Twin Otter – zuverlässiger Helfer in der Antarktis | Polarjournal
Eine Twin Otter von Kenn Borek Air am Südpol. (Foto: Zane Ziebell, USAP/NSF, CC BY-SA 4.0)

Die Twin Otter ist ein äusserst vielseitiges Flugzeug, das unter härtesten Bedingungen eingesetzt werden kann. Der kanadische Flugzeughersteller de Havilland Canada entwarf in den 1960er Jahren mit der DHC-6, wie sie offziell heisst, ein sehr robustes Allzweck-Flugzeug mit dem Ziel, es als eine Art Pendlertransporter mit maximal 20 Sitzplätze zu bauen. Mit der Fähigkeit, auch auf kürzesten Bahnen landen und abheben zu können (STOL), sollte es besonders von kleinen Flugplätzen aus betrieben werden können.

Dank ihrer Bauweise mit einem Hochflügel und einem Dreiradfahrwerk ist es möglich, die Twin Otter mit Rädern, Skiern oder Schwimmkörpern auszustatten, was sie zum idealen Mehrzweckflugzeug für schwer zugängliche Orte macht. Das Flugzeug ist für sehr kurze Start- und Landebahnen optimiert und benötigt eine Pistenlänge von nur 370 Metern.

Nach 20 Jahren Produktionsunterbruch werden ab 2007 bei Viking Air wieder Twin Otter Flugzeuge neu hergestellt. (Foto: Viking Air)

Twin Otter – Flugzeug mit bewegter Geschichte

Die Twin Otter hob zum ersten Mal am 20. Mai 1965 vom Boden ab. Nach 23 Jahren endete vorerst die Produktion der damaligen Serie 300. Bis dahin wurden insgesamt 844 Maschinen gebaut. Im Februar 2006 erwarb Viking Air die Musterzulassungen von Bombardier Aerospace für alle aus der Produktion genommenen Flugzeuge von de Havilland Canada – zu diesem Zeitpunkt waren noch 575 Twin Otter im Einsatz. Viking Air modernisierte die Twin Otter und begann im Dezember 2007 nach einer 20-jährigen Unterbrechung mit der Produktion der neuen Version DHC-6-400.

Am 1. Oktober 2008 fand der Erstflug der neuen Twin Otter DHC-6 Version in Victoria, Kanada statt. Die ersten drei Maschinen wurden nach der offiziellen Zulassung im ersten Halbjahr 2011 an die schweizerische Zimex Aviation, an Air Seychelles und an Trans Maldivian Airways ausgeliefert. Bis Juli 2022 wurden 146 DHC-6-400 gebaut.

SPIDER-Ballonnutzlast am Hercules Dome mit der Twin Otter CKB im Hintergrund. Der SPIDER wurde entwickelt, um den kosmischen Mikrowellenhintergrund über etwa 10 % des Himmels abzubilden und nach Gravitationswellen aus der Frühzeit des Universums zu suchen. (Foto: Luke Haberkern, USAP / NSF, CC BY-SA 4.0)

Aufgrund ihrer Konfiguration eignet sich die Twin Otter auch für allgemeine Einsätze in der Antarktis. Wegen seiner Eigenschaften bezüglich Nutzlast und Reichweite ist das Flugzeug für die großen Entfernungen zwischen den Antarktisstationen und den Feldforschungstandorten bestens geeignet. Die Twin Otter ist zudem der einzige Flugzeugtyp der Welt, der bei Temperaturen von -60 °C (-76 °F) eingesetzt werden kann.

Für den Betrieb und die Wartung benötigt eine Twin Otter zwei Piloten und einen Ingenieur. Grösstenteils werden die Flugzeuge bei der kanadischen Kenn Borek Air gechartert, aber mehrere Forschungsnationen betreiben eigene Twin Otter Maschinen.

Die Twin Otter spielen in Antarktisoperationen eine wichtige Rolle und sind kaum mehr wegzudenken. Sie werden für den Transport von Menschen, Treibstoff, Skidoos, Schlitten, Lebensmitteln und wissenschaftlicher Ausrüstung zu abgelegenen Orten verwendet und sind auch bestens geeignet, um Depots und Treibstofflager für Feldforschungsgruppen einzurichten. Die zweimotorige Maschine benötigt keine Landebahn – sie kann mit Skiern selbst auf unvorbereiteten Schneeflächen landen. Je nach Projekt werden die Flugzeuge im Allgemeinen von Oktober bis März in der Antarktis eingesetzt.

Rettung vom Südpol

Eine spektakuläre Rettungsaktion mitten im Südwinter 2016 schrieb damals Geschichte. Einer Twin Otter gelang es, zwei Mitarbeiter von der Amundsen-Scott Base am Südpol zu evakuieren, die dringend medizinische Behandlung benötigten.

Der National Science Foundation zufolge flogen im Juni 2016 zwei Twin Otter vom kanadischen Calgary aus nach Punta Arenas, Chile, um von dort aus zunächst die britische Rothera-Station auf der Antarktischen Halbinsel anzufliegen. Sobald das Wetter es erlaubte, startete eine der beiden Maschinen in Richtung Südpol, um die Patienten zu evakuieren. Das zweite Flugzeug blieb zur Sicherheit in Rothera für eine eventuell notwendige Such- und Rettungsmission.

Der riskante Flug zum Südpol und wieder zurück – 2’400 Kilometer und zehn Stunden je Richtung mitten im Winter bei -67°C und absoluter Dunkelheit – war erfolgreich und die Twin Otter kehrte am 22. Juni 2016 von der Amundsen-Scott-Station mit den Patienten an Bord zurück nach Rothera.

Nach einer Ruhepause für die dreiköpfige Besatzung des Flugzeugs und einem Mitglied des medizinischen Teams wurden die beiden Patienten nach Punta Arenas weitergeflogen, wo sie am 23. Juni sicher ein Krankenhaus erreichten.

Für diese Rettungsaktion flogen die beiden Twin Otter von Calgary in Kanada mit Zwischenstopps in Denver (USA), Guayaquil (Ecuador), Punta Arenas (Chile) und Rothera (Antarktische Halbinsel) zum Südpol.

Eine solche Rettung mitten im Winter wurde bisher nur zweimal durchgeführt, einmal im Jahr 2001, als beim einzigen Arzt der Station eine möglicherweise tödliche Bauchspeicheldrüsen-Erkrankung festgestellt wurde. Und ein weiteres Mal im Jahr 2003. Beide Lufttransporte waren erfolgreich. Zuvor, im Jahr 1999, wurde auch die Stationsärztin Jerri Nielsen ausgeflogen, die nach einer improvisierten Biopsie bei sich selbst Brustkrebs diagnostizierte und sich selbst behandelte. Dies geschah jedoch im Frühjahr, als die Bedingungen etwas besser waren.

Gelegentlich kam es zu Pannen. Am 20. Januar 2016 wollte eine Twin Otter der Kenn Borek Air den langen Rückweg vom Südpol über Rothera und Punta Arenas zurück nach Calgary unter die Flügel nehmen. Das schwer mit Treibstoff, einschliesslich des zusätzlichen Rumpftanks beladene Flugzeug schoss über die Startbahn hinaus und blieb im Schnee stecken. (Foto: Jeremy McGinty via Southpole.com)

Schwerer Zwischenfall in der Ostantarktis

Zu einem schweren Unfall kam es am 23. Januar 2013. Um 05:23 Uhr startete eine Twin Otter der Kenn Borek Air von der Amundsen-Scott-Station am Südpol zu einem Flug nach Sichtflugregeln zur italienischen Mario-Zucchelli-Station in der Terra Nova Bay. An Bord war eine dreiköpfige Besatzung. 

Das Flugzeug konnte seinen letzten für 08:27 Uhr geplanten Funk-Check nicht durchführen und der Flug wurde als überfällig eingestuft. Vom auf halber Strecke gelegenen Mount Elizabeth (4’480 M.ü.M) aus wurde um 08:56 Uhr ein Notrufsendersignal empfangen, woraufhin eine Such- und Rettungsaktion eingeleitet wurde.

Die Besatzung erhielt vermutlich 45 Sekunden vor dem Aufprall eine Geländewarnung. Ein Steigflug wurde eingeleitet, aber die Steigleistung des Flugzeugs reichte nicht aus, um den Crash zu vermeiden. Das Video von News Direct zeigt den Ablauf des Unfalls und die darauffolgende Suche (Video: Youtube Channel News Direct)

Extreme Wetterbedingungen erschwerten die Such- und Rettungsaktion und verhinderten, dass das Such- und Rettungsteam zeitnah die Absturzstelle erreichen konnte. Erst zwei Tage später wurde vor Ort festgestellt, dass das Flugzeug in das Gelände eingeschlagen war und die Besatzungsmitglieder der Twin Otter C-GKBC nicht überlebt hatten. Ungünstiges Wetter, die grosse Höhe der Absturzstelle (3’960 M.ü.M.) und der Zustand des Flugzeugs verhinderten die Bergung der Besatzung und eine umfassende Untersuchung des Flugzeugs. Überflüge über die Unglücksstelle entdeckten an den wenigen sichtbaren Teilen des Flugzeugs keine Anzeichen von Feuer. 

Doch trotz dieser Unfälle ist das Vertrauen in die Fähigkeiten der Twin Otter ungebrochen und es ist sehr wahrscheinlich, dass die kleinen, robusten Flugzeuge noch lange am Himmel von Antarktika zu sehen sein werden. Denn sie sind tatsächlich zuverlässige Helfer auf dem weissen Kontinent.

Heiner Kubny, PolarJournal

Beitragsbild: Twin Otter im Transantarktischen Gebirge, Brian Belzalel, USAP/NSF, CC BY-SA 4.0

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