Arktische Mikroben können Bio-Plastik abbauen | Polarjournal
Plastik überdauert vor allem in kalten Lebensräumen sehr lange Zeit, wie hier auf Svalbard. Jetzt wurde entdeckt, dass auch an die Kälte angepasste Mikroorganismen Enzyme produzieren, die Plastik abbauen können. In weiten Teilen der Arktis wäre es aber dennoch zu kalt dafür. (Foto: Julia Hager)

Schweizer Forscher entdeckten in Grönland, auf Svalbard und in den Alpen Mikroorganismen, die auch bei relativ kühlen Temperaturen Plastik-zersetzende Enzyme produzieren. Für das Recycling von Plastik könnten diese einen wichtigen Beitrag leisten.

Das globale Plastikproblem wächst jedes Jahr um mehrere hundert Millionen Tonnen. Nachdem die Kunststoffproduktion zu Beginn der Pandemie stagnierte, stieg sie PlasticsEurope zufolge im Jahr 2021 auf 391 Millionen Tonnen weltweit an, ein Plus von 16 Millionen Tonnen gegenüber 2019. Da ein wesentlicher Teil davon in der Umwelt landet, wird mittlerweile verstärkt auf Vermeidung und Recycling gesetzt, Nachhaltigkeit statt Neuproduktion. 

Die derzeit gängigen mechanischen und chemischen Recyclingmethoden haben jedoch diverse Nachteile. Beim mechanischen Recycling gehen bei den nötigen Waschprozessen große Mengen an Mikroplastik verloren, die mit dem Abwasser in die Umwelt gelangen, wie kürzlich eine Studie aus Großbritannien zeigte. Darüberhinaus verlieren die recycelten Kunststoffpolymere an Qualität und können nicht beliebig oft den Kreislauf durchlaufen. Chemisches Recycling ist ebensowenig nachhaltig, da hier hohe Temperaturen und giftige Lösungsmittel erforderlich sind.   

Die sich auf Plastik entwickelnden Ökosysteme mit Organismen von Mikroben bis hin zu größeren Tieren wie Seepocken (hier im Bild) werden von Forschenden als Plastisphäre bezeichnet. Foto: (Julia Hager)

Umso wichtiger ist daher die Fortsetzung der Suche nach Mikroorganismen, die Kunststoff-zersetzende Enzyme produzieren, insbesondere unter Temperaturen, die bei industrieller Anwendung keinen zusätzlichen Energieaufwand erfordern. 

Einem Schweizer Forschungsteam der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft und der ETH Zürich ist es erstmals gelungen, mehrere an die Kälte angepasste Bakterienstämme und Pilzarten von Kunststoffteilen zu isolieren, die entsprechende Enzyme produzieren. Die Forscher suchten gezielt nach den Mikroben auf Plastikteilen, die sie zuvor in Grönland und in alpinen Böden der Schweiz vergraben und über einen Zeitraum von einem Jahr dort belassen hatten. Weiter untersuchten sie auch Plastik von den Stränden des Svalbard-Archipels.

Anschließend ließ das Team die isolierten Bakterienstämme und Pilze im Labor bei einer Temperatur von 15°C wachsen. Bisher waren Plastik-abbauende Mikroben vor allem in Umgebungen mit Temperaturen von 20°C und mehr untersucht worden. Die Durchschnittstemperatur terrestrischer Ökosysteme liegt jedoch deutlich darunter, weshalb die Entdeckung der Forscher von großer Bedeutung ist.

Bei dem in der Studie verwendeten Plastik handelt es sich um Polyethylen (PE) und die biologisch abbaubaren Kunststoffe Polyester-Polyurethan (PUR), zwei kommerzielle Folien aus Polybutylenadipat-terephthalat (PBAT) und Polymilchsäuren (PLA) aus kompostierbaren Müllbeuteln bzw. Mulchfolien sowie reines PBAT und PLA in Form industrieller Pellets. 

Von den insgesamt 34 isolierten Bakterienstämmen und Pilzarten waren 14 Pilz- und drei Bakterienstämme in der Lage, die Folien aus PBAT und PLA zu verdauen. Die PUR-Dispersion, die zum Beispiel für Aufdrucke auf T-Shirts genutzt wird, konnte von elf Pilz- und acht Bakterienstämmen verarbeitet werden. Polyethylen als eine der am häufigsten verwendeten  konventionellen Kunststoffarten konnte hingegen von keinem der Stämme zersetzt werden. Ihre Ergebnisse veröffentlichten die Forscher in der Fachzeitschrift Frontiers in Microbiology.

Die neue Studie konnte zwar zeigen, dass Bio-Plastik, das im Boden von Grönland vergraben war, von den darauf siedelnden Mikroben abgebaut wurde, aber ob das auch für diese Süßigkeiten-Verpackung gilt, darf bezweifelt werden. (Foto: Julia Hager)

Die Forscher berichten auch, dass die beiden Pilzstämme Thelebolus und Lachnellula der Gattung Neodevriesia ebenfalls in der Lage waren, Plastik abzubauen, was bisher nicht bekannt war. Ersterer stammt von einem Strand auf Svalbard, der andere aus den Schweizer Alpen. Von den 17 in der Arktis isolierten Mikrobenstämme konnten 12 Plastik zersetzen, jedoch nicht in dem Maße wie die aus der Schweiz.

Die Zeit, die die verschiedenen Bakterien- und Pilzstämme benötigten, um die Kunststoffpolymere zu verdauen, war mit mehr als 120 Tagen allerdings recht lang. Am schnellsten gelang der Abbau der beiden Folien: Innerhalb von 60 Tagen reduzierte sich deren Gewicht um 46 % bzw. 39 %.

Dennoch ist die Entdeckung der Forscher vielversprechend. Die Mikroorganismen könnten einerseits einen Beitrag zum Abbau von Plastik in der Natur leisten. Andererseits könnten sie beim industriellen Recycling von großem Nutzen sein. Im nächsten Schritt müssten allerdings zunächst die Enzyme identifiziert und für die industrielle Anwendung optimiert werden, so Beat Frey, Forscher an der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft und Co-Autor der Studie.

Inwieweit die in der Studie untersuchten Mikroorganismen nicht nur biologisch abbaubare, sondern auch konventionelle Kunststoffe zersetzen können, dürfte ebenfalls Gegenstand weiterer Forschung sein.

Bis es soweit ist, bleibt es aber weiterhin an uns, die Plastikflut einzudämmen und dafür zu sorgen, dass die Umwelt von den Kunststoffen möglichst verschont bleibt… nicht nur in der Arktis und Antarktis, sondern überall.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Rüthi Joel, Cerri Mattia, Brunner Ivano, et al. Discovery of plastic-degrading microbial strains isolated from the alpine and Arctic terrestrial plastisphere. Frontiers in Microbiology, 14, 2023. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fmicb.2023.1178474

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