Zwiespalt in Alaskas Arktis: Besserer Naturschutz, weniger Öl- und Gasförderung | Polarjournal
Der nördliche Teil des Arctic National Wildlife Refuge zwischen Brooks Range und Arktischem Ozean ist eine große ebene Fläche. Hier bringen die Porcupine-Karibus ihre Jungen zur Welt. Gut für sie, dass die Öl- und Gaspachtverträge in der «Area 1002» annulliert wurden. Foto: USGS

In zwei riesigen Gebieten in Alaskas North Slope Borough, dem National Petroleum Reserve Alaska und dem Arctic National Wildlife Refuge, wird nach einem Beschluss von US-Präsident Joe Biden die Öl- und Gasförderung stark eingeschränkt. Umweltschützern gehen die Maßnahmen nicht weit genug, Republikaner und auch Iñupiat sind hingegen empört.

Eine so umfangreiche Ausweitung von Naturschutzgebieten haben die USA seit 20 Jahren nicht erlebt: Anfang September meldete das US-Innenministerium, die verbleibenden sieben Öl- und Gaspachtverträge im Arctic National Wildlife Refuge (ANWR) annulliert zu haben sowie 5,26 Millionen Hektar des National Petroleum Reserve von Alaska (NPRA) unter Schutz stellen zu wollen — ein äußerst wichtiger Schritt angesichts des Klimawandels und auch für den Schutz der arktischen Tierwelt in Alaskas North Slope Borough. Darüberhinaus wird die Beaufortsee nördlich von Alaska auf einer Fläche von 1,13 Millionen Hektar geschützt, womit der gesamte Arktische Ozean der Vereinigten Staaten für neue Öl- und Gaspachtverträge gesperrt ist.

«In Anbetracht der Tatsache, dass sich die Arktis durch den Klimawandel mehr als doppelt so schnell erwärmt wie der Rest des Planeten, müssen wir alles in unserer Macht Stehende tun, um die höchsten Standards für den Schutz dieses empfindlichen Ökosystems zu erfüllen», sagte Deb Haaland, US-Innenministerin, in der Pressemeldung vom 6. September.

Das Arctic National Wildlife Refuge (ANWR) liegt im Osten des North Slope Borough an der Grenze zu Kanada. Die «Area 1002» liegt im Norden an der Küste der Beaufortsee. Im National Petroleum Reserve von Alaska (NPRA) sollen die Sondergebiete mit einer Fläche von mehr 5 Millionen Hektar unter maximalen Schutz gestellt werden. Gleichzeitig sollen die Subsistenzaktiväten der indigenen Gemeinschaften unterstützt werden. Karte: USGS

Beide Gebiete, ANWR im Osten sowie das weiter westlich gelegene NPRA, sind extrem wichtige Lebensräume für Eisbären, Grizzlybären, hunderttausende Zugvögel und Karibus. Insbesondere die nun neu unter Schutz gestellte Fläche «1002» mit einer Größe von etwa 150.000 Hektar im ANWR an der Küste der Beaufortsee ist essentiell für die Porcupine-Karibus, da sie hier ihre Jungen zur Welt bringen.

Der Beschluss löste, wie zu erwarten, sehr gegensätzliche Reaktionen aus. Auf der einen Seite zeigten sich Vertreter des indigenen Stammes der Gwich’in, die in mehreren Gemeinden im östlichen North Slope leben, sehr erfreut über die Verbote: «Es ist ein Schritt in die richtige Richtung, den diese Regierung gemacht hat», sagte Bernadette Dementieff, Geschäftsführerin des Gwich’in Steering Committee von Alaska, gegenüber der kanadischen CBC News. «Wir haben noch viel Arbeit vor uns, um das Schutzgebiet dauerhaft zu schützen, aber ich freue mich sehr über diese Nachricht.»

Bernadette Dementieff, Geschäftsführerin des Gwich’in Steering Committee kämpft seit Jahren für den Schutz der Arktis, hier im September 2019. Foto: Deb Haaland via Twitter

Zu den Befürwortern gehören auch Umweltorganisationen, die wahrscheinlich durch ihren Druck auf die Regierung zu der Entscheidung beigetragen haben. Vielen gehen die Maßnahmen jedoch nicht weit genug — das äußerst umstrittene Willow-Projekt im NPRA bleibt davon unberührt. 

Dennoch: «Heute ist ein guter Tag für das Klima, indigene Gemeinschaften und unser arktisches Ökosystem. In einer Zeit, in der die Realität der Klimakrise täglich in den Nachrichten auftaucht, ergreift die Regierung Biden notwendige Maßnahmen in der Arktis, um uns in eine nachhaltigere Zukunft zu führen. Im Rahmen des illegalen Coastal Plain Leasing Programms von Präsident Trump hätten niemals Pachtverträge im Arctic Refuge vergeben werden dürfen, insbesondere nicht an AIDEA (Alaska Industrial Development and Export Authority, Anm. d. Red.) – ein staatliches Entwicklungsunternehmen mit einer Reihe von Fehlschlägen und keinerlei Erfahrung im Bereich Öl und Gas», erklärte Kristen Miller, Geschäftsführerin der Alaska Wilderness League in einer Pressemitteilung. 

Die Öl- und Gaspachtverträge im ANWR waren bereits im Januar 2021 von Präsident Biden ausgesetzt worden, nachdem sie nur kurz zuvor noch von der früheren Trump-Regierung verkauft worden waren. Die nun erfolgte Annullierung wurde wegen inzwischen nachgewiesener «schwerwiegender rechtlicher Mängel» möglich. Unter anderem fehlten hinreichende Umweltverträglichkeitsprüfungen.

Zu den Gegnern der Annullierung gehört die AIDEA, die sieben der ursprünglich neun Pachtverträge kaufte, nachdem große Ölkonzerne aufgegeben hatten. Sie reagierte erwartungsgemäß empört und kündigte in einer Pressemitteilung an, gegen die Entscheidung der Biden-Regierung vor Gericht zu ziehen.

Dan Sullivan, republikanischer US-Senator für Alaska, verurteilte Präsident Bidens Entschluss sogar als den jüngsten Schlag in einem «Krieg gegen Alaska». Aber auch die Demokraten in Alaska sind nicht glücklich mit der Kündigung der Pachtverträge, weil die Öl- und Gasförderung ein wichtiger Wirtschaftsfaktor für indigene Gemeinschaften sei. 

Vertreter der Iñupiat stimmen dem zu und kritisieren die Entscheidung ebenfalls. Sie sehen eine Verletzung ihrer Rechte, insbesondere nachdem Präsident Biden explizit die Zusammenarbeit mit lokalen indigenen Gemeinschaften versprochen hatte. In einer Erklärung der Voice of the Arctic Iñupiat — einer Organisation, die die Iñupiat in der North Slope Region vertritt — kündigt ihr Präsident Nagruk Harcharek an, «weiterhin die Öffnung des Gebiets 1002 des ANWR für Explorations- und Erschließungsprojekte zu unterstützen.»

Iñupiat leben in acht Gemeinden bzw. Städten im North Slope Borough und sind sowohl von der Annullierung der Öl- und Gaspachtverträge im ANWR als auch von der Erweiterung des Schutzgebietes im NPRA betroffen.

Die Porcupine-Karibuherde ist mit 218.000 Tieren eine der größten Herden weltweit. Die Gwich’in fürchten, das sich dies ändern könnte, sollte die Öl- und Gasförderung in einem ihrer wichtigsten Lebensräume doch noch erlaubt werden. Foto: Gary Braasch via Flickr (CC BY-NC-ND 2.0)

Es steht zu befürchten, dass das Tauziehen um den Schutz der arktischen Natur und Tierwelt einerseits und der Öl- und Gasförderung als Wirtschaftsfaktor andererseits mit diesem weitreichenden Beschluss der gegenwärtigen Regierung noch kein Ende gefunden hat. Beide Seiten werden weiter für ihre Interessen kämpfen und es bleibt zu hoffen, dass die Natur dabei nicht verliert.

Julia Hager, PolarJournal

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