Der antarktische Kontinent enthält auch noch nach rund 200 Jahren Entdeckung und Erforschung zahlreiche Geheimnisse. Eines davon, die von Scott’s Terra Nova-Expedition entdeckten «Blood Falls» in den Trockentälern Ostantarktikas, wurde nun dank neuesten Analysemethoden gelöst.
Nicht Rotalgen, nicht Bakterien oder andere Mikroorganismen und auch nicht einfach gelöstes Eisen bildet die rostrote Farbe der Wassermasssen, die sich aus rund 100 Metern Höhe in das Tal darunter ergiessen. Vielmehr sind es vor allem amorphe Nanokugeln, die enorm reich an Chlor und Eisen sind und durch den Sauerstoff oxidieren, die für das Phänomen der blutroten Farbe verantworlich sind. Das zeigt eine Studie eines US-Forschungsteams mit Erstautorin Dr. Elizabeth Sklute vom Planetary Science Institute in Tucson. Die Ergebnisse wurden in der Fachzeitschrift Frontiers in Astronomy and Space Sciences.
Das Forschungsteam kam den winzigen Kugeln auf die Spur, als sie verschiedenen Proben aus dem Wasser und dem umliegenden Boden untersuchten. Dabei verwendeten sie neue, bisher anderweitig verwendete Methoden, um die Bestandteile zu finden. Verschiedene Spektroskopiearten und Untersuchungen mit verschiedenen Elektronenmikroskopen kamen dabei zur Anwendung.
Die Ergebnisse der Untersuchungen überraschten das Forschungsteam, denn sie räumten mit einer bisherigen Annahme auf. Nicht eisenhaltige kristalline Strukturen sind für die Färbung verantwortlich, sondern amorphe Nanokugeln, die sehr reich an Chlor und Eisen sind und auch anderen Mineralien bestehen als bisher angenommen. «Als ich mir die Mikroskopbilder ansah, erkannte ich, dass diese kleinen Nanokugeln reich an Eisen waren und dass sie neben Eisen noch viele andere Elemente enthielten: Silizium, Kalzium, Aluminium, Natrium, und sie alle variierten», erklärt Dr. Ken Livi von der John-Hopkins-Universität, der die Proben analysierte.
Das Team untersuchte auch die Materialzusammensetzung der Proben und entdeckte, dass sie vor allem aus Kalzit und Aragonit plus Quartz, Feldspat und Tonmineralien bestehen. Diese Mineralien liefern dann die weiteren Elemente, die mit dem Eisen zusammen die Kugeln durch Oxidation bilden. Dieser Prozess tritt aber erst auf, wenn das im Wasser gelöste Material auf Luft trifft, also an der Austrittsstelle des Gletschers.
Die Frage, ob damit die Theorie von den Mikroorganismen, die das Wasser färben vom Tisch sei, kann das Team aber klar verneinen. Frühere Studien haben klar gezeigt, dass unter dem rund 56 Kilometer langen Gletscher ein ganzes Netzwerk von Flüssen und kleinen Seen liegt, in denen Mikroorganismen nur aufgrund chemischer Prozesse leben können, Chemosynthese statt Photosynthese. Die mineralienreiche Umgebung und das Wasser helfen dabei kräftig mit. Die Analysen des Forschungsteams zeigen, dass die Organismen zumindest einen Teil der Farbe mitbeisteuern und dort gedeihen. «Potentiell haben diese Mikroorganismen dort Millionen von Jahren existieren können», meint Professor Livi weiter.
Diese Ergebnisse beeinflussen nicht nur den Blick auf die Biologie und die Geologie der Dry Valleys in Antarktika. Sie gehen buchstäblich noch viel weiter, nämlich in die planetare Forschung, besonders auf dem Mars. Denn sie zeigen, dass die bisherigen Analysemethoden, die von den Marsfahrzeugen durchgeführt worden sind, nicht ausreichen, um ein besseres Bild der Umwelt zu erhalten. «Um die Beschaffenheit der Oberflächen von felsigen Planeten wirklich zu verstehen, wäre ein Transmissionselektronenmikroskop erforderlich», fordert der Wissenschaftler Livi. Doch diese Forderung wird zumindest zum gegenwärtigen Zeitpunkt nur Fantasie bleiben.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal