Auftauende Permafrostböden stellen eine unermessliche Quelle für uralte Krankheitserreger dar. Ein Forschungsteam fand jetzt heraus, dass solche «zeitreisenden» Pathogene eine potentielle Gefahr für heute lebende biologische Gemeinschaften und auch für den Menschen sind.
Die Freisetzung des starken Treibhausgases Methan ist nur eines der Probleme, die mit dem Auftauen der Permafrostböden einhergehen. Eine weitere, nicht zu vernachlässigende Begleiterscheinung ist das Wiederauftauchen von Krankheitserregern, die über hunderttausende von Jahren tiefgefroren waren und keinen Kontakt zur oberirdischen Welt hatten. Eine neue internationale Studie ergab jetzt, dass diese alten, aus dem Permafrost entweichenden Pathogene moderne mikrobielle Gemeinschaften schädigen könnten und möglicherweise sogar die menschliche Gesundheit bedrohen. Die Studie erschien im Fachjournal PLOS Computational Biology.
Während in Science Fiction-Romanen und Filmen die Vorstellungen über die potentiell katastrophalen Auswirkungen von neu aufgetauchten oder entwichenen Krankheitserregern sehr detailreich, mitunter etwas übertrieben, dargestellt wurden, sind die tatsächlich zu erwartenden Folgen bislang schwer abzuschätzen gewesen.
Das Forschungsteam unter der Leitung von Giovanni Strona, Wissenschaftler bei der Gemeinsamen Forschungsstelle der Europäischen Kommission, untersuchte daher in umfangreichen künstlichen Evolutionsexperimenten die Effekte digital simulierter virusähnlicher Krankheitserreger aus der Vergangenheit auf Gemeinschaften von bakterienähnlichen Wirten.
Die Computersimulationen ermöglichten es den Forschenden, die Auswirkungen der eindringenden Krankheitserreger auf die Vielfalt der Wirtsbakterien mit der Vielfalt in Kontrollgemeinschaften, in denen keine Invasion stattfand, zu vergleichen. So konnten sie die ökologischen Risiken quantifizieren, die von den Erregern ausgehen.
Sie kamen zu dem Ergebnis, dass die alten eindringenden Erreger in der Regel überleben und sich in der modernen Gemeinschaft etablieren konnten, was gelegentlich nicht unerhebliche ökologische Veränderungen nach sich ziehen kann. Es ist zwar mit 0,03 % nur ein sehr kleiner Anteil von alten Erregern, deren Invasion zu unvorhersehbaren Ergebnissen führte, aber im schlimmsten Fall kam es zu einer signifikanten Verringerung der Vielfalt der Wirtsgemeinschaften um etwa 30 % im Vergleich zur Kontrollgruppe. Andererseits kam es im Experiment auch vor, dass ein Erreger die Diversität um bis zu 12 % erhöhte.
Das Autorenteam beschreibt seine Ergebnisse als besorgniserregend, auch wenn das Risiko des Wiederauftretens zeitreisender Krankheitserreger sehr gering erscheint. Aber eben von diesen seltenen Ereignissen geht angesichts der riesigen Anzahl von Mikroben, die freigesetzt werden, ein tatsächliches Risiko aus mit schwerwiegenden ökologischen Auswirkungen und einer Gefahr für die menschliche Gesundheit.
Die Gefahr, die von diesen über lange Zeit eingeschlossenen Pathogenen ausgeht, ist für heute lebende Gemeinschaften unter anderem deshalb so groß, weil die gemeinsame Evolutionsgeschichte und damit die gemeinsame Anpassung zwischen den modernen Arten und den uralten Krankheitserregern fehlt. Dafür wäre eine längere zeitliche und räumliche Überlappung erforderlich.
Julia Hager, PolarJournal