Außergewöhnliche Bilder einer Krakenart aus der Ordnung der Cirrina enthüllen die verborgenen Talente des „Dumbo“-Oktopus, der auf dem Grund der Framstraße im Arktischen Ozean lebt. Es ist das erste Mal, dass das Tier bei der Nahrungsaufnahme dokumentiert wurde – ein kleiner Schritt für die Unterwasserbeobachtung, ein großer Schritt für die Wissenschaft.
In 3’693 Metern Tiefe im Arktischen Ozean ist der Druck 369-mal höher als an der Oberfläche, kein Sonnenlicht erreicht diese Tiefe, es herrscht eine Temperatur von etwa 0 °C und kaum Geräusche durchdringen die Tiefe – all das lässt den „Dumbo“-Oktopus (Cirroteuthis muelleri) ein lautloses und langsames Leben führen. Nun haben einzigartige Aufnahmen dieses Tieres ein bisher unbekanntes und natürliches Verhalten in dieser für Normalsterbliche unzugänglichen Welt enthüllt: Die Tiere treiben auf dem Meeresgrund, breiten sich auf dem Meeresboden aus und ziehen sich dann in einem leicht beschleunigten Flossenschlag zusammen, bevor sie wieder in die Wassersäule aufsteigen.
Die Bilder wurden am 22. Juni von Alexey Golikov und seinen Kollegen, allesdeutsche, norwegische und russische Meeres- und Polarforscher, im Journal of the Royal Society veröffentlicht. Der Zufall will es, dass in diesem Monat auch die Internationale Meeresbodenbehörde die Frage der Ausbeutung von Bodenschätzen in diesen Tiefen vorantreiben will, eine Frage, die gefangen ist zwischen wirtschaftlicher Attraktivität und wissenschaftlicher Vorsicht, zwischen dem Vorhandensein seltener Metalle und den großen Unbekannten in den Tiefen des Ozeans.
Was macht der Oktopus, wenn er die beobachteten Bewegungen ausführt?
Die Bewegungen auf dem Boden ermöglichen es ihm wahrscheinlich, seine Beute zu fangen. „Sie ziehen sich mit einer schnellen Flossenbewegung von 24 bis 34 Schlägen pro Minute zusammen, wahrscheinlich um den Druck nach unten auf die Beute zu erhöhen, die zwischen dem Oktopus und dem Meeresboden eingeklemmt ist“, erläutern die Autoren.
Von welchen Beutetieren spricht man in diesen Tiefseegebieten?
„Dort unten finden sich Ruderfusskrebse und andere kleine Krustentiere“, erklärt Alexey Golikov. Man nimmt an, dass sie von der Oberfläche und aus den oberen Sedimentschichten gefangen werden. „Die sogenannten Cirren und die Kiefer, eine Art Schnabel, könnten dafür verwendet werden.“ Die Cirren sind kleine, lange und dünne Anhängsel, die entlang der Oktopus-Tentakel nach aussen ragen. „Andere Kopffüßern setzen die Saugnäpfe dazu ein, Beute zu fangen und zu bearbeiten. Doch bei unserer Art sind sie nicht sehr stark entwickelt […] und werden nicht zum Beutefang eingesetzt“, ergänzt der Forscher.
Wie zeigen die Videos, dass er gerade frisst?
Auf den gemachten Bildern lässt der Oktopus eine Art Schleim austreten, den die Forscher als „Reste von Beutetieren, die entlang der Arme des Oktopoden hinunterfallen könnten“ bezeichnen. Sobald er sein Fressen beendet hat, steigt er wieder in der Wassersäule nach oben und lässt sich mit der Strömung treiben. Die kleinen Kraken nehmen dann die Form von Schirmen an. Der Grund dafür ist vermutlich, dass die Tiere die Energie der Wasserströmungen nutzen.
Diese Tiere schwimmen mit ihren Flossen bis zu 500 Meter nach oben. Höher geht es nicht, vor allem wegen der Temperatur und des Drucks. Doch es stellt sich die Frage, ob sie durch diese Lebensweise nicht besser am Boden fressen? Sie nutzen aber die Strömungen in der Wassersäule, um sich von einem ergiebigen Gebiet zum nächsten zu bewegen und dabei den Räubern entgehen, die im Sediment auf sie warten.
Also keine Räuber der Wassersäule?
Jedoch können in diesen Tiefen auch Pottwale, Grönlandhaie, Grindwale und Schnabelwale den Oktopussen auflauern. Aber „sein gallertartiger Körper reflektiert ein deutliches Echoortungssignal viel schlechter als muskulöse Beutetiere“, sagt Alexey Golikov. Der kleine Krake hat also durchaus Chancen, unentdeckt zu bleiben.
Die Ergebnisse der Arbeit zeigen, dass der Oktopus Teil eines lebenden Netzes ist, dass Kohlenstoff in den Ozeanen einschließt. Diese Entdeckung ist ein weiterer Baustein, um ihre Rolle und Lebensweise zu verstehen. „Sicherlich gibt es noch viel mehr zu entdecken“, versichert Alexey Golikov.
Camille Lin, PolarJournal
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