Die vergangenen Wochen und Monate waren geprägt von extremen Wetterereignisse weltweit. Diese dürften nach Expertenmeinungen durch den Klimawandel befeuert, noch weiter zunehmen. Auch die Antarktis wird in Zukunft häufigere und stärkere Extremereignisse erleben, zeigt eine internationale Studie. Gleichzeitig stellen die Autorinnen und Autoren die Gretchenfrage, ob daher die bestehenden Schutzmassnahmen überhaupt noch ausreichen.
Das Bild, das Professor Martin Siegert von der Universität Exeter und seine Kolleginnen und Kollegen von der Zukunft der Antarktis zeichnen, sieht nicht allzu rosig aus: Häufigere Extremereignisse wie verstärktes Abschmelzen des Eises an Land und im umliegenden Ozean, Zusammenbruch von Eisschelfs an den Küsten, vermehrte Hitzewellen, Übernutzung von Fisch- und Krillbeständen und das verstärkte Einschleppen von invasiven Arten durch den Menschen mit all den entsprechenden Konsequenzen für die antarktische Tier- und Pflanzenwelt könnten in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zunehmen. Entsprechend müssen die Antarktisvertragsstaaten und ihre Gremien zum Schutz der antarktischen Umwelt dringend über die Bücher und der Rest der Welt den CO2-Ausstoss auf Null reduzieren. Das sind die Ergebnisse und Schlussfolgerungen einer Übersichtsstudie, die diese Woche in der Fachzeitschrift Frontiers in Environmental Science veröffentlicht worden ist.
Das Team wollte mit seiner Studie die Diskussion rund um Extremereignisse in der Antarktis eröffnen, angetrieben unter anderem durch die dem Klimawandel zugeschriebenen Extremereignisse ausserhalb der Polarregionen und die gegenwärtige Situation des antarktischen Meereises. Dr. Caroline Holmes, BAS-Meereisexpertin und Co-Autorin der Studie erklärte: «Das antarktische Meereis hat in den letzten Wochen für Schlagzeilen gesorgt, und diese Studie zeigt, wie die Meereiswerte in der Antarktis seit mehreren Jahren sinken – zunächst auf Rekordhöhe, seit 2017 dann auf Rekordtiefststand.» Für die Arbeit untersuchte das Team bekannte Extremereignisse in den Bereichen Atmosphäre/Wetter, Ozean, Meereis, Eisschelfs und Gletscher und die Auswirkungen von solchen Ereignissen auf die Vielfalt im Meer und an Land.
Extreme Ereignisse und ihre Auswirkungen
Unter der Leitung von Professor Siegert listete das Autorenteam nicht nur die Ereignisse auf inklusive ihrer Konsequenzen und Gründe, sondern stellte auch die Frage, ob sie sich wiederholen und verstärken würden bei einem weiteren Verbrauch fossiler Brennstoffe und der damit ansteigenden Klimaerwärmung. Hier zeigte sich, dass die Modelle, auf denen die Vorhersagen beruhen, noch Unsicherheiten aufweisen, wenn es um die Frage nach dem Wann und wie stark geht. «Während es eine offene wissenschaftliche Frage ist, inwieweit einige dieser Ereignisse auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe zurückgeführt werden können, ist es in den allermeisten Fällen so gut wie sicher, dass anhaltende Treibhausgasemissionen zu einer Zunahme des Ausmaßes und der Häufigkeit von Ereignissen führen werden, auch wenn die Ursachen derzeit noch nicht darauf zurückgeführt werden können», folgert das Team aus den Ergebnissen.
Die Studie zeigt, dass gewisse Bereiche und auch Organismen in den verschiedenen antarktischen Lebensräum durchaus ein hohes Mass an Widerstandskraft gegenüber den Veränderungen an den Tag legen, zumindest im Moment. Ausserdem weist das Team auf die grossen regionalen Unterschiede bei den Auswirkungen von Extremereignissen hin. Trotzdem kommt es zum Schluss, dass «die empfindliche und verletzliche Umwelt der Antarktis in den kommenden Jahren und Jahrzehnten erheblichen Belastungen und Schäden ausgesetzt sein» könnte.
Die Autorinnen und Autoren weisen in ihrer Studie ebenfalls daraufhin, dass zwar einige der Extremereignisse Teile natürlicher Zyklen sind, aber dennoch viele direkt und indirekt auch menschlicher Aktivitäten zugeschrieben werden können. Ausserdem seien sie nicht nur einzeln und isoliert zu betrachten, so würden ihre Auswirkungen kaskadenartig ausüben.
Reichen Umweltprotokolle des Antarktisvertrages noch aus?
Angesichts der Ergebnisse der Studie, so argumentieren die Autorinnen und Autoren, stelle sich die Frage, ob die im Antarktisvertrag festgelegten und von verschiedenen Kommissionen überwachten Schutzbestimmungen und Massnahmen überhaupt noch ausreichen würden. «Angesichts der raschen Umweltveränderungen und der Ungewissheit müssen die Vertragsparteien prüfen, ob die vorhandenen Instrumente ausreichend sind, um die größtmögliche Chance für den Fortbestand der antarktischen Ökosysteme und Arten in der Zukunft zu bieten», schreibt das Team. Als Beispiel dürfte dabei sicherlich die Unfähigkeit der Kommission für die Nutzung mariner lebender antarktischer Ressourcen CCAMLR sein, sich auf die Einrichtung von Meeresschutzgebieten zu einigen und auch den Krillfang stärker zu regulieren.
Auch die Tatsache, dass Staaten, die zwar im Rahmen des Antarktisvertrages für Schutzmassnahmen in der Region plädieren, gleichzeitig aber ihre im Pariser Klimaabkommen formulierten Ziele nicht einhalten, wenn es um den Verbrauch von fossilen Brennstoffen geht, wird von Martin Siegert angeprangert. «Die Staaten müssen begreifen, dass die Umwelt der Antarktis durch die weitere Erschließung, Förderung und Verbrennung fossiler Brennstoffe überall auf der Welt immer stärker in einer Weise beeinträchtigt wird, die mit ihren Zusicherungen nicht vereinbar ist,» erklärt er.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal
Link zur Studie: Siegert et al (2023) Front Environ Sci (11) Antarctic extreme events, doi.org/10.3389/fenvs.2023.1229283