Für das globale Klima spielt die Atlantische Umwälzzirkulation eine entscheidende Rolle. Doch seit Anfang der 2000er Jahre schwächt sie sich ab und die Sorge über einen möglichen Zusammenbruch des Strömungssystems wächst. Der Klimawandel gilt als mindestens mitverantwortlich für die Abschwächung. Aber auch Nachwirkungen mehrerer aufeinanderfolgender sehr kalter Winter rund um Südgrönland in den 1990er Jahren könnten teilweise eine Rolle spielen, so eine neue Studie.
Die Atlantische Umwälzzirkulation, oder kurz AMOC (Atlantic Meridional Overturning Circulation), verteilt weltweit die durch Sonneneinstrahlung entstandene Wärme und Europa bekommt in Form des Golfstroms, der Teil des riesigen Strömungssystems ist, eine gute Portion davon ab. Ihr hat Europa das vergleichsweise milde Klima zu verdanken — in Alaska zum Beispiel liegen die Temperaturen deutlich unter denen Skandinaviens, obwohl beide Regionen auf dem selben Breitengrad liegen.
Seit 2004 können Forschende die Entwicklung der AMOC direkt messen und seitdem wird eine Abschwächung der Zirkulation beobachtet, die mit dem Eintrag von riesigen Mengen an Schmelzwasser von Grönlands Eisschild zusammenhängen könnten. Ein Forschungsteam vom deutschen GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung in Kiel ist jetzt in einer neuen Modellierungsstudie weiteren Ursachen für die Abschwächung der Zirkulation auf den Grund gegangen. Die Ergebnisse erschienen in der Fachzeitschrift Nature Communications.
Bei ihren aufwändigen Computersimulationen, die die vergangenen 60 Jahre einschlossen, konzentrierten sich die Forschenden auf die Labradorsee zwischen Südwestgrönland und Kanadas Labrador-Halbinsel. Sie stellten fest, dass die Schwankungen dort starke Auswirkungen auf die Tiefenwasserbildung — das Absinken von kaltem, dichtem Oberflächenwasser in die Tiefe — in der Irmingersee zwischen Südostgrönland und Island haben können.
«Die Labradorsee zwischen Kanada und Grönland haben wir Ozeanographen schon seit langem im Visier», sagt Professor Dr. Claus Böning, Ozeanograph am GEOMAR und Leiter der Studie. «Winterstürme mit eisiger Luft lassen hier die Meerestemperaturen so weit abkühlen, dass das Oberflächenwasser schwerer als das darunter liegende Wasser wird. Die Folge ist eine tiefreichende winterliche Vermischung der Wassersäule, wobei Volumen und Dichte der dabei gebildeten Wassermasse von Jahr zu Jahr stark schwanken können.»
Insbesondere die Jahre 1990 bis 1994, in denen sehr kalte, harsche Winter die Labradorsee besonders stark abkühlten, hoben sich von den anderen ab. In den darauffolgenden Jahren stellten die Forschenden ein deutlich verstärktes Absinken der Wassermassen in der Irmingersee fest, was in den Modellberechnungen einen um mehr als 20 Prozent erhöhten Transport der atlantischen Umwälzbewegung nach sich zog. Gegen Ende der 1990er Jahre erreichte der Transport sein Maximum.
Auf Basis dieser Ergebnisse vermutet das Forschungsteam, dass die ab 2004 gemessene Abschwächung der AMOC zumindest teilweise eine Nachwirkung dieses Transportmaximums sein könnte, das dann in der Abklingphase war.
In einer Pressemeldung des GEOMAR betont Professor Dr. Arne Biastoch, Leiter der Forschungseinheit Ozeandynamik am GEOMAR und Co-Autor der Studie, dass alle Klimamodelle eine Abschwächung der Atlantischen Umwälzzirkulation als Folge des vom Menschen verursachten Klimawandels als «sehr wahrscheinlich» für die Zukunft voraussagen, auch wenn die bisherigen Ergebnisse derzeit nicht sagen können, ob eine längerfristige Abschwächung erfolgt.
Würde es nicht nur zu einer Abschwächung, sondern, wie zuletzt vor 12.000 Jahren, erneut zu einem Zusammenbruch der AMOC kommen, könnte das weitreichende Folgen für den gesamten Planeten haben. Eine nur kurz zuvor, ebenfalls in Nature Communications erschiene Studie, warnt davor, dass dies möglicherweise schon sehr bald — zwischen 2025 und 2095 — passieren könnte. Auch wenn andere Wissenschaftler einen baldigen Kollaps als fraglich ansehen, besteht allgemeiner Konsens über die möglichen Folgen:
- Die nördliche Hemisphäre wäre von einer drastischen Abkühlung der Lufttemperaturen betroffen, insbesondere über dem Arktischen Ozean und dem Nordatlantik südlich von Grönland.
- Vor allem Europa würden kältere Zeiten bevorstehen mit mehr Winterstürmen und einem Temperaturabfall von 3°C bis 8°C.
- Die Temperaturen in den Tropen würden noch weiter steigen.
- In der Sahelzone würde noch weniger Regen fallen, mit verheerenden Folgen für die Getreideernte.
- Der Sommermonsun in Asien würde sich abschwächen.
- Der Meeresspiegel würde noch schneller steigen.
- Geringfügige Veränderungen der atlantischen Strömungen könnten schwerwiegende Auswirkungen auf die Meeresorganismen haben.
Selbst wenn sich die Wissenschaft noch uneins ist, wie nah wir dem Kipppunkt der AMOC wirklich sind, ist es sicher, dass er kommen wird — mit potentiell massiven Auswirkungen weltweit. Als Beispiel dienen vielen Expertinnen und Experten die globalen Extremereignisse der letzten Wochen und Monate. Diese haben sogar die Klimawissenschaftlerinnen und -wissenschaftler überrascht, die mit solch starken Auswirkungen noch nicht gerechnet hatten.
Julia Hager, PolarJournal
Links zu den Studien: