Klimawandel lässt neue Flüsse in der Arktis entstehen | Polarjournal
Polygonförmige Muster im Permafrostboden wie hier auf Svalbard entstehen durch eine Vielzahl von Gefrier- und Auftauvorgängen. Bisher ging man davon aus, dass dafür Zeiträume in der Größenordnung von Jahrhunderten notwendig sind. Foto: Julia Hager

Die starke Erwärmung der Arktis führt innerhalb von Jahrzehnten zur Bildung von Polygonmustern im arktischen Permafrostboden und zur Entstehung neuer Flüsse — ein Rezept für schnelleres Auftauen des Permafrostbodens. 

Die Permafrost-Landschaft in der Arktis verändert sich aufgrund des Klimawandels viel schneller als bisher angenommen. Innerhalb von nur 60 Jahren hat sich die Struktur eines Flussnetzes, das auf der Insel Axel Heiberg in der kanadischen Hocharktis die Permafrostlandschaft durchzieht, grundlegend verändert. 

Ein internationales Forschungsteam dokumentierte das Zusammenspiel zwischen dem Klimawandel, der Gefrier-Tau-Dynamik des Polygonmusterbodens und der Zufuhr von Oberflächenwasser durch Überschwemmungen und Schnee- und Eisschmelze. Während die Quellen des Oberflächenwassers in Permafrostlandschaften im allgemeinen bekannt sind, fehlte den Forschenden zufolge noch das Verständnis darüber, wie diese den Zeitpunkt und die Geschwindigkeit der Entstehung von Wasserläufen und der Entwicklung von Flussnetzwerken bestimmen.

Ihre Forschung eröffnete den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine neue Sicht auf die physikalischen Faktoren, die die Geschwindigkeit und das Muster der Flusslaufentwicklung in diesen empfindlichen Landschaften bestimmen.

Das Untersuchungsgebiet liegt im Muskox Valley auf der Insel Axel Heiberg im äußersten Norden Kanadas (kleine Karte links oben). Das Tal ist etwa acht Kilometer lang und ein Kilometer breit. Die kleinen Bilder im unteren Teil sind Detailaufnahmen von Polygonmustern im Permafrostboden. Der Graph oben rechts zeigt die durchschnittliche Lufttemperaturanomalie an der Oberfläche seit 1900 mit einem deutlichen Aufwärtstrend. Abbildung: Chartrand et al. 2023

«Einer der wichtigsten Prozesse, die wir bei der Entwicklung von Flussnetzwerken identifiziert haben, ist, dass ihre Entwicklung von der Art und Weise beeinflusst wird, wie Wasser durch Felder von etwa 10 Meter breiten Polygonen fließt, die durch das Gefrieren und Auftauen des Bodens in arktischen Regionen entstehen», sagt Shawn Chartrand, Assistenzprofessor an der School of Environmental Science der Simon Fraser University in British Columbia, Kanada, und Hauptautor der Studie, in einer Pressemeldung der Universität. Darüberhinaus spielen der Zeitpunkt, das Ausmaß und die Dauer von Überschwemmungsereignissen eine Rolle und, ob die darunter liegenden Sedimentpartikel gefroren oder teilweise gefroren sind.

Bei der Feldforschung konzentrierten sich die Forschenden auf das Muskox Valley auf Axel Heiberg. Nach ihren Beobachtungen im Jahr 2019, bei denen sie auch LiDAR-Daten erhoben, suchten sie nach historischen Aufzeichnungen aus der Region. Sie fanden Luftaufnahmen aus dem Jahr 1959 und verglichen diese mit ihren eigenen Beobachtungen, um zu verstehen, wie sich die Landschaft der Insel über einen Zeitraum von 60 Jahren entwickelt hat.

«Zusammenhängende physikalische Prozesse können Flussläufe vertiefen und Flussnetzwerke erweitern, wodurch mehr Fläche für den Wärmeaustausch entsteht, was die lokalen Tauraten des Permafrosts erhöhen kann», erklärt Mark Jellinek, Professor für Erd-, Meeres, und Atmosphärenwissenschaften an der University of British Columbia und Co-Autor der Studie. «Diese Kaskadeneffekte können die Freisetzung von Treibhausgasen in der Arktis verstärken, wenn der organische Kohlenstoff im Boden auftaut und der Permafrost sich zurückzieht.»

Im ersten Teil des Videos ist das Tal zu sehen, in dem das Forschungsteam das Camp errichtet hat auf der Ostseite von Axel Heiberg. Ab Minute 2:02 fliegt das Team über das Untersuchungsgebiet, wo die Polygone im Boden deutlich zu erkennen sind.

Ein Digitales Höhenmodell (DEM), das die Forschenden anhand der LiDAR-Daten von einem 400 Meter langen Talabschnitt erstellten, ermöglichte ihnen die Modellierung der Wasserbewegungen in der Landschaft. Sie fanden heraus, dass Hochwasser, das durch miteinander verbundene Polygontäler fließt, die Wahrscheinlichkeit von Erosion und Kanalbildung erhöht, so Chartrand.

Bei Überschwemmungen des Talsees und durch die saisonale Schmelze von Schnee und Bodeneis wird Wasser zugeführt, das sich talabwärts sammelt. Mit dem Wasser wird der Transport grobkörniger Sedimente ermöglicht sowie die Entstehung von Kanalsystemen entlang des Talbodens. Der Zeitpunkt der Überschwemmungen während des Tauwetters kann jedoch beeinflussen, wie stark die Erosion ist.

«Die Erwärmung der Lufttemperaturen spielt hier eine Rolle», erklärt Chartrand. «Wir gehen davon aus, dass Erosion und Sedimenttransport davon abhängen, ob die Überschwemmungen vor oder nach einer Periode erhöhter Lufttemperaturen stattfinden, da dies die Tiefe beeinflusst, bis zu der die Sedimentpartikel aufgetaut werden, und somit auch, ob die Partikel von den Überschwemmungsgewässern transportiert werden.»

Die Forschenden betonen die dringende Notwendigkeit, solche Beobachtungsdaten für die Entwicklung physikalischer Vorhersagemodelle zu nutzen. Diese würden helfen, besser zu verstehen, wie sich die arktischen Flussnetze bei weiterer Erwärmung und zunehmenden Klimaschwankungen in den kommenden Jahrzehnten entwickeln werden.

Neben der erhöhten Freisetzung von Kohlendioxid und Methan aus dem schneller auftauenden Permafrostboden könnte der Transport von größeren Mengen an Sedimenten, Nährstoffen und Metallen durch sich ausweitende Flussnetzwerke in empfindlichen Wassereinzugs- und Fischfanggebieten möglicherweise erhebliche Folgen für die Tierwelt, die Gewässer und die Bevölkerung in den Küstengebieten haben. 

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Shawn M. Chartrand, A. Mark Jellinek, Antero Kukko et al. High Arctic channel incision modulated by climate change and the emergence of polygonal ground. Nature Communications, 2023; 14 (1) DOI: 10.1038/s41467-023-40795-9

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