Zurzeit werden in vielen Teilen Europas die politischen Landschaften bei den Wahlen teilweise umgewälzt. Auch in Longyearbyen, Svalbards Hauptort, wurde der Gemeinderat neu gewählt. Dabei wurde auch hier die politische Landschaft ziemlich durcheinandergewirbelt und es könnte sich in Zukunft in Longyearbyen noch viel mehr ändern.
Ein Erdrutsch in der politischen Zusammensetzung des Gemeinderats (Lokalstyre) in Longyearbyen ist das Resultat der Wahlen vom vergangenen Montag. Die seit rund 20 Jahren die Mehrheit haltende Arbeiterpartei wurde durch die Liberalen abgelöst. Diese wird auch den neuen Gemeindepräsidenten stellen, der bereits bekannt ist: Leif Terje Aunevik löst Arid Olsen ab, der seit 2015 dem Lokalstyre vorstand. Aunevik und seine Venstre-Partei werden im 15-köpfigen Gemeinderat gleich 7 Sitze erhalten, während es für die bisher linksstehende Arbeiterpartei nur noch 3 sein werden. Die restlichen 5 gehen an die Sozialliberalen (3 Sitze) und an die Konservativen (2 Sitze).
Für die Arbeiterpartei ist das Wahlergebnis eine gehörige Klatsche ins Gesicht. Nur gerade 147 von den insgesamt 808 abgegebenen Stimmen gingen an die Partei, während die Liberalen 370 auf sich vereinen konnten. Damit sind die Parteivertreter überhaupt nicht zufrieden und lang waren die Gesichter am letzten Montagabend, als die Resultate klar wurden. Sogar die neugegründeten Sozialliberalen erhielten aus dem Stand heraus beinahe gleichviele Stimmen (122) wie die Arbeiterpartei. «Wir müssen die Wahlniederlage anerkennen und dass wir nicht gut genug gewesen sind», meinte ein sichtlich geknickter Svein Jonny Albrigtsen gegenüber der Presse. «Da lässt sich nichts weiter dazu sagen.»
Bei den Siegern um Leif Terje Aunevik herrschte dagegen Partystimmung. Sie konnten gegenüber der letzten Wahl nochmals zulegen, von 345 auf 370 Stimmen und damit von 5 Sitzen auf 7. «Es ist überwältigend und natürlich fantastisch», erklärte der designierte Präsident gegenüber der Zeitung Svalbardposten. «Ich möchte glauben, dass die Resultate von der Tatsache herrühren, dass wir eine Gruppe haben, die in der letzten Amtsperiode gute Arbeit verrichtet hat. Das hoffe ich zumindest.» Mit dieser Einschätzung könnte er Recht haben, denn Longyearbyen untergeht gerade einen massiven Wandel und die Herausforderungen sind enorm. Weg vom Bergbau, hin zu einer Dienstleistungsgesellschaft mit besonderem Augenmerk auf den Tourismus, was zu vielen und teilweise heftigen Diskussionen zwischen den verschiedenen Interessenvertretern geführt hat. Dazu kommen Änderungen und Verunsicherungen bei der Energieversorgung und gestiegene Preise in vielen Bereichen. Das sorgt für Unmut bei der Bevölkerung, was sich im Wahlverhalten widergespiegelt hat.
Doch nicht nur für die Arbeiterpartei setzte es eine gehörige Niederlage ab. Auch rechte Parteien wie die Konservativen und die Fortschrittspartei gehören zu den Verlierern der Wahl. Letztere ist nicht mehr im Gemeinderat vertreten, nachdem sie noch vor vier Jahren 130 Stimmen auf sich vereinen konnten. Auch die Grünen, 2019 mit einem Abgeordneten im Gemeinderat vertreten, sind nicht mehr vertreten.
Ein weiterer, sehr wichtiger Grund für die massiven Verschiebungen innerhalb der politischen Landschaft In Longyearbyen dürfte das neue Wahlgesetz sein, welches von der Regierung in Oslo erlassen wurde. Dieses schliesst nämlich in Longyearbyen wohnhafte Ausländer, die bis anhin das lokale Wahlrecht hatten, aus. Nur noch diejenigen Ausländer, die vor ihrem Zuzug nach Longyearbyen mindestens drei Jahre in einer norwegischen Gemeinde auf dem Festland registriert waren, sind zur Wahl zugelassen. Diese Entscheidung, die von Justizministerin Emilie Enger Mehl (Zentrumspartei) mehrfach mit dem Argument, die Verwaltung Svalbards wieder in die Hände von Norwegen zu legen verteidigt worden ist, sorgt für sehr viel Missmut sowohl bei den Betroffenen wie auch bei oppositionellen Parteien wie den Liberalen und Sozialliberalen und sogar den Konservativen. Noch vor vier Jahren konnte diese Wählerschaft zur Urne, was die Zahl der Wählenden auf 1’823 brachte und 1’128 gültige Stimmen bei der Wahl lieferte. In diesem Jahr waren es nur noch 1’420 Stimmberechtigte und von diesen gingen gerade einmal 808 zur Wahl. Viele wahlberechtigte Bewohner Longyearbyens, die mit der Entscheidung aus Oslo, wo die Arbeiterpartei die Regierung anführt, unzufrieden waren, dachten laut über einen Boykott der Wahlen nach. Da alle ausser der Arbeiterpartei sich gegen diese Regelung ausgesprochen haben, könnte dies ein Grund für die Veränderung des Gemeinderats gewesen sein.
Wie sich die neue Zusammensetzung des Gemeinderates auf die weitere Entwicklung Longyearbyens auswirken wird, dürfte sich nun zeigen. Die Klippen, die umschifft werden müssen, sind dieselben, doch der neue Kapitän und die neuen Steuerleute haben vielleicht einen anderen Blick auf die Dinge und suchen eine andere Route. Die Zukunft wird es zeigen.
Dr. Michael Wenger, PolarJournal