Geduldsprobe am Südpol – Infrastruktur vor neuen Großprojekten | Polarjournal
Physiker, die am Südpol Großes vorhaben, werden auf eine harte Geduldsprobe gestellt, da sich die US-amerikanische National Science Foundation wegen drängender Infrastrukturprobleme gezwungen sieht, die Errichtung neuer Teleskope und Neutrino-Detektoren zu verschieben. (Jeff Warneck, NSF)

Physiker, die am Südpol Großes vorhaben, werden auf eine harte Geduldsprobe gestellt, da sich die US-amerikanische National Science Foundation wegen drängender Infrastrukturprobleme gezwungen sieht, die Errichtung neuer Teleskope und Neutrino-Detektoren zu verschieben — wahrscheinlich um einige Jahre.

Der Südpol ist der ideale Ort für astronomische Forschung: hier ist der Himmel so klar und ohne störende Lichtquellen, dass mithilfe von Teleskopen das Nachleuchten des Urknalls untersucht oder im Eis der Nachweis von den auch als Geisterteilchen bezeichneten Neutrinos geführt werden kann. Es steht außer Frage, dass diese beiden Großprojekte fortgeführt und ausgebaut werden sollen. Die beteiligten Forschungsteams würden nur zu gerne so schnell wie möglich ein Upgrade ihrer jeweiligen Experimente an der Amundsen-Scott-Station mit einer geplanten Inbetriebnahme innerhalb der nächsten fünf Jahre auf den Weg bringen. 

Doch die National Science Foundation (NSF) scheint den Forschenden einen Strich durch die Rechnung zu machen. Nach den Pandemiejahren gibt es eine Vielzahl an dringend nötigen Wartungsarbeiten an mehreren Antarktisstationen, die vor der Genehmigung neuer Projekte durchgeführt werden müssen, heißt es von der NSF. Dazu zählt unter anderem das Anheben der Amundsen-Scott-Station, die langsam aber sicher im Schnee versinkt. Auch die Lagerhütten für Treibstoff, Vorräte und Fahrzeuge verrichten seit 48 Jahren ihren Dienst und müssen verstärkt werden. Und nicht zuletzt ist fraglich, ob die Stromversorgung, die mittels Dieselgeneratoren gesichert wird, für die neuen Projekte überhaupt ausreichen würde. Eine Erhöhung der Netzkapazität ist angesichts der logistischen und sicherheitstechnischen Herausforderungen jedenfalls nicht ohne Weiteres möglich und nicht vor 2040 umsetzbar.

Der weltweit größte Neutrino-Detektor IceCube soll erweitert werden, um mehr Neutrinos einfangen und deren Quellen identifizieren zu können. (Foto: Benjamin Eberhardt/IceCube/NSF)

Das eine betroffene Projekt ist  “IceCube”, der weltweit größte Neutrino-Detektor, an dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der ganzen Welt beteiligt sind, unter anderem aus den USA, aus Deutschland und aus der Schweiz. Seit 2010 sind 5’160 kugelförmige optische Sensoren von der Größe eines Basketballs tief im Eis versenkt und entdecken die verschwindend kleinen Teilchen aus fernen Galaxien, wenn diese ab und zu mit Atomkernen im Eis kollidieren und dabei schwach blau leuchten. Im Jahr 2012 entdeckten die Forschenden die ersten, äußerst energiereichen Neutrinos und versahen sie vor lauter Begeisterung mit den Namen Ernie und Bert. Im vergangenen Jahr registrierte das Team 79 Neutrinos, die von der nicht allzu weit entfernten Galaxie namens NGC-1068 stammten.

Jetzt planen die Physikerinnen und Physiker, mit IceCube-Gen2 den Detektor um 9’600 optische Sensoren zu erweitern, wobei das für das Experiment genutzte Eisvolumen von einem Kubikkilometer auf acht Kubikkilometer wachsen würde. So könnten mehr Neutrinoquellen identifiziert werden.

Die neuen CMB-S4-Teleskope sollen Temperatur- und Polarisationsschwankungen des Mikrowellenlichts über einen Großteil des Himmels messen und so nach Wellen in der Raumzeit suchen. Im Bild ist das Südpolteleskop zu sehen. (Foto: Brad Benson, University of Chicago, Fermilab)

Das andere Projekt befasst sich mit dem kosmischen Mikrowellenhintergrund CMB (Cosmic Microwave Background), das die nachwirkende Strahlung des Urknalls untersucht. Diese enthält reichlich Hinweise auf den Ursprung und die Struktur des Universums. Bei der geplanten, 840 Millionen Dollar teuren Erweiterung mit dem Namen “CMB-S4” sollen am Südpol ein 5-Meter- und neun 0,5-Meter-Teleskope hinzukommen. Zwei 6-Meter-Teleskope sollen zusätzlich in Chile errichtet werden. Ausserdem müssen die bereits existierenden Südpol-Teleskope erhöht werden, da sie, wie die Station, drohen im Schnee zu versinken.

Von dem Ausbau verspricht sich das CMB-Team die Entdeckung Feuerrad-ähnlicher Wirbel, sogenannte primordiale B-Modi, die ein Signal für Gravitationswellen wären, die das frühe Universum durchziehen. Damit könnten sie beweisen, dass der neugeborene Kosmos einen exponentiellen Wachstumsschub erlebt hat.

Doch bevor die Infrastrukturprobleme nicht beseitigt wurden, kann keines der beiden Projekte beginnen. Der US-Kongress hat die Finanzierung der Maßnahmen in Höhe von 60 Millionen Dollar bereits genehmigt und auch die NSF wird in den kommenden beiden Jahren entsprechende Mittel beisteuern, doch die Arbeiten könnten dennoch nicht vor Ende 2026 beginnen. Zwei bis drei Jahre würde die Umsetzung der Maßnahmen in Anspruch nehmen. Für die beiden wissenschaftlichen Projekte bedeutet dies, dass frühestens 2028 oder 2029 mit dem Bau der neuen Anlagen begonnen werden kann.

Sollte es wirklich zu dieser jahrelangen Verzögerung kommen, ist zu befürchten, dass die Forschung des CMB-Teams von einem japanischen Projekt überholt wird, das plant, im Jahr 2028 mit einer Raumsonde ebenfalls auf die Suche nach primordialen B-Modi zu gehen. Das IceCube-Team hingegen befürchtet die Abwanderung von Mitarbeitern.

Vor wenigen Tagen begann das Antarktisprogramm der Vereinigten Staaten damit, einen Masterplan für die Südpolstation zu erstellen. Bleibt zu hoffen, dass dieser etwas mehr Klarheit für die Teams der beiden Großprojekte bringt.

Julia Hager, PolarJournal

Beitragsbild von Jeff Capps / National Science Foundation, CC BY-NC-ND 4.0

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