschungsgebiet für Klima- und Umweltforscher macht. Laut Experten schreitet die Erwärmung in der Arktis viermal so schnell voran wie anderswo. Die Hälfte der Arktis liegt auf russischem Territorium. Als Russland in die Ukraine einmarschierte, verlor die internationale Gemeinschaft der Wissenschaftler den Zugang zu dem riesigen Teil der Polarregion, der in Russland liegt. 

So wurden die internationalen Forschungsanstrengungen im Bereich der Arktisforschung im Norden Russlands, insbesondere der Forschung des Permafrostes gestoppt. Die Forschung betraf Themen die von Eisbären bis Permafrost reichten und war damit ein Modell für internationale Zusammenarbeit. In der Zwischenzeit wurden alle hochrangigen Projekte, bei denen Geld oder Geräte nach Russland fliessen, gestoppt.

Das Lena Delta, in dem sich auf der Insel Samoilow die Forschungsstation befindet, spielt eine Schlüsselrolle für das Verständnis von Prozessen im Permafrostboden der sibirischen Arktis. (Foto: Anne Morgenstern)

Deutsch-Russische Forschung im Lena Delta

Die Samoilow Insel, im hohen Norden Russlands, gehört seit 1996 zum Lena Delta-Reservat, dem mit über 60’527 km² Fläche grössten Naturschutzgebiet Russlands. 1998 wurde auf der Insel ein bestehendes Holzhaus der Reservats-Verwaltung als Forschungsstation eröffnet. Seitdem wurde die Station gemeinsam vom Alfred-Wegener-Institut mit russischen Partnern für die Permafrost-Forschung genutzt. Im Jahr 2005 wurde das Gebäude erweitert und 2013 ein moderner Neubau eröffnet.

Auf der Samoilow Insel herrscht ein arktisches Klima mit Permafrost. Der Boden ist bis in eine Tiefe von 500 bis 600 m dauerhaft gefroren. Nur im Sommer taut an der Oberfläche eine 30 bis 45 cm dicke Schicht auf. Also genau der richtige Ort um Forschung zu betreiben.

2010 besuchte der damalige russische Ministerpräsident Wladimir Putin die Forschungsstation Samoilow. (Foto: Thomas Opel / AWI)

Die Station galt als Musterbeispiel internationaler Zusammenarbeit. Im Jahr 2010 besuchte der russische Präsident Wladimir Putin, damals Premierminister, die abgelegene Forschungsstation im Lena Delta. Putin äusserte sich vor einer Gruppe Wissenschaftler mit den Worten: „Ich sehe hier ein gutes Beispiel für internationale Zusammenarbeit“. Dies klingt in der heutigen Zeit fast wie ein Hohn!

Irgendwo im Hinterkopf hatten Professor Guido Grosse und sein Team immer den Gedanken, dass es mit Russland schwierig werden könnte. „Dass es so dramatisch wird, hat keiner erwartet“, sagt der Leiter der Permafrost-Forschung am AWI. Wie sich der russische Teil der Arktis verändert, kann die internationale Forschungs-Gemeinschaft kaum noch nachvollziehen.

Eric Regehr untersucht einen narkotisierten Eisbären. (Foto: Polar Science Center)

Eisbärenforschung auf Wrangel Island

Der Biologe Eric Regehr und seine Kollegen vom US Fish and Wildlife Service begannen 2008 mit der Untersuchung von Eisbären auf der amerikanischen Seite der Tschuktschensee, die sich von Alaska bis Russland erstreckt. Um das Gebiet zu erweitern, wurde Russlands abgelegene Insel Wrangel mit in die Forschung einbezogen.

Die Russische Föderation hatte im Jahr 2000 ein Abkommen mit den USA unterzeichnet, um die Population der Eisbären zu schützen. Durch die Zusammenarbeit auf diesem Gebiet konnten russische und amerikanische Wissenschaftler schliesslich im Jahr 2016 bestätigen, dass es der Population von 3’000 Tieren trotz des schnell zurückgehenden Meereises und der Jagd der Ureinwohner scheinbar gut ging.

Nach einer zweijährigen Pause wegen Covid-19 wollte Regehr unbedingt zu seiner Forschung nach Wrangel zurückkehren. Der Einmarsch Russlands in die Ukraine änderte aber all seine Pläne. Fast über Nacht wurden praktisch alle Bemühungen internationaler Zusammenarbeit mit Russland in der Arktis auf Eis gelegt.

Eric Regehr erklärt: „So viel von dem, was wir über diese Auswirkungen wissen müssen, geht verloren. Es ist schwer vorstellbar, wie wir die Wissenschaft ohne die staatliche und nichtstaatliche Finanzierung für uns und die Russen wieder aufnehmen können und ohne vor Ort zu sein, um mit ihren Wissenschaftlern zusammenzuarbeiten.“

Im Sommer bewohnen Vogelarten wie der Knutt (Bild) die kahle Landschaft der arktischen Tundra, während sie im Winter in südliche Richtung zu Küstengebieten mit schlammigen Ebenen oder Sandstränden wandern. Die Vögel verbringen den Sommer in den Arktis- und Tundrazonen Kanadas, Russlands und Europas. (Foto: B.N. Singh)

Auch niederländische Forscher sind betroffen

Nicht nur die Zusammenarbeit mit US-Forschungsteams ist betroffen. Jan van Gils, ein Ökologe am Königlichen Niederländischen Institut für Meeresforschung, hat ebenfalls seine Pläne aufgeben, auf die Taymyr-Halbinsel in Sibirien zurückzukehren, wo er die Situation des Knutt (Calidris canutus) untersucht. Dieser Küstenvogel legt bei seinen Wanderungen riesige Distanzen zurück. Im Herbst fliegt er von Sibirien aus zur Überwinterung ins 9’000 Kilometer entfernte Mauretanien in Nordafrika. In Zusammenarbeit mit russischen Forschenden hat van Gils herausgefunden, dass die Körpergrösse des Knutt schrumpft. Dies geschieht aufgrund einer Veränderung der Ernährung, weil der Klimawandel den Zeitpunkt des Auftauchens von Insekten in der Tundra verschiebt. Van Gils wollte Beweise sammeln, die den Zeitpunkt der Wanderungen und ihre Verbindung zur Winterernährung der Vögel in Afrika klären würden. Die Wissenschaftsförderungs-Agentur der niederländischen Regierung forderte ihn jedoch auf, alle Arbeiten mit russischen Wissenschaftlern einzustellen. Wie lange diese Situation dauern wird, ist zurzeit nicht absehbar.

Heiner Kubny, PolarJournal

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