Respekt der Rechte indigener Völker in der Forschung noch nicht erreicht | Polarjournal
Die wissenschaftliche Forschung bezieht indigene Völker nur selten richtig ein. Neue Empfehlungen wurden soeben in der Zeitschrift Science veröffentlicht. Bild: Universität Graz.

Die Verwendung von biologischen Proben für sekundäre Forschung ohne Genehmigung oder die Biopiraterie von indigenem Wissen für die kommerzielle Nutzung sind nur einige Beispiele für die Verletzung indigener Rechte durch die Forschung. „Solche Praktiken sind weit verbreitet und verstärken die Notwendigkeit für Forschende, sicherzustellen, dass indigene Völker den Gesamtblick, die Macht und die Autorität haben, zu bestimmen, was, wie und warum Forschung auf ihrem Territorium stattfindet“, stellen die Autorinnen und Autoren eines Artikels fest, der kürzlich in Science zum Thema Verantwortung der Forschenden für die Rechte der indigenen Völker veröffentlicht worden ist.

In Anlehnung an die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker haben die Autorinnen und Autoren die für die Forscher relevanten Artikel der Erklärung unter vier Hauptthemen zusammengefasst: Selbstbestimmung, Zustimmung, geistiges Eigentum, Engagement und Lernen. Für die im Feld tätigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bedeutet dies, dass sie die indigenen Gemeinschaften und ihr Wissen in ihre Arbeit einbeziehen müssen, aber auch, dass sie die Zustimmung zur Durchführung von Forschungsarbeiten einholen müssen, die direkt oder indirekt die indigenen Völker betreffen, und dass sie deren geistiges Eigentum respektieren und die Arbeit mit indigenen Völkern fördern müssen.

Wissenschaftliche Forschung trägt zwar zu unserem Verständnis der Welt bei, kann aber auch Bevölkerungsgruppen schaden, die oft nur wenig oder gar nicht in die Forschungsarbeit eingebunden sind. Daher ist es notwendig, an die Verantwortung der Forschenden zu appellieren: „Die Art und Weise, wie Forschung betrieben wird, kann Auswirkungen auf die Rechte, die Selbstbestimmung und die Souveränität indigener Völker haben, insbesondere wenn die Forschung auf indigenem Land und in indigenen Gewässern stattfindet und indigene Völker, ihr Wissen, ihre Weisheiten, ihre Kulturgüter usw. betrifft“, so das internationale Autorenteam. „Als solche können Forscher zu umfassenderen politischen Veränderungen beitragen, die notwendig sind, um sicherzustellen, dass die angeborenen Rechte indigener Völker in allen Bereichen der Gesellschaft anerkannt werden“, stellen sie abschliessend fest.

Obwohl sie nur einen kleinen Teil der wissenschaftlichen Forschung als Akteure ausmachen, sind Inuit häufig Gegenstand der Forschung. Tatsächlich gehören die in Kanada lebenden Inuit zu den am meisten untersuchten indigenen Völkern der Welt. Bild: Michael Wenger.

Die Empfehlungen und Schlussfolgerungen der Autoren sind zwar nicht neu, aber sie bringen ein entscheidendes Problem auf den Punkt: das Fehlen indigener Völker als Interessenvertreter in der wissenschaftlichen Forschung. Und die Arktisforschung ist da keine Ausnahme.

Das Erbe einer kolonialen und rassistischen Vergangenheit

Seit den ersten Kontakten zwischen Inuit, Entdeckern und Forschern wurden die Inuit weitgehend als Studienobjekte oder als Helfer für die „Westbewohner“ betrachtet, die sich aufmachten, diese Gebiete zu entdecken, die sie letztlich fälschlicherweise als jungfräulich und unentdeckt betrachtet hatten. Auch wenn ihre Überlebenstechniken und ihr Wissen über die arktische Umwelt vor allem von Forschern weithin aufgegriffen wurden, wurden das Wort und das Fachwissen der Ureinwohner selten ernst genommen. Diese Haltung der Minderwertigkeit gegenüber den indigenen Völkern der Arktis sowie der Kolonialismus und Rassismus, die die Geschichte dieser Gemeinschaften weitgehend geprägt haben, finden sich auch heute noch in einigen Forschungspraktiken wieder.

Dies wurde bereits in einem Bericht festgestellt, der 2018 von Inuit Tapiriit Kanatami (ITK), einer nationalen Vertretung der 65’000 Inuit in Kanada, veröffentlicht wurde. „Der Begriff Forschung ruft bei den Inuit heftige Reaktionen hervor, weil die Forscher in der Vergangenheit und auch heute noch die Hauptnutznießer der Forschung sind, die unser Volk, unsere Tierwelt und unsere Umwelt betrifft“, sagt Natan Obed, Präsident der ITK. „Wir erkennen zwar die wichtige Rolle an, die die Forschung bei der Entwicklung von Maßnahmen spielen kann, die sicherere, gesündere und widerstandsfähigere Gemeinschaften schaffen, aber Inuit aus ganz Inuit Nunangat [die Region, die die Nordwest-Territorien, Nunavut, Nunavik und Nunatsiavut umfasst, Anm. d. Red.] bestehen seit langem darauf, dass Forschende und Forschungseinrichtungen die Selbstbestimmung der Inuit in der Forschung respektieren, und zwar durch Partnerschaften, die die Wirksamkeit, die Auswirkungen und den Nutzen der Forschung verbessern.“

Die traditionellen Praktiken und das Wissen der Ureinwohner könnten auch ein Pluspunkt für die wissenschaftliche Forschung sein, insbesondere im Hinblick auf den Klimawandel, der die arktischen Regionen erschüttert und dessen erste Zeugen die lokalen Bevölkerungsgruppen sind.

Es scheint sich langsam etwas zu ändern. Wissenschaftliche Projekte beziehen indigenes Wissen in ihre Forschung vermehrt mit ein, und wissenschaftliche Einrichtungen haben Richtlinien zur Verbesserung der Zusammenarbeit und Kommunikation zwischen Forschenden und lokalen Gemeinschaften in der Arktis aufgestellt. Ein Projekt wie „GreenFjord“ des Schweizer Polarinstituts, das sich mit dem Ökosystem der Fjorde im Zusammenhang mit dem Klimawandel befasst, hat eine menschliche Dimension in seine Arbeit aufgenommen. Durch die Befragung von Anwohnern versuchen die Forschungsgruppen, deren aktuellen und zukünftigen Bedürfnisse und ihre Abhängigkeit vom Ökosystem der Fjorde zu ermitteln. Auf diese Weise sollen wissenschaftliche Erkenntnisse in den Dienst der lokalen Gemeinschaften gestellt werden.

Mirjana Binggeli, PolarJournal / Deutsche Version: Julia Hager, PolarJournal

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