Zwischen Klimagipfel in New York und COP28 in Dubai | Polarjournal

Die Klimawoche im September in New York ist zu einer festen Größe des Umweltkalenders geworden. Während die politischen Größen der Welt zur UNO-Generalversammlung eintreffen, soll das Klima ins Zentrum des öffentlichen Geschehens gerückt werden. Dieses Jahr lud der UN-Generalsekretär selbst für den 20. September zu einem besonderen Klimagipfel Climate Ambition Summit  ein, um dem ins Stocken geratenen Klimaprozess Aufwind zu verleihen. Es sollten konkrete Klimamaßnahmen vorgestellt werden, um das fossile Zeitalter zu beenden,  nachdem Treffen der G7 sowie der G20  keine großen Fortschritte gebracht hatten. Es sind nur noch 10 Wochen bis zur UN-Klimakonferenz COP28, die in den ölreichen Vereinigten Emiraten stattfindet.  

Im Vorfeld des UN-Klimagipfels gingen in New York tausende auf die Strasse, um mehr Klimaschutz zu verlangen. Laut Greenpeace nahmen in mehr als 60 Ländern über 600,000 Menschen an Protestveranstaltungen teil.

Globaler Klimastreik in Bonn, Deutschland am 15.9.2023 (Foto: I. Quaile)

Horrende Hitze zeigt horrende Auswirkungen”, so der UNO-Chef am Mittwoch vor einer ausgewählten Koalition von Politikern, Geschäftsleuten und Zivilgesellschaft. Er wollte nur “movers and doers” dabei haben: Führende Persönlichkeiten, die in Sachen Klimaschutz wirklich etwas bewegen und konkrete Ergebnisse vorzeigen können. Es sollte ein dringender Aufruf zum Handeln werden, um “kaskadierenden Klimakatastrophen” entgegen zu wirken. Wir brauchen eine gerechte Energiewende, so der UN-Chef – bevor es zu spät ist.

Extremwetterereignisse häuften sich, sagte Guterres. Ernten würden durch Überflutung zerstört, steigende Temperaturen führten zu gefährlichen Krankheiten, Waldbrände trieben Menschenmassen in die Flucht. 

“Die Menschheit hat das Tor zur Hölle geöffnet”, so der UN-Generalsekretär. Die Herausforderung habe dermaßen riesige Ausmaße angenommen, das die Menschheit, mit ihren Versuchen, das Klima zu schützen, wie ein Zwerg erscheine. Wir befänden uns auf einem Pfad, der zu einem Temperaturanstieg von 2,8°C führen würde mit zunehmenden Gefahren und Instabilität.

Das ist erschreckend.

“Unser Haus brennt”: Plakat in Bonn (Foto: I. Quaile)

Bei der Eröffnung der New Yorker Klimawoche betonte der neue Vorsitzende des Weltklimarats (IPCC) Jim Skea, die Wissenschaft spreche eine eindeutige Sprache. Es sei entscheidend, in diesem Jahrzehnt ehrgeizig und bestimmt gegen den Klimawandel vorzugehen. Die Treibhausgase müssten bis 2030 halbiert werden, um die globale Erwärmung auf 1,5°C zu begrenzen und die zunehmenden und gefährlichsten Auswirkungen des Klimawandels zu vermeiden. 

Allerdings zeigte das kürzlich von der UNO veröffentlichte Global Stocktake oder die “globale Bestandsaufnahme”, dass Länder hinter ihre Versprechen zurückfallen, und dass die Welt nicht auf Kurs ist, um der globalen Erwärmung Einhalt zu gebieten. Es bedarf zusätzlichen Handelns an allen Fronten.

Kohle, Öl und Gas sind immer noch für 75 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die UNO schreckt nicht mehr davor zurück, die Ursachen beim Namen zu nennen.

Die Kryosphäre schlägt Alarm

Die Polargebiete und die anderen eis- und schneebedeckten Regionen unseres Planeten schicken uns mit die stärksten Signale der verheerenden Auswirkungen der Erwärmung.

Die Antarktis, eine Bastion der Kälte, die lange als immun gegen die Erwärmung galt, erwärmt sich inzwischen doppelt so schnell wie der globale Durchschnitt

Die Ausdehnung des Meereises in der Antarktis erreichte ein neues Allzeittief

Grönland, die Eisinsel verliert seit einem Vierteljahrhundert Eis. Laut Twila Moon, vom National Snow and Ice Data Center der University of Colorado Boulder, könnte der riesige Eisschild einem Kipppunkt nahe sein, der unumkehrbar zu einem massiven Anstieg des Meeresspiegels führen könnte.

“Rettet unseren Schneemann” (Bonn, September 2023) (Foto: I. Quaile)

Die Gletscher schmelzen, der Permafrost taut

Einer im Juni vorgestellten Studie zufolge schmelzen auch die Gletscher am Hindukusch und im Himalaya  so schnell wie nie zuvor. Sie könnten in diesem Jahrhundert bis zu 80 Prozent ihres derzeitigen Volumens verlieren. Das ist das Ergebnis eines Berichts des in Kathmandu ansässigen International Centre for Integrated Mountain Development (ICIMOD).   Seit 2010 seien die Gletscher 65 Prozent schneller geschwunden als im Jahrzehnt zuvor. Auch die Schneedecke nehme ab, heißt es in dem Bericht. Bei einer Erwärmung um 1,5 Grad Celsius oder zwei Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit würden die Gletscher in der Region bis zum Jahr 2100 rund 30 bis 50 Prozent ihres Volumens verlieren, heißt es in der Studie der internationalen Forscher. Bei einer Erwärmung von drei Grad würden die Gletscher im östlichen Himalaya bis zu 75 Prozent ihres Eises verlieren – bei vier Grad bis zu 80 Prozent. Die Folgen für die Region wären erheblich. Zwei Milliarden Menschen sind nach Angaben von ICIMOD in der Hindukush-Himalaya Region für Wasser, Nahrungsmittel und Energie von Schmelzwasser abhängig. 

Auch in der Schweiz und in Europa schmelzen die Gletscher aufgrund der extrem hohen Temperaturen. 2023 könnte, was den Eisverlust anbelangt, zum bislang zweitschlimmsten Jahr nach einem Abtaurekord 2022 werden, so Matthias Huss vom Schweizerischen Gletschermessnetz Glamos, im Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland

Messung von Permafrostemissionen in Zackenberg, Grönland (Foto: I. Quaile)

Der Klimawandel lässt auch den Permafrost tauen. Nach Angaben von Christina Schaedel vom Woodwell Climate Research Center, verursacht der abtauende Permafrost bereits so viele Emissionen von CO2 und Methan wie beispielsweise Japan. Um solche Erwärmungsrückkopplungen zu begrenzen, komme es auf jedes Zehntelgrad der Erwärmung an. Zwei Grad seien viel zu hoch für den Permafrost, so Schaedel. 

Länderallianz zum Schutz der Kryosphäre

Schaedel gehört zu einer Gruppe von einflussreichen Wissenschaftlern, die während der Klimawoche in New York vor den drastischen Auswirkungen der Eis- und Schneeschmelze warnten, sollte die Menschheit die Klimaerwärmung nicht unter 1,5°C halten können. Auf Einladung der Ländergruppe AMI (Ambition on Melting Ice High-level group on Sea-level Rise and Mountain Water Resources), präsentierten sie die neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse der Kryosphärenforschung. Die bei der letzten Klimakonferenz in Ägypten gegründete Gruppe vereint Polar- und Bergnationen mit tropischen und subtropischen Ländern, die zunehmend über die Auswirkungen der Eisschmelze auf den Meeresspiegel, ihre Wasserversorgung und zunehmende Wetterextreme besorgt sind. Unsere Leser wird es vermutlich kaum überraschen, dass Veränderungen der Eis- und Schneebedeckung nicht nur lokal sondern global weitreichende Konsequenzen haben werden und bereits haben. Veränderungen an den Polen, die durch die Verbrennung von Öl, Kohle und Gas ausgelöst werden, haben auch für Länder wie Liberia oder Samoa verheerende Auswirkungen. Weitere Länder werden der AMI-Koalition bei den Klimaverhandlungen im November in den ölreichen Emiraten beitreten. 

Vertreter der chilenischen und norwegischen Regierungen betonten im Namen der Länderallianz die Notwendigkeit sofortiger Maßnahmen, um die 1,5°C-Grenze einzuhalten. Selbst eine kurzzeitige Überschreitung des oberen Limits von 2°C könnte katastrophale Folgen haben.

1,5°C muss die Obergrenze bleiben

Laut dem Klimaabkommen von Paris soll der weltweite Temperaturanstieg möglichst auf 1,5 Grad Celsius, auf jeden Fall aber auf deutlich unter zwei Grad Celsius im Vergleich zum vorindustriellen Zeitalter beschränkt werden. Man kann leicht den Eindruck bekommen, dass das niedrigere Limit von 1,5°C inzwischen als das Hauptziel akzeptiert worden wäre. Leider befürchten aber erfahrene Beobachter, dass einige Länder auf der Konferenz im ölreichen Dubai im November alles daran setzen werden, um diese Obergrenze aufzuweichen. Damit könnten fossile Brennstoffe noch länger eingesetzt werden. In der Realität peilten viele Länder immer noch 2°C als Oberlimit an, sagte  Pam Pearson, Leiterin der International Cryosphere Climate Initiative (ICCI), im Rahmen der New Yorker Klimawoche. Dabei wäre diese höhere Zahl niemals angenommen worden, wenn man die wissenschaftlichen Ergebnisse von heute damals gehabt hätte, so Pearson.

ICCI-Leiterin Pam Pearson (Foto: I. Quaile)

Sollte das nicht eine Selbstverständlichkeit sein? Leider ist dies nicht der Fall. UN-Chef Guterres hatte seinen New Yorker Gipfel ins Leben gerufen, um noch einmal eindrucksvoll daran zu erinnern, dass der Treibhausgasausstoß bereits bis 2030 halbiert werden müsse, um das Netto-Null-Ziel 2050 zu erreichen. Die Liste der wichtigen Player, die nicht teilnahmen, zeigt die Ausmaße des Problems, vor dem wir stehen.

Kein Quantumsprung

Von den über 100 Regierungen, die Interesse geäußert hatten, ließ Guterres nur 34 zu. Er wollte nur Akteure dabei haben, die Erfolge im Klimaschutz vorzeigen können. Er würde sich sehr freuen, wenn mehrere G20 Länder auf dem Gipfel einen Quantumsprung bei ihren Bemühungen um Treibhausgasreduktionen bekannt geben würden; außerdem bessere finanzielle Unterstützung für Entwicklungsländer, sagte Guterres auf einer Pressekonferenz im Vorfeld des Treffens. Nur fünf der G20-Länder schafften es allerdings auf die Rednerliste in New York.  Die größten Emittenten USA und China waren nicht dabei.

Mit seiner Auswahl wollte der UN-Chef diejenigen auszeichnen, die sich besonders ehrgeizig um den Klimaschutz bemühen – aber auch ein Zeichen gegen diejenigen setzen, die zu wenig tun. 

Stoppschild für Kohle (Protest in Bonn) (Foto: I. Quaile)

Deutliche Sprache

Der einzige amerikanische Politiker, der reden durfte, war Gavin Newsom, Gouverneur Kaliforniens, der kürzlich eine Reihe von Klimamaßnahmen verabschiedet hat. Außerdem hatte er angekündigt, dass sein Staat die großen Ölkonzerne verklagen werde, aufgrund von “jahrelangen Desinformationskampagnen”. 

Newsoms Rede erzielte den größten Applaus. Laut der New York Times, weil er dabei das tat, was andere vermieden: er konfrontierte die großen Produzenten fossiler Brennstoffe. Jahrzehnte lang habe die Ölindustrie alle für dumm verkauft, so der Gouverneur. Ihre “Täuschung und Verleumdung” hätten die Bedingungen geschaffen, die heute herrschten.

Der Klimagipfel fand gleichzeitig mit der jährlichen UN-Generalversammlung statt. Wie letztes Jahr wurde diese von dem Ukrainekrieg dominiert. So musste der Generalsekretär seine Aufmerksamkeit gleichzeitig mehreren Krisen widmen.

Die Premierministerin von Barbados, Mia Mottley, die sich eindrucksvoll für den Klimaschutz einsetzt, äußerte die Hoffnung, dass der UN-Sicherheitsrat den Klimawandel genauso ernsthaft behandeln würde. Schließlich würde er global gesehen weit mehr Leben bedrohen.

Auch wenn der Klimagipfel wenig an neuen konkreten Klimaversprechen hervorbrachte: Eindringliche Appelle gab es viele. Die New York Times erwähnte insbesondere den chilenischen Präsidenten Gabriel Boric. Chile gehört übrigens zu den Gründungsländern und hat mit Island den Vorsitz über die AMI-Gruppe, die sich für den Erhalt der Eis- und Schneeflächen einsetzt. Der einzige Weg aus der Klimakrise sei ständiger Druck auf diejenigen, ob Länder oder Erzeuger von fossiler Energie, die sich ungern von diesen fossilen Brennstoffen trennen wollten. 

“Wenn wir nicht dafür sorgen, dass diese Gruppen dem Willen der internationalen Gemeinschaft nachgeben, werden wir ganz einfach unsere Klimaziele nicht erreichen”, so Boric, der die Selbstzufriedenheit vieler Gipfelteilnehmer anprangerte.

In diesem Jahr erreichte die CO2-Konzentration in der Atmosphäre eine Rekordhöhe von 424 ppm. Das heißt, die Atmosphäre enthält 50 Prozent mehr CO2 als vor Anfang der Industrialisierung.

Appell an die Politik (Bonn, Deutschland) (Foto: I. Quaile)

Hoffnungsschimmer

Trotz aller drastischen Warnungen hält der UN-Chef die Einhaltung des Pariser Abkommens doch noch für erreichbar. Er sprach von einer Welt mit “sauberer Luft, grünen Arbeitsplätzen und günstiger sauberer Energie für alle”. 

Auch Weltklimaratsvorsitzender Jim Skea bemühte sich um Optimismus. Die Klimapolitik habe angefangen, den Trend zu wenden, auch wenn wir uns noch nicht auf dem notwendigen steilen Pfad nach unten befänden.

Er nannte die fallenden Kosten für erneuerbare Energien, den Ausbau von Wind- und Solarenergie und den zunehmenden Einsatz von Strom statt Öl und Gas in Transport und Heizung. Auch Fortschritte beim Waldschutz und bei der Aufforstung lieferten ein gutes Potential, um den Treibhausgasausstoß in nächster Zeit erheblich zu reduzieren. 

Die Technologien, das Know-How und das Geld für den Klimaschutz seien alle vorhanden, so Skea. Wir müssten sie aber jetzt, sofort, einsetzen. Das Fenster, um den Temperaturanstieg unter 1,5°C zu halten, schliesse sich rapide. Andernfalls seien die Gesundheit des Planeten sowie menschliche Gesellschaften bedroht. 

1,5°C (mit Beethoven)  (Bonn, 15.9.2023) (Foto: I. Quaile)

Untergangsstimmung versus Überoptimismus? 

Zurzeit läuft eine Debatte über die Sprache, die eingesetzt wird, um die Klimakrise zu beschreiben. Selbst UN-Chef Guterres wurde angegriffen, als er von der “Ära des globalen Kochens, nicht mehr der globalen Erwärmung”, sprach. Er verteidigte seine Wortwahl aber vor Reportern. Dies sei keine extreme Rhetorik, sondern lediglich die Wahrheit. Man könne den Klimawandel nicht bekämpfen, wenn man die Wahrheit ignoriere. Und die Wahrheit sei, dass der Klimawandel weltweit bereits verheerende Auswirkungen habe, und wir diese schon gesehen hätten. 

Ausdrucksvolle Worte, schockierende Bilder, erschreckende Warnungen – es geht dabei nicht darum eine Untergangsstimmung herbeizubeschwören, sondern Menschen, Firmen, Regierungen zum Handeln zu bringen.

Manche haben auch mir vorgeworfen mit meinen Artikeln  “zu deprimierend” so sein – oder aber “zu optimistisch”. 

In aller Bescheidenheit möchte ich hoffen, dass sie im Geiste von Guterres und anderen Klimaschützern geschrieben sind, und dass sie den Interessen der Menschheit und des Planeten dienen.

Selbst wenn er die dramatischsten Konsequenzen der globalen Erwärmung – oder des globalen Kochens – hervorhebt, betone er gleichzeitig, dass es noch Hoffnung gebe, und es noch nicht zu spät sei, so der UN-Chef: 

“Wir müssen das Verständnis des Ernsts der Lage nutzen, um die Ressourcen und den politischen Willen zu mobilisieren, alles zu tun, was machbar ist – nämlich bei den 1.5°C bleiben, als Obergrenze des Temperaturanstiegs zum Ende des Jahrhunderts”.

Mich schockierte in diesen Tagen eine Studie des Tüv-Verbands in Deutschland. Demnach glaubt jeder Vierte hierzulande nicht an den menschengemachten Klimawandel.

Offensichtlich haben wir noch viel Überzeugungsarbeit vor uns.

Wir müssen die Wahrheit sagen. Zu dieser Wahrheit gehört aber auch, das wir noch Dinge verändern können. Ja, die Situation ist ernst. Aber wir können noch bestimmen, wieviel schlimmer es wird – und wir können vor allem die, die am meisten gefährdet sind, vorbereiten und ihnen helfen, sich an das sich verändernde Klima anzupassen. 

Link zum Blog von Dr. Irene Quaile-Kersken: https://iceblog.org

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