Schlamm enthüllt Überraschendes über grönländische Eisströme | Polarjournal

Forscher des EastGRIP-Projekts, eines 14 Nationen umfassenden Forschungsprojekts zu Eiskernbohrungen auf dem grönländischen Eisschild, haben kürzlich eine bedeutende Entdeckung gemacht: Eisströme fließen als ein einziger Block in die Ozeane und gleiten auf Schlamm statt auf Wasser. Diese Entdeckung wird erhebliche Auswirkungen auf die Modellierung der Eisschilddynamik im Hinblick auf den Klimawandel haben. Sara Kirstine Hald hat die Forscher in ihrem mobilen Camp besucht und berichtet über die Ergebnisse.

Eis, Eis und noch mehr Eis. Wohin man sich auch wendet, überall ist Eis, soweit das Auge reicht. Wir befinden uns in der Mitte des Inlandeises. Mitten im Nirgendwo.

… und doch tauchen über die Eismassen verstreut ein Haufen roter Zelte, eine Reihe von Masten mit flatternden Fahnen, eine Handvoll Schneemobile und eine große, kantige Kuppel auf. Zusammen bilden diese Einheiten eine mobile Forschungsstation, die den Rahmen für das internationale Forschungsprojekt EastGRIP – East Greenland Ice-Core Project – bildet, das gerade einen bedeutenden Durchbruch erzielt hat.

Seit 2016, nur unterbrochen durch die Pandemie, bohrt EastGRIP durch das 2.670 Meter dicke Eis, das die Basis umgibt. Und am Tag vor unserem Besuch war es dem Team gelungen: Zum ersten Mal überhaupt gelang es den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, den Boden eines sogenannten Eisstroms zu erreichen. Ihre Ergebnisse könnten neue Erkenntnisse über das Klima der Vergangenheit – und der Zukunft – liefern.

Die EastGRIP-Forschungsbasis befindet sich derzeit auf dem 75. Breitengrad Nord. Karte: Google Maps über Arctic Hub

Der grönländische Eisschild ist wie ein Tagebuch des globalen Kiimas.

Sich durch fast drei Kilometer Eis zu bohren, ist ein ziemlicher Kraftakt, aber warum sollte man das überhaupt unternehmen? Und was springt für uns dabei heraus?

Die einfache Antwort lautet: Wissen. Und zwar viel davon.

Die Untersuchung von Eiskernen kann uns eine Menge sagen. Der spezielle Eiskern des EastGRIP-Projekts eröffnet uns zum Beispiel einen Blick auf das Klima und die Entwicklung der Erde in den letzten 120 000 Jahren.

Die Informationen befinden sich unter anderem in Verunreinigungen und Luftblasen im Eis, die bei der Analyse Aufschluss über die Zusammensetzung der Atmosphäre zu einem bestimmten Zeitpunkt geben. Der Sulfatgehalt im Eisschild kann auf Vulkanausbrüche zurückgeführt werden, ebenso wie Wissenschaftler Veränderungen im Eis entsprechend der industriellen Entwicklung verfolgen können.

Die Eisbohrkerne enthalten so eine Fülle von Informationen, die uns helfen können, die Vergangenheit und insbesondere das Klima der Vergangenheit zu verstehen. Zugleich weisen die Ergebnisse von EastGRIP auch in eine mögliche Zukunft.

Die Eiskernbohrungen finden in einer unterirdischen – oder „unterschneeischen“-Bohrhalle statt. (Foto: Sara Kirstine Hald)

Neue Erkenntnisse über Eisströme

Der EastGRIP-Eiskern mit einer Länge von 2’670 Metern wurde in einem Eisstrom gebohrt, d. h. in Eis, das schneller fließt als das umgebende Inlandeis und in die Fjorde kalbt und so Eisberge produziert. Ein solcher Eisstrom ist somit für einen großen Teil des Eisverlustes in Grönland verantwortlich. Eigentlich für etwa die Hälfte. Dennoch war nicht viel über sie bekannt – bis jetzt.

Am Tag vor unserem Besuch drangen die Forscher ganz durch das Eis hindurch und stießen auf… Schlamm.

„Wir konnten sehen, dass der gesamte Eisstrom auf einer Schlammschicht am Boden fließt. Das war vorher nicht bekannt“, sagt Professor Dorthe Dahl-Jensen, die die Forschung am EastGRIP leitet.

Dieser nasse Schlamm war unter dem 120 000 Jahre alten Eis Grönlands verborgen. (Foto: Sara Kirstine Hald)

Nach der Theorie wirkt der nasse Schlamm wie Treibsand, so dass der große Eisblock reibungslos über den Untergrund gleiten kann. Man muss sich also vorstellen, dass ein großer Eisblock vom Rest des Inlandeises abbricht und auf dem Schlamm bis in die Fjorde gleitet.

„Bisher dachte man, dass sich die Eisströme innerhalb des Eises verschieben, aber bei EastGRIP haben wir gesehen, dass die gesamte Masse – insgesamt 2’670 Meter dickes Eis – als ein einziger Block mit einer Geschwindigkeit von 58 Metern pro Jahr fließt“, sagt Dorthe Dahl-Jensen.

Sie nennt das Ergebnis „außergewöhnlich“ und zweifelt nicht an seiner Bedeutung: „Das Ergebnis wird die Klimamodelle verändern, weil es unser grundlegendes Verständnis davon, wie sich Eis bewegt, verändert“, erklärt Dorthe Dahl-Jensen.

Die Entdeckung des Schlamms hat den Forschern neue Erkenntnisse darüber gebracht, wie sich der Eisstrom bewegt. Hören Sie Dorthe Dahl-Jensen im Video darüber sprechen

Der Eiskern gibt eine bessere Vorstellung vom künftigen Anstieg des Meeresspiegels

Der globale Meeresspiegel steigt an, was zum Teil auf den vom Menschen verursachten Klimawandel zurückzuführen ist. Der Eisverlust des grönländischen Eisschilds, einschließlich der Eisströme, trägt erheblich zu diesem Anstieg bei.

Die Ergebnisse von EastGRIP liefern uns nicht nur neue Erkenntnisse über das Schwanken und Fließen von Eisströmen. Sie liefern auch neue Erkenntnisse darüber, woher die Hälfte des grönländischen Eisverlusts stammt, der zum weltweiten Anstieg des Meeresspiegels führt.

Konkret können die neuen Erkenntnisse zu genaueren Vorhersagen des künftigen Meeresspiegelanstiegs beitragen.

„Die Tatsache, dass sich das Eis nicht verschiebt, sondern wie ein Block auf Schlamm gleitet, wird die Vorhersage des Meeresspiegels in Zukunft mit Hilfe modifizierter Modelle verbessern“, is tDorthe Dahl-Jensen überzeugt.

„Bisher dachte man, dass sich die Eisströme innerhalb des Eises verschieben, aber bei EastGRIP haben wir gesehen, dass die gesamte Masse – insgesamt 2’670 Meter dickes Eis – als ein einziger Block mit einer Geschwindigkeit von 58 Metern pro Jahr fließt“

Professor Dorte Dahl-Jensen, Leiterin des Forschungsprojekts EastGRIP

Wir können Venedig, Kopenhagen und Miami zukunftssicher machen

Mit den neuen Erkenntnissen über Eisströme kann der Anstieg des Meeresspiegels zwar nicht aufgehalten werden, aber man kann sich darauf vorbereiten. So kann und sollte der steigende Meeresspiegel bei neuen Bauprojekten berücksichtigt werden. Jetzt können Initiativen zum Schutz gefährdeter Städte und Küsten ergriffen werden.

Der Sinn der Vorhersage des Meeresspiegelanstiegs besteht darin, dass wir uns darauf vorbereiten können. Wenn man ungefähr weiss, wie der Meeresspiegel in den kommenden Jahrzehnten ansteigen wird, sind wir besser gerüstet, um die zahlreichen Städte, Gebiete und Länder, die von den erhöhten Wassermengen betroffen sein werden, zukunftssicher zu machen.

Städte wie Venedig, Kopenhagen und Miami, um nur einige zu nennen, sind vom Meeresspiegelanstieg betroffen. Das Gleiche gilt für zahlreiche asiatische Länder wie Vietnam, Bangladesch und Indien. Je genauer die Prognosen über den Anstieg des Meeresspiegels sind, desto besser sind die Chancen, diese Gebiete zu schützen.

Warum ist der Schlamm nicht gefroren? Dorthe Dahl-Jensen erklärt es in diesem Video.

Die Eisströme haben direkte Auswirkungen auf die grönländische Fischerei

Die neuen Erkenntnisse aus EastGRIP sind aus globaler Sicht wichtig. Auch lokal, in Grönland, können sie sich als sehr wichtig erweisen, denn die Eisströme versorgen das Meer um Grönland mit Nährstoffen, die für die Fischerei unerlässlich sind.

Wenn wir mehr über die Eisströme und ihre Zukunft erfahren, können wir auch mehr über die Zukunft der Fischerei rund um Grönland lernen. Gleichzeitig wirkt sich der Eisverlust des Eisschildes natürlich auf die grönländischen Gewässer aus, in die das Eis der Eisströme zwangsläufig gelangt. Die Ergebnisse können sich daher sowohl lokal in Grönland als auch auf den Rest der Welt auswirken.

Die Analyse der Eisbohrkerne wird im Herbst 2023 beginnen, und die Ergebnisse werden voraussichtlich innerhalb eines Jahres vorliegen.

Sara Kirstine Hald, Arctic Hub

Weitere Informationen über EastGRIP finden Sie hier: Website EastGRIP

Arctic Hub ist für die Weiterverbreitung von Forschungsergebnissen über Grönland an ein Publikum außerhalb der akademischen Welt verantwortlich. Die Artikel werden hier im Rahmen einer Partnerschaft mit PolarJournal veröffentlicht.

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