Orcas in den Wechseljahren schützen ihre Söhne | Polarjournal
Männliche Orcas (hinten) bleiben ihr ganzes Leben lang in enger Verbindung mit ihren Müttern, wodurch sie in mehrfacher Hinsicht von der sozialen Unterstützung durch eine Mutter auch nach deren Fortpflanzungszeit profitieren können. Foto: Michael Wenger.

Orca-Weibchen sind auch nach den Wechseljahren sehr beschützerisch gegenüber ihren Söhnen, was so weit geht, dass sie aggressive soziale Interaktionen innerhalb der Gruppe vermeiden. Töchter und Enkelkinder hingegen profitieren nicht von dieser mütterlichen Schutzbehandlung.

Fast 7.000 Fotos von 103 südlichen Orcas(Orcinus orca) aus 50 Jahren demografischer Aufzeichnungen bilden die Datenbasis für eine Studie, die kürzlich in Current Biology veröffentlicht wurde und zum Schluss kommt, dass Orcas nach der Menopause ihren männlichen Nachkommen weniger sozilae Schäden zufügen. Dies gilt zumindest für die südliche ortstreue Population von Orcas, einen genetisch eigenständigen Ökotyp, dessen Hauptlebensraum in den Sommermonaten die Küstengewässer von Washington State (USA) und British Columbia (Kanada) sind. Etwa siebzig Individuen bilden diese besondere Population, die aus drei Clans besteht.

Dieser Schutz scheint nur für ihre männlichen Nachkommen zu gelten, da weibliche Orcas nach der Fortpflanzung ihre Töchter, Enkelkinder oder andere junge Mitglieder ihrer sozialen Einheit nicht zu schützen scheinen. „Der gleiche Effekt wird bei Weibchen nicht beobachtet, was zeigt, dass sich die soziale Unterstützung auf männliche Nachkommen richtet und möglicherweise eine wichtige Methode ist, mit der postreproduktive Weibchen ihren Verwandten helfen“, erklärt Charli Grimes, Ethologin an der Universität Exeter und Hauptautorin der Studie.

Innerhalb ihrer sozialen Einheit (Pods o. Familiengruppe) werden Männchen mit einer postreproduktiven Mutter 45 % seltener gebissen als Männchen, die keine Mutter mehr haben, und 35 % seltener als solche, deren Mutter noch im fortpflanzungsfähigen Alter ist. Illustration: Grimes et al.

Bislang wurde das Phänomen der Menopause oder Wechseljahre nur bei sechs Tierarten festgestellt: Menschen und fünf Arten von Zahnwalen, darunter Orcas. Im Allgemeinen gilt ein weibliches Individuum im Alter von 12 bis 40 Jahren als fortpflanzungsfähig, ein Weibchen, das älter als vierzig ist, gilt als postreproduktiv. Die durchschnittliche Lebenserwartung von Orca-Weibchen des südlichen Ökotyps liegt bei etwa 50 Jahren, wobei einzelne Tiere auch 60 oder 70 Jahre alt werden können. Daher können diese Orca-Weibchen noch mehr als 20 Jahre nach Einsetzen der Menopause leben, was ihnen viel Zeit gibt, sich um ihre männlichen Nachkommen zu kümmern.

Warum den Sohn schützen …

Die Entdeckung des Forscherteams wirft die Frage auf, welche Rolle die soziale Unterstützung bei der Entwicklung der Menopause bei Orcas spielt. „Damit sich eine verlängerte postreproduktive Lebensspanne entwickeln kann, muss es einen Weg geben, auf dem Weibchen auch nach ihrer Fortpflanzungsfähigkeit ihren Angehörigen helfen können“. Und dieser Weg könnte darin bestehen, die Überlebenschancen und den Fortpflanzungserfolg ihrer erwachsenen Söhne zu erhöhen.

Die Beobachtung von Orcas und ihrer Interaktionen durch Drohnen könnte mehr Daten liefern und dazu beitragen, die Art der sozialen Unterstützung zu verstehen, die postreproduktive Weibchen ihren Nachkommen bieten, und welche Vorteile letztere daraus ziehen. Foto: NOAA Fisheries.

Männliche Orcas, die auf diese Weise von ihren Müttern beschützt werden, können in vielerlei Hinsicht von dieser sozialen Unterstützung profitieren, z. B. beim Teilen von Nahrung oder beim Schutz vor aggressiven Interaktionen mit anderen Mitgliedern der Gruppe. Weniger Bisse bedeuten weniger Wunden und damit ein geringeres Risiko von Infektionen, insbesondere von Pilzinfektionen, die für das Tier tödlich sein können.

Allerdings scheinen die Weibchen keine Gewalt anzuwenden, um ihre Nachkommen zu schützen. Sie scheinen sogar körperlichen Auseinandersetzungen aus dem Weg zu gehen, wie die wenigen Wunden an ihren Körpern zeigen: „Postreproduktive Weibchen weisen von allen Altersklassen die geringste Häufigkeit von Biss- und Zahnspuren auf, was möglicherweise darauf zurückzuführen ist, dass sie nicht direkt in einen Konflikt verwickelt sind“, so die Autoren.

Hakenartige Zahnspuren sind dünne, weiße, parallele Linien, die entstehen, wenn die Zähne eines anderen Tieres die Haut durchstoßen. Diese Linien ermöglichen es, die sozialen Interaktionen dieser Tiere indirekt zu beobachten. Bild: Center for Whale Research.

…aber nicht die Töchter?

Warum richtet sich die Unterstützung nur an die Söhne und nicht an die Töchter? „Dieses Muster mütterlicher Fürsorge lässt sich durch die Theorie der Verwandtschaftsdynamik erklären, die besagt, dass Weibchen ihr hilfsbereites Verhalten bevorzugt auf ihre Söhne richten sollten. Mit anderen Worten: Wenn sich ein Weibchen außerhalb der Gruppe paart, wird das Kalb innerhalb der Gruppe aufgezogen, was für die Gruppe mit Kosten verbunden ist. Umgekehrt belastet ein Männchen, das in einer anderen sozialen Gruppe sich fortpflanzt, seine Gruppe nicht mit diesem zusätzlichen Mitglied.

Ein weiterer Vorteil des Schutzes der männlichen Nachkommen besteht darin, dass diese sich häufiger fortpflanzen als die weiblichen und somit mehr Gene an mehrere Partner verschiedener Familiengruppen weitergeben.

Da die aktuelle Studie nur Orcas im nordwestlichen Pazifik untersuchte, wird es interessant sein zu sehen, ob andere Orca-Gruppen in der nördlichen und südlichen Hemisphäre ein ähnliches Verhalten zeigen.

Mirjana Binggeli, PolarJournal / Deutsche Version: Julia Hager, PolarJournal

Link zur Forschungsarbeit: Grimes et al., Postreproduktive weibliche Orcas reduzieren sozial verursachte Verletzungen bei ihren männlichen Nachkommen, Current Biology (2023), https://doi.org/10.1016/j.cub.2023.06.039

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