Grönland geht seinen eigenen Weg, nicht nur zuhause aufgrund seiner weitreichenden Autonomierechte. Mittlerweile ist das Land auch national (und international) immer selbstbewusster aufgetreten und sieht sich längst auf Augenhöhe mit dem dänischen Mutterland. Und obwohl im dänischen Parlament nur durch zwei Personen vertreten, hat es Grönland nun geschafft, dass auch dort ein historischer Wandel vollzogen wurde.
Im Folketing, dem dänischen Parlament, werden in Zukunft die Reden nicht mehr nur in Dänisch gehalten. Vielmehr können nun die jeweils zwei Abgeordneten aus Grönland und den Färöer-Inseln ihre Reden erst in ihrer Muttersprache halten und danach nochmals in Dänisch. Das hat das Präsidium des dänischen Parlaments nach einer monatelangen Diskussion beschlossen. Auch Jahresberichte und die Eröffnungsreden der Ministerpräsidentin Mette Frederiksen (und aller ihrer Nachfolgerinnen und Nachfolger) werden in Zukunft in allen drei Sprachen verfügbar sein.
Die Bedeutung der Entscheidung kann durchaus als historisch bezeichnet werden. Denn seit 1849, als die erste Sitzung abgehalten wurde, war Dänisch die offizielle Sprache in den Hallen von Schloss Christiansborg und alle 179 Abgeordnete, von denen 175 aus Dänemark und jeweils 2 aus Grönland und den Färöern stammen, mussten sich daranhalten.
Alle Abgeordnete? Nicht ganz, denn am 12. Mai dieses Jahres stand die grönländische Abgeordnete Aki-Matilda Høegh-Dam am Renderpult des Folketings und lieferte ihre Rede in Grönländisch, auch vor der anwesenden Ministerpräsidentin Mette Frederiksen. Und die Fragen der dänischen Kolleginnen und Kollegen beantwortete die 27-jährige Politikerin ebenfalls in Grönländisch. «Als Grönländer haben wir viele Jahre lang unterwürfig zugesehen, wie die Dänen vom Folketing aus und in ihrer Sprache, die Grönländer nicht verstehen können, Gesetze für uns beschlossen und entworfen haben», erklärte sie ihre Beweggründe in einem Interview.
Ihre Absicht war klar: Ein Land, dass sich als Föderation dreier gleichberechtigter Partner sieht, die jeweils eine eigene Sprache sprechen, sollte diese Sprachenvielfalt auch im Parlament zum Tragen kommen. Ansonsten herrsche keine Gleichberechtigung zwischen den Partnerländern. Doch mit ihrer Forderung stach Høegh-Dam in ein Wespennest. Besonders von Seiten konservativer Kräfte erntete sie viel Kritik für ihre Aussagen und ihre Forderung. Von einer Untergrabung der dänischen Demokratie und einer Missachtung des Parlaments war die Rede.
Glücklicherweise teilte die Mehrheit des Folketing diese Ansicht nicht. Aber es war nicht klar, wie die Forderung überhaupt umgesetzt werden könnte, so dass alle Abgeordneten das Gesagte so zeitnah wie möglich verstehen würden. «Die Mehrheit des Präsidiums möchte den in Grönland und auf den Färöern gewählten Mitgliedern entgegenkommen, indem sie eine Lösung für die Sprachenfrage findet, die in der Praxis funktionieren kann», erklärte Søren Gade, der Sprecher des Parlaments. Nach monatelangen Diskussionen und Überlegungen wurde eine Lösung gefunden: Die grönländischen und färöischen Abgeordneten erhalten eine doppelte Redezeit, um ihre Reden erst in ihren Muttersprachen und danach in Dänisch zu halten. Zusätzlich werden Abschriften aller wichtigen Reden in Zukunft auch in Grönländisch und Färöisch zur Verfügung stehen. Insgesamt ist man sicher, dass diese Lösung in Zukunft funktionieren wird. Denn Dänemark ist nicht das einzige Land mit einer mehrsprachigen Bevölkerung und Abgeordneten. In der Schweiz beispielsweise existieren vier offizielle gleichberechtigte Landessprachen und im Parlament können die Abgeordneten ihre Reden in jeglicher Sprache halten.
Was aber in der ganzen Diskussion ebenso wichtig ist wie die Entscheidung selbst, ist die Tatsache, dass die ehemalige Kolonie Grönland immer erwachsener wird und mittlerweile wirklich auf Augenhöhe mit dem dänischen Mutterland steht und letztere sich nicht dagegen sträubt. Die Frage stellt sich nun, ob diese Augenhöhe noch steigt und ob dann Grönland das heimische Nest verlassen wird.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal