Die Walpopulationen im Bereich der antarktischen Halbinsel sind in den vergangenen Jahrzehnten langsam wieder grösser geworden. Gleichzeitig hat sich aber auch die Zahl der Schiffe mit Touristen an Bord stark gesteigert. Damit die beiden Fraktionen nebeneinander koexistieren können, hat der Internationale Verband der antarktischen Tourbetreiber IAATO einen Massnahmenkatalog erstellt, der in dieser Saison noch erweitert worden ist.
Die zeitliche Ausweitung sogenannter «Geofenced Areas» (GeoA), also Gebiete, die auf den GPS-Karten speziell ausgewiesen sind und in denen besondere Regeln zum Schutz der Meeressäuger angewandt werden, ist die wichtigste Massnahme im Katalog der IAATO. Der Zeitraum ist nun vom 1. November bis zum 30. Mai für insgesamt 17 Gebiete in der Gerlache-Strasse und rund um die Südshetland-Inseln vorgesehen. In dieser Zeitspanne, die de facto fast die gesamte touristische Saison umfasst, gilt in den Gebieten eine 10-Knoten-Geschwindigkeitsbegrenzung, verstärkte Beobachtungsmassnahmen und Aufzeichnungen aller Walbeobachtungen inklusive Anzahl, exakter Position und Verhalten.
Die Etablierung solcher GeoA ist an sich keine Neuerung. Bereits 2019 hatte die IAATO die versuchsweise Einrichtung solcher Gebiete im Bereich der Gerlache-Strasse, der Region zwischen den Inseln Anvers und Brabant und der antarktischen Halbinsel, beschlossen. «Die IAATO ist bestrebt, ihre Vorgehensweisen zu verbessern, um auf neue Informationen und verfügbare Daten zu reagieren; in diesem Fall auf das Wachstum der Walpopulationen rund um die Antarktische Halbinsel», erklärt die Geschäftsführerin der IAATO, Gina Greer. Neben den GeoA wurde 2021 auch beschlossen, dass innerhalb dieser Zonen die Schiffe nicht schneller als 10 Knoten (knapp 18.5 km/h) fahren dürfen, zusätzliches Personal auf der Brücke sein muss, um nach Walen Ausschau zu halten und jedes Auftauchen nach wissenschaftlichen Grundlagen rapportiert werden muss. So sollten Kollisionen mit den Meeressäugern vermieden werden. Ausserdem sollten spezielle Trainings in Sachen Walbeobachtungen und Kollisionsvermeidung für das Schiffspersonal angeboten werden.
Nachdem nun die Daten der vergangenen Saisons ausgewertet worden sind, beschloss die IAATO an ihrer letzten Hauptversammlung im Mai in Hamburg, dass die Zahl der Gebiete ausgeweitet und die Südshetland-Inseln von Elephant Island bis Deception miteingeschlossen werden. Denn dort finden die Wale immer noch viel Nahrung in Form von Krill, zumindest im Moment noch. Forschungsarbeiten haben aber gerade in diesen Regionen einen Rückgang der Krillmengen verzeichnet und damit einhergehend auch einen Rückgang der Zügelpinguine, die sich fast ausschliesslich von Krill ernähren. Es wird darüber debattiert, ob die steigende Zahl von Walen als Nahrungskonkurrent damit in Verbindung steht oder der Rückgang des Meereises in der Region plus die steigenden Wassertemperaturen die Gründe sind.
Die neuen Massnahmen sind sicherlich notwendig, denn Forschungsarbeiten verschiedener nationaler Antarktisprogramme haben gezeigt, dass Buckelwale wieder sehr häufig entlang der antarktischen Halbinsel auftauchen, um sich den Sommer über von Krill und Fischen zu ernähren. Auch Finn- und sogar Blauwale wurden wieder häufiger gesichtet. Gleichzeitig sind in dieser Saison über 430 Fahrten von Schiffen mit Touristen von den Hafenbehörden in Ushuaia gemeldet worden. Weil das Gebiet der Gerlache-Strasse zu den pittoreskesten Regionen an der antarktischen Halbinsel gehört, aber gleichzeitig eben auch eng ist, ist dort das Risiko einer Kollision mit den Meeressäugern am höchsten.
Für die IAATO werden die jetzt eingesetzten Massnahmen ein weiterer Schritt sein zum Schutz der antarktischen Tierwelt. Sie werden sie streng überwachen und, falls notwendig, weiter ausbauen. Dazu meint Gina Greer: «Mit Blick auf die Zukunft und die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sein werden, einschliesslich der Umweltveränderungen, werden wir unsere Praktiken weiterentwickeln und strategisch in Forschung, Technologie und Personal investieren, um angemessen vorbereitet zu sein.»
Dr. Michael Wenger, PolarJournal