Auf der Grundlage wissenschaftlicher Daten, die zwei Botaniker vor 20 und 90 Jahren in Grönland erhoben haben, ist ein Schweizer Forschungsteam denselben Weg gegangen, um die Veränderungen in der Flora und die Auswirkungen der globalen Erwärmung zu bewerten.
Am 25. Juli waren zwei Wissenschaftler des WSL Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) in der Schweiz und eine Masterstudentin der Universität Basel zu einer Expedition in eine abgelegene Ecke im Nordosten Grönlands aufgebrochen. Das Ziel des Projekts klingt wie das jeder modernen Expedition: die Identifizierung lokaler Pflanzenpopulationen, die Analyse ihrer Entwicklung über die letzten Jahrzehnte und die Messung der Auswirkungen des Klimawandels auf die Flora. Doch die Idee dahinter ist alles andere als neu. Das Team folgte den Spuren zweier früherer Expeditionen, die an denselben Orten und auf denselben Wegen durchgeführt wurden: „Wir betreiben hier historische Botanik, indem wir uns auf die Spuren eines dänischen Botanikers begeben, der 1931/32 und 34 in diesem Gebiet war. Ein Schweizer Botaniker wiederholte 70 Jahre später dieselbe Pflanzenerhebung, von Meereshöhe bis auf 1.300 Meter“, erklärt Christian Rixen, leitender Wissenschaftler am SLF, nach seiner Rückkehr von der Feldarbeit.
Die Idee, die Expedition ein drittes Mal durchzuführen, entstand nach einem Treffen von Rixen mit einem Schweizer Botaniker: „Wir hatten Fritz Hans Schwarzenbach vor etwa 12 Jahren kennengelernt und er erzählte uns von seiner Arbeit.“ Der Wissenschaftler, der es gewohnt war, immer wieder Berggipfel und die Flora zu untersuchen, indem er die Arbeit von Botanikern aufgriff, die teilweise bis ins Jahr 1835 zurückreichte, wurde von Schwarzenbach kontaktiert: „Da er diese historischen Daten aus Grönland hatte, fragte er sich, ob dies eine Zusammenarbeit zwischen der Schweiz, Dänemark und Grönland wiederbeleben könnte.“
Der 2018 verstorbene Schwarzenbach hatte stets die historische Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Grönland hervorgehoben. So nahm der berühmte Geologe Lauge Koch bei seinen zahlreichen Expeditionen auf die Insel immer auch Schweizer Wissenschaftler mit. 1995 organisierte Schwarzenbach sogar ein Wiedersehen mit den Schweizer Mitgliedern dieser Expeditionen. „In gewisser Weise folgen wir nicht nur unserer biologischen Arbeit, sondern auch den historischen Fußstapfen dieser Pioniere“, sagt Rixen.
Mit Unterstützung des europäischen INTERACT-Programms bereitete das Wissenschaftlerteam seine Expedition vor, indem es die historischen Daten seiner Vorgänger sorgfältig ordnete: „Vom Meeresspiegel bis zum Berggipfel haben wir für jede Hundert-Meter-Zone Informationen darüber, wo die einzelnen Arten wachsen. Und es gibt insgesamt etwa 130 verschiedene Arten. Es war klar, dass wir das Gleiche tun mussten, d.h. zuerst auf die höchste Höhe aufsteigen, dann wieder absteigen und dabei jede neue Art, die in eine höhere Höhe gewandert ist, erfassen.“
Zusätzlich zu der Ausrüstung, die ihr Überleben sichern sollte, nutzte das Team auf ihre Telefone heruntergeladene Karten, die es ermöglichten, die Route der früheren Wissenschaftler genau zu verfolgen. Solarzellen für die Stromversorgung und Batterien vervollständigten die Ausrüstung, ebenso wie Satellitentelefone für Notfälle und zur Sicherstellung der Kommunikation mit der nahe gelegenen wissenschaftlichen Station Zackenberg: „Ich möchte INTERACT und der Zackenberg-Station wirklich dafür danken, dass sie dieses Projekt möglich gemacht haben. „, so Christian Rixen, dessen Team sich auf die logistische Unterstützung der Station verlassen konnte.
Sich anpassen durch Aufsteigen
Studien aus dem Jahr 2001 hatten bereits gezeigt, dass sich viele Arten infolge des Klimawandels nach oben bewegen. Rixen erwartet, dass er bei seinen Ergebnissen das gleiche Phänomen beobachten wird: „Ich denke, es würde mit dem übereinstimmen, was Schwarzenbach beobachtet hat. Es ist nicht sehr überraschend, aber sehr interessant. Es scheint, dass viele Arten jetzt in höheren Lagen zu finden sind. Nach Geltings Erhebungen von 1930 wurden nur acht Arten in Höhen von 1.225 Metern und höher gefunden. Im Jahr 2001 entdeckte Schwarzenbach 28 Arten zwischen 1.225 und 1.320 m.“
Es wird zwar noch einige Zeit dauern, bis die Wissenschaftler ihre Ergebnisse auswerten können, aber sie erwarten schon jetzt, dass sie den beobachteten Trend feststellen und bestätigen können: Im Durchschnitt haben sich die Arten der Clavering-Insel in 70 Jahren um 38 Meter erhöht. Dies entspricht einem Anstieg von etwa fünf bis sechs Metern pro Jahrzehnt. Dies ist jedoch weniger als bei anderen Pflanzenarten, die sich näher an unseren Breitengraden befinden, denn Studien haben für bestimmte alpine Arten einen Anstieg von 28 Metern pro Jahrzehnt festgestellt. Die Größenordnung ist zwar unterschiedlich, aber das Muster ist dasselbe: Sie wandern höher hinauf, um zu überleben.
Außerdem passen sich nicht alle Pflanzen auf die gleiche Weise an, und einige können durchaus verschwinden. Rixen und sein Team sind jedoch vorsichtig: „Es gibt ein paar Arten, die wir nicht gefunden haben, aber ich würde nicht sagen, dass sie verschwunden sind. Wir sprechen von einem ziemlich großen Gebiet, und wenn eine Pflanze nicht am selben Ort vorkommt, ist es gut möglich, dass wir sie einfach nicht gesehen haben“. Umgekehrt fand das Team einen Hahnenfuß (Ranunculus auricomus), den keiner der bisherigen Forscher beobachtet hatte. Diese hübsche gelbe Blume könnte ein Neuankömmling in dieser Region oder bisher übersehen worden sein.
Trotz der Schwierigkeiten, solche Forschungen in abgelegenen Gebieten der Arktis durchzuführen, bietet die Untersuchung von Pflanzen einen wertvollen Indikator für den Klimawandel. Wenn Forschende auf die Arbeit der Vergangenheit zurückgreifen können, liegen die Vorteile auf der Hand: „Historische Forschung dieser Art ist eine unglaublich wertvolle Ressource für das Verständnis der Veränderungen, die auf unserem Planeten und in der Natur stattfinden“, betont Rixen. „Wenn man an denselben Ort zurückkehrt, kann man sehr deutlich sehen, welche Pflanzen in welchem Verhältnis verschwunden sind. Alles hängt natürlich von der Qualität der historischen Aufzeichnungen ab, und ich denke, wir haben hier eine sehr gute historische Quelle gefunden.“
Mirjana Binggeli, PolarJournal / Deutsche Version: Julia Hager, PolarJournal