Eine der eindrücklichsten Bilder in der Antarktis sind die riesigen Kolonien von Pinguinen, besonders von Königspinguinen. Die gewaltige Masse an Körpern und spitzen Schnäbeln scheinen Feinde einfach abzuschrecken. Es existieren dazu auch einige Hypothesen, warum die Tiere dieses Verhalten zeigen. Eine französisch-schweizerische Forschungsgruppe hat vier Hypothesen untersucht und dabei entdeckt, dass eine grosse Dichte viel vorteilhafter ist, trotz Stress mit Nachbarn.
Sehen mehr Augen Angreifer früher und lassen entsprechende Fluchtreaktionen zu oder verringert die schiere Masse an Individuen die Angriffswahrscheinlichkeit auf ein einzelnes Tier oder ist es der Versuch, sich in der Mitte von Gruppen vor Angriffen zu schützen, der die Bildung von Gruppen fördert? Und wie stark wiegt Aggression gegenüber Nachbarn bei zu grosser Nähe auf mögliche Vorteile des Gruppenlebens? All diese Fragen hat ein Forschungsteam der Universität Strasbourg unter Beteiligung der Schweizer Vogelwarte Sempach untersucht.
Die Ergebnisse zeigen, dass bei grosser Dichte Angreifer früher erkannt werden und entsprechende Schutzreaktionen zulassen und bei geringerer Dichte Königspinguine mehr mit aggressiven Verhalten gegen Nachbarn beschäftigt sind und so von Angreifern abgelenkt werden. Mehr Schutz durch das Stehen in der Mitte oder durch ein Vermindern des Risikos durch die Menge konnte vom Team nicht bestätigt werden. Die Studie erschien vor kurzem in der Fachzeitschrift Behavioral Processes.
Das Team um Verhaltensforscher Professor Vincent Viblanc und seiner damaligen Doktorandin Tracey Hammer untersuchte in ihrer Arbeit die vier Hypothesen der «vielen Augen», der «Risikoverminderung», der «egoistischen Gruppe» und der «Beuteablenkung», die alle Koloniebildung bei Tieren erklären wollen. Dazu näherten sie sich explizit zu verschiedenen Zeitpunkten brütenden Königspinguinen auf der französischen subantarktischen Insel Crozet gemäss einem standardisierten Protokoll an und notierten Zeitpunkt einer Reaktion und den Abstand zur annähernden Person. Ausserdem notierten sie Reaktionen der Tiere gegenüber den Nachbarn der Vögel. Weiter untersuchten sie die Dichte der Gruppen und konnten so das Verhalten der einzelnen Tiere mit der Gruppendichte verbinden.
Grundsätzlich erwartet man beim Auftauchen einer potentiellen Gefahr entweder eine Drohgebärde gegenüber der Gefahrenquelle oder den Start eines Fluchtverhaltens. Die Resultate zeigten, dass Pinguine, die zu Beginn der Brutsaison in einer weniger dichte Kolonie lebten bei einer Verdichtung der unmittelbaren Nachbarschaft immer später auf Annäherung reagierten, gleichzeitig aber immer aggressiver gegen Nachbarn vorgingen. Das Fluchtverhalten wurde ebenfalls verringert, wie das Team schreibt. Wenn die Kolonie sich im Laufe der Zeit durch Zuwanderung verdichtet und Tiere erst dann mit der Brut beginnen, werden sie aufmerksamer gegenüber sich nähernden potentiellen Gefahrenquellen, was eine Schutzreaktion auslöste. Dazu zählen vor allem erhöhte Aufmerksamkeit und mögliches Flucht- oder Verteidigungsverhalten.
Dagegen konnte das Team keine Veränderung bei der Distanz, ab der eine Flucht gestartet wird, entdecken. Das ist um so überraschender, als dass die Hypothesen bisher davon ausgingen, dass Tiere an der Peripherie einer Gruppe oder Kolonie früher auf einen Angreifer mit Flucht reagieren würden. Eine mögliche Erklärung für das Phänomen liefert gemäss dem Team die hohen Kosten der Fortpflanzungsstrategie. Königspinguine pflanzen sich nur alle zwei – drei Jahre fort, je nach Erfolg und ziehen nur ein Junges auf. Da dies eine hohe persönliche Energieinvestition bedeutet, setzen Königspinguinen eher auf Früherkennung und Verteidigung. «FID (Fluchtinitiierungsdistanz, Anm. d. Red.) könnte dann ein relativ unflexibles Merkmal bei brütenden Individuen dieser Art sein, so dass die Auswirkungen der Verminderungs- oder Ablenkungshypothese auf dieses Merkmal gering sein könnten», schreibt das Forschungsteam.
Insgesamt kommt das Team zum Schluss, dass «Verhaltensentscheidungen von Beutetieren in Bezug auf sich nähernde Bedrohungen komplex sind und wahrscheinlich durch eine Mischung aus sich gegenseitig nicht ausschließenden Hypothesen erklärt werden.» Damit scheint zumindest ein Schritt in Richtung Erklärung für die riesigen Kolonien von Königspinguinen gegeben zu sein.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal