Begrenzung des Anstiegs auf 1.5° trotz widersprüchlicher Schlagzeilen | Polarjournal
Schmelzen die Eisschilde nun ab oder sind sie widerstandsfähiger als gedacht? (Foto: I. Quaile)

„Schelfeis in der Westantarktis schmilzt so oder so“, aber „Der grönländische Eisschild ist wahrscheinlich widerstandsfähiger gegen die globale Erwärmung als bisher angenommen“, so Medienberichte über Forschungsergebnisse in den letzten Wochen. Sollten wir also aufhören, uns Sorgen zu machen? Oder den Klimaschutz aufgeben? Während wir auf die diesjährige UN-Klimakonferenz COP28 zusteuern, die ausgerechnet im ölreichen Dubai abgehalten wird, während Kriege im Nahen Osten und in der Ukraine die Aufmerksamkeit von der Klimakrise ablenken, sind Gleichgültigkeit oder Resignation das Letzte, was wir brauchen. Ein Gefühl der absoluten Dringlichkeit ist angesagt.

Das Eis des Planeten und andere Aspekte des Klimawandels erhalten gerade viel Aufmerksamkeit in den Medien. Und das zu Recht. Dies sollte ein Schlüsseljahr für den Klimaschutz werden. In diesem Jahrzehnt muss die Wende gelingen. Die Stürme, Überschwemmungen, Brände und Rekordtemperaturen, die wir rund um den Globus gesehen haben, zeigen uns den Klimawandel in Echtzeit. Uns läuft die Zeit davon. Die Frage ist, wie Schlagzeilen, die darauf hindeuten, dass es entweder zu spät sein könnte – oder dass wir noch viel Zeit haben – das öffentliche Verhalten und die diesjährigen Klimaverhandlungen beeinflussen werden, die bereits in wenigen Wochen beginnen.

Zu spät, um die antarktische Eisschmelze zu stoppen?

Die Antarktis ist prominent in den Medien vertreten. Leichtere Zugänglichkeit, Fortschritte in der Satelliten- und in anderen Technologien sowie die malerische, medienfreundliche Landschaft mit Eis, Schnee und Pinguinen haben die „Bastion der Kälte“ im äußersten Süden des Planeten ins Licht der Öffentlichkeit gebracht. Leider sind die Nachrichten selten gut. Eine letzte Woche veröffentlichte Studie hat das Potenzial, uns alle zu deprimieren und als Vorwand missbraucht zu werden, um den Klimaschutz und die Energiewende aufzuhalten: Das Schelfeis vor den Gletschern der Westantarktis wird abschmelzen, auch wenn das Pariser Klimaziel eingehalten wird, so die Ergebnisse der am 23. Oktober in Nature Climate Change veröffentlichter Studie. Kaitlin Naughton vom British Antarctic Survey (BAS), Hauptautorin der Studie, fasst die Ergebnisse so zusammen:

„Die Geschwindigkeit, mit der die Erwärmung des südlichen Ozeans das antarktische Eis schmelzen lässt, wird im Laufe dieses Jahrhunderts zunehmen, egal wie stark wir unsere Emissionen in den kommenden Jahrzehnten reduzieren. Es wird erwartet, dass diese vom Ozean getriebene Abschmelzung den Meeresspiegelanstieg ansteigen lässt, was Folgen für Küstengemeinden auf der ganzen Welt hat.“

Demonstranten bei einem Klimaprotest in Bonn (Foto: I. Quaile)

„Die Ergebnisse sind besorgniserregend“, kommentiert Naughton. „In allen Simulationen gibt es im Laufe dieses Jahrhunderts einen rasanten Anstieg der Erwärmung des Ozeans und des Anschmelzens des Schelfeises. Selbst das ‚Best-Case-Szenario‘, in dem die Erwärmung bei 1,5 °C aufhört, was von vielen Experten als ehrgeizig angesehen wird, bedeutet eine Verdreifachung der historischen Erwärmungs- und Schmelzrate.“

„Nicht ein Grad mehr “. Demonstranten in Bonn (Foto: I.Quaile)

Konstruktive Berichterstattung in der Krise?

Wie die Wissenschaftlerin in The Conversation betont, ist es schwierig, daraus eine positive Botschaft zu formulieren:

„Wie erzählt man eine schlechte Nachricht? Die gängige Meinung ist, dass man den Leuten Hoffnung geben soll: zu sagen, dass es eine Katastrophe hinter einer Tür gibt, die wir aber vermeiden können, wenn wir nur eine andere Tür wählen. Was machst du, wenn deine Wissenschaft dir sagt, dass alle Türen zur gleichen Katastrophe führen?“

Eine äußerst ernüchternde Frage, vor allem von einer Wissenschaftlerin der aktuellen Forschung. Naughton schlägt vor, dass wir unsere Aufmerksamkeit auf die längerfristige Entwicklung verlagern müssen:

„Die Zukunft wird nicht im Jahr 2100 enden, auch wenn die meisten Leute, die dies lesen, nicht mehr da sein werden. Unsere Simulationen des 1,5°C-Szenarios zeigen, dass das der Schmelzprozess der Eisschelfe bis zum Ende des Jahrhunderts abflachen wird – was darauf hindeutet, dass weitere Veränderungen im 22. Jahrhundert und darüber hinaus immer noch vermeidbar sein könnten. Die Verringerung oder eine Verlangsamung des Meeresspiegelanstiegs nach 2100 könnte viele Küstenstädte retten.“

Aber die meisten von uns Menschen neigen dazu, im Hier und Jetzt zu leben und sind nicht bereit, darüber hinaus zu schauen und Opfer im Interesse zukünftiger Generationen zu bringen. Die Herausforderung besteht darin, Resignation zu vermeiden und sicherzustellen, dass beunruhigende Erkenntnisse wie diese nicht zu einer Ausrede für Untätigkeit und ‚Business as usual‘ werden.

Sollten wir aufhören, um Grönlands Eisschild zu bangen?

Eine weitere aktuelle Studie, die am 18. Oktober in der Fachzeitschrift Nature veröffentlicht wurde, unterstreicht die Gefahr des entgegengesetzten Extrems: „Der grönländische Eisschild dürfte gegen die Erderwärmung widerstandsfähiger sein als bisher angenommen“, so die Studie. Ein internationales Team von Wissenschaftlern unter der Leitung von Nils Bochow von UiT, The Arctic University of Norway und dem Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung ergab, dass „auch wenn kritische Temperaturschwellen bis zum Jahr 2100 vorübergehend um bis zu 6,5 Grad Celsius überschritten werden, ein mögliches Kippen des Eisschildes und damit ein drastischer Anstieg des Meeresspiegels über Hunderttausende von Jahren verhindert werden könnten. Um dies zu erreichen, müssten nach dem kritischen Temperaturanstieg so schnell wie möglich Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgase ergriffen werden, damit die Temperatur langfristig bei nicht mehr als 1,5 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau stabilisiert werden kann.“

6.5°C? Habe ich richtig gelesen? Also – das Grönlandeis schmilzt vielleicht doch nicht? Aha! Es wäre also doch nicht so schlimm, wenn wir die Klimaziele erheblich und über einen längeren Zeitraum verfehlen? Großartiges Material für diejenigen, die die Ausbeutung und Verbrennung fossiler Brennstoffe verlängern und die Energiewende so lange wie möglich hinauszögern möchten. Das Risiko, dass die Ergebnisse von denen missbraucht werden, die die Gefahren eines Überschreitens der 1,5°C-Grenze herunterspielen möchten, ist besorgniserregend.

In der Tat betonen die Autoren, dass dies nicht die Schlussfolgerung sein sollte, und dass wir den Temperaturanstieg noch aufhalten müssen:

„Wir fanden heraus, dass der Eisschild so langsam auf die vom Menschen verursachte Erwärmung reagiert, dass die Umkehrung des aktuellen Erwärmungstrends durch die Senkung der Treibhausgasemissionen innerhalb von Jahrhunderten ein Kippen verhindern kann. Doch die Temperaturschwelle auch nur vorübergehend zu überschreiten, kann in unseren Simulationen immer noch zu einem Anstieg des Meeresspiegels um mehr als einen Meter führen“, sagte Co-Autor Niklas Boers vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und der Technischen Universität München.

Eisberge aus Grönlands Eisschild in dem Fjord von Ilulissat (Foto: I. Quaile)

Die Forschenden geben jedoch zu bedenken, dass ihre Ergebnisse auf einer begrenzten Anzahl von Simulationen zweier Eisschildmodelle beruhen, welche nicht berücksichtigen, wie der globale Klimawandel das arktische Klima abgesehen von Temperaturen und Niederschlägen beeinflusst.

Im Wesentlichen reagierten alle anderen Teilelemente des Klimasystems schneller auf die globale Erwärmung als ein Eisschild, so die Autorinnen und Autoren der Studie. Dazu gehören Regenwälder, Wind- und Niederschlagsmuster oder Meeresströmungssysteme, die sich alle innerhalb von wesentlich kürzeren Zeitskalen verändern oder sogar zu abrupten, unwiderruflichen Veränderungen neigen, was zu viel kürzeren Zeitfenstern führt, um ein Kippen zu vermeiden. „Und selbst wenn ein großflächiges Abschmelzen des grönländischen Eisschilds vermieden wird, kann der Meeresspiegel vorübergehend erheblich ansteigen. Je höher die Temperaturen steigen, desto schwieriger wird es sein, sie langfristig auf ein sicheres Niveau zu senken. Deshalb müssen wir die globale Durchschnittstemperatur unter 1,5 Grad Celsius halten „, so Niklas Boers abschließend. «Der grönländische Eisschild ist nur ein kleiner Teil des Bildes. Es gibt noch viele andere negative Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels, die auf uns zukommen könnten, wenn wir nicht rechtzeitig handeln.“

Aktuelle Ergebnisse und Zusammenhänge

Kürzlich war ich in der norwegischen Hauptstadt Oslo zu einigen Treffen mit Wissenschaftlern und Kollegen der International Cryosphere Climate Initiative (ICCI), mit denen ich in letzter Zeit zusammengearbeitet habe. Die Organisation veröffentlicht den jährlichen Bericht zum Zustand der Kryosphäre. Die diesjährige Studie wird in Kürze veröffentlicht. Was diese Wissenschaftler aufgrund der neuesten Forschungsergebnisse zu sagen hatten, ließ mir absolut keinen Zweifel daran, dass 1,5°C die absolute Obergrenze ist, um weitere Schäden an den eis- und schneebedeckten Regionen unseres Planeten und die daraus resultierenden verheerenden Auswirkungen weltweit abzuwenden.

Aktuellste Forschungsresultate zusammengefasst und präsentiert in Oslo. (Foto: I. Quaile)

Eisschilde und Gletscher

Bei einer öffentlichen Vortragsveranstaltung der Universität Oslo, die von der ICCI und dem WWF organisiert wurde, präsentierten drei renommierte Expertinnen und Experten einen Überblick über die neueste Forschung zu allen eisigen Themen. Chris Stokes von der University of Durham ist einer der weltweit führenden Wissenschaftler für Gletscher und Eisschilde: „Ich denke, eines der beunruhigenden Dinge – und eine der beunruhigenden Botschaften an die Politik – ist, dass jedes Mal, wenn wir neue Messungen, neue Daten, neue Beobachtungen erhalten, die Situation schlimmer ist als noch vor ein paar Jahren. Und das, denke ich, gilt sowohl für Grönland als auch für die Antarktis“, sagte er dem Publikum.

Der Blick auf die Klimaverhältnisse in der Vergangenheit lieferten wichtige Erkenntnisse, die uns helfen zu verstehen, was jetzt passiert und was in der Zukunft wahrscheinlich eintreten wird, sagt Stokes:

„Es gibt eine wirklich wichtige Lektion aus der Vergangenheit, dass der Anstieg des Meeresspiegels durch Eisschilde viel, viel schneller sein kann, als wir derzeit erleben. Ich denke, dass die Tatsache manchmal verloren geht, wenn wir über Millimeter pro Jahr sprechen.“

Anstieg des Meeresspiegels“. Chris Stokes an der Universität Oslo (Foto: I.Quaile)

Die Botschaft aus der Vergangenheit ist nicht ermutigend:

„Wir wissen zum Beispiel in der Vergangenheit, dass es bei steigendem Meeresspiegel vor etwa 14‘500 Jahren Sprünge gab. Und einige dieser Sprünge waren so schnell, dass wir einen Anstieg des Meeresspiegels von vier Metern pro Jahrhundert hätten sehen können.“

Nun, das ist ein beängstigender Gedanke. „Es ist wirklich beunruhigend“, sagt Stokes, und das liegt daran, dass es eine Reihe von selbstverstärkenden Rückkopplungsmechanismen gibt, die in Eisschilden stattfinden. Sie reagieren nicht linear auf klimatische Veränderungen“, erklärt er. „Es wird einen Punkt geben, an dem es eine langsame Reaktion gibt, und dann wird plötzlich eine Schwelle überschritten und es wird viel schneller.“

Es macht dem Eisexperten Angst, dass wir zu Lebzeiten bereits fast 100 ppm CO2 in die Atmosphäre aufgenommen haben – ebenso viel wie die Menge, die in der Vergangenheit mit dem Wechsel von einer Eiszeit zu einer Zwischeneiszeit verbunden war, die rund 10‘000 Jahre dauerte.

Unwahrscheinliche Hotspots

Die Ostantarktis galt lange Zeit als unempfindlich gegen die Klimaerwärmung. Auch hier ändern sich die Wahrnehmungen, sagt Stokes: „Ich habe in der Literatur zurückgeblickt: Vor vielleicht 30 Jahren gingen einige auf der Basis von einfachen numerischen Modellen davon aus, dass es einen Temperaturanstieg von 16 Grad brauchen würde, um eine Reaktion der Ostantarktis hervorzurufen. Und wir denken jetzt, dass es weniger als 2 Grad für einige Teile der Ostantarktis braucht. Auch hier wieder geht es mit der Wissenschaft sehr schnell voran.“

Die Forscher haben „Hotspots“ vor allem in der Region Wilkes Land identifiziert.

„Wir haben eine Mini-Westantarktis hier in diesem Teil der Ostantarktis. Der Massenverlust ist hier jetzt zehnmal höher als vor einem Jahrzehnt. Wir wissen, dass sich das zirkumpolare Tiefwasser seit den 1990er Jahren um bis zu zwei Grad erwärmt hat, und einige der Arbeiten, die wir kürzlich durchgeführt haben, zeigten bei einem der Gletscher hier Entwicklungen, die tatsächlich mit dem Thwaites-Gletscher vergleichbar sein könnte – dem „Doomsday“-Gletscher, der gut publiziert wird.“

Versauerung der Meere

Der Anstieg des Meeresspiegels ist nicht der einzige Faktor, über den wir uns Sorgen machen müssen. Helen Findlay vom Plymouth Marine Laboratory ist eine biologische Ozeanographin und Expertin für Klimaauswirkungen, insbesondere die Ozeanversauerung durch die erhöhte CO2-Konzentration in den Weltmeeren.

„Die Polarmeere reagieren viel empfindlicher auf steigende Temperaturen und CO2 als der globale Durchschnitt, einige Veränderungen sind irreversibel oder sehr langfristig in Bezug auf Erwärmung und Versauerung, und erhebliche Schäden werden bei 2°C zu spüren sein“, so Findlay auf der Veranstaltung in Oslo.

„1,5°C wird diesen Verlust von Ökosystemen stark begrenzen. Aber wir sehen eigentlich jetzt schon bei einer Erwärmung von nur 1°C viele dieser Auswirkungen und wir müssen jetzt handeln“, sagte sie.

Helen Findlay in Oslo (Foto: I. Quaile)

„Wenn wir uns auf den Arktischen Ozean konzentrieren, wird uns fast jedes Zukunftszenario, von niedrigen bis zu hohen Emissionen, zu korrosiven Verhältnissen führen. Das Problem mit der Versauerung ist, dass sie im Wesentlichen dauerhaft ist. Wir sprechen über geologische Zeitskalen, Zehntausende von Jahren, bis sich die Meere wieder erholen können. Wenn wir also in den 2100er Jahren aufhören würden, CO2 auszustoßen, dann würde der pH-Wert der Ozeane, sowohl der Arktis als auch des Südlichen Ozeans, nicht dorthin zurückkehren, wo er vorher war.“

Bei der Betrachtung von Klimaauswirkungen neigen wir dazu, über globale Durchschnittswerte zu sprechen. Die Wissenschaftler, die in Oslo sprachen, erinnerten uns daran, dass es große regionale Unterschiede geben wird. Egal, ob wir den Anstieg des Meeresspiegels, Georisiken oder die Versauerung der Ozeane betrachten, einige Regionen werden viel stärker betroffen sein als andere. Findlay zitierte ein beeindruckendes Beispiel aus dem neuesten Bericht über planetarische Grenzen. Während dort festgestellt wird, dass wir noch kurz vor der Grenze zur Ozeanversauerung stehen, haben Regionen der Polarmeere diese Grenze längst überschritten.

Geopolitische Risiken und Ernährungssicherheit

Es ist nicht nur das polare Eis, das Besorgnis auslöst. Ugo Nanni von der Universität Oslo präsentierte Erkenntnisse zu den Berggletschern In den vergangenen beiden Sommern gab es einen drastischen Rückgang der europäischen Alpengletscher. Selbst im eisigen Himalaya stellen schmelzendes Eis und Schnee durch unsere vom Menschen verursachte globale Erwärmung eine große Bedrohung dar. Eine Studie, die in diesem Jahr veröffentlicht wurde, zeigte, dass beispiellose und weitgehend irreversible Veränderungen der Hindukusch-Himalaya-Kryosphäre zwei Milliarden Menschen bedrohen. Nanni sprach von Erdrutschen, Lawinen, Überschwemmungen. Er betonte aber auch die globale Bedeutung von Schnee und Eis für Nahrungsmittel und Wasser. Nicht nur, dass lokale Gemeinden auf das Wasser von Gletschern zum Trinken und in der Landwirtschaft angewiesen sind – 16 Prozent der Produkte, die mit Wasser aus der Schneeschmelze hergestellt werden, werden weltweit gehandelt, sagt Nanni. Auch er präsentierte starke Beweise dafür, dass die Auswirkungen der Erwärmung auf die Berggletscher viel stärker sein werden, wenn wir über 2 Grad gehen.

Ugo Nanni in Oslo (Foto: I. Quaile)

Die Kryosphäre bei den UN-Klimaverhandlungen

Es gibt ein zunehmendes Bewusstsein dafür, dass die Kryosphäre eine riesige und lang unterschätzte Rolle in der zukünftigen Entwicklung unseres Planeten spielt. Bis heute hat sich dies jedoch nicht ausreichend in den UN-Klimagesprächen widergespiegelt. Allianzen arbeiten auf verschiedenen Ebenen, um dies in die COP-Verhandlungen einzubringen. Auf der COP27 in Ägypten im vergangenen Jahr gründete eine Gruppe von 20 Ländern die Ambition on Melting Ice high-level group on Sea-level Rise and Mountain Water Resources (AMI), „um sicherzustellen, dass die irreversiblen und verheerenden globalen Auswirkungen des Eisverlusts von den politischen Führern und der Öffentlichkeit gleichermaßen verstanden werden: nicht nur innerhalb von Berg- und Polarregionen, sondern im gesamten Planeten.“ Auf dem One Planet – Polar Summit in Paris Anfang November wird Frankreich der Gruppe beitreten. Auf der Klimakonferenz in Dubai sollen weitere Länder folgen.

Was den Schutz des Eises und des Schnees des Planeten betrifft, so liefert die Wissenschaft eine klare Botschaft: 1,5°C ist eine rote Linie, die nicht überschritten werden darf. Selbst die 2°C, die technisch noch vom Pariser Abkommen erlaubt sind, würden zu sehr drastischen Auswirkungen führen.

Es gibt Zeichen der Hoffnung

Positiv ist, dass der World Energy Outlook 2023 der Internationalen Energieagentur (IAE) erhebliche Fortschritte bei der Emissionsreduzierung verzeichnet: „Die Kombination aus wachsender Dynamik hinter sauberen Energietechnologien und strukturellen wirtschaftlichen Verschiebungen auf der ganzen Welt hat große Auswirkungen auf fossile Brennstoffe, wobei die globale Nachfrage nach Kohle, Öl und Erdgas voraussichtlich in diesem Jahrzehnt ihren Höhenpunkt erreichen sollen. Es ist das erste Mal, dass dies in einem WEO-Szenario auf der Grundlage der heutigen politischen Rahmenbedingungen stattgefunden hat“, heißt es in dem Bericht.

„In diesem Szenario sinkt der Anteil fossiler Brennstoffe an der globalen Energieversorgung, die seit Jahrzehnten bei etwa 80% feststeckt, bis 2030 auf 73%, wobei die globalen energiebezogenen Kohlendioxidemissionen bis 2025 ihren Höhepunkt erreichen.“ Die globalen Kohlendioxidemissionen (CO2) aus dem Energieverbrauch und der Industrie könnten sogar noch in diesem Jahr ihren Höhepunkt erreichen, so eine Analyse der IEA-Zahlen von Carbon Brief.

Das sind Zeichen der Besserung. Aber die Welt bewegt sich immer noch nicht schnell genug: „So wie die Dinge stehen, wird die Nachfrage nach fossilen Brennstoffen viel zu hoch bleiben, um das Ziel des Pariser Abkommens, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperaturen auf 1,5 °C zu begrenzen, zu halten“, so die IEA.

„Das bedeutet nicht nur eine weitere Verstärkung der Klimaauswirkungen nach einem Jahr rekordverdächtiger Hitze; es untergräbt auch die Sicherheit des Energiesystems, das für eine kühlere Welt mit weniger extremen Wetterereignissen entwickelt wurde. Es wäre immer noch möglich, ein Emissionspfad einzuschlagen, der mit 1,5 °C übereinstimmt, aber es wäre sehr schwierig. Die Kosten der Untätigkeit könnten enorm sein: Trotz des beeindruckenden Anstiegs der sauberen Energie, der auf den heutigen politischen Rahmenbedingungen basiert, würden die globalen Emissionen hoch genug bleiben, um die globalen Durchschnittstemperaturen in diesem Jahrhundert um etwa 2,4 °C zu erhöhen, weit über die im Pariser Abkommen festgelegten Grenzen“, so die IEA.

Harte Zeiten für Klimaverhandlungen

Das setzt die Messlatte für die Unterhändler in Dubai sehr hoch. Deutschlands Sonderbeauftragte für Klimaschutz, ehemalige WRI-Klimachefin und Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan hat davor gewarnt, dass die Zunahme von Kriegen und Konflikten, nicht zuletzt im Nahen Osten, die Aufmerksamkeit für die Notwendigkeit dringender Klimaschutzmaßnahmen abwenden könnte. Das könne sich die Welt nicht leisten, betonte sie in einem Radiointerview.

Die diesjährige UN-Konferenz soll eine Bilanz der bisher ergriffenen Maßnahmen zur Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens ziehen. Es gibt Befürchtungen, dass die Akteure fossiler Brennstoffe versuchen werden, den Konsens zu schwächen, dass die strengere Obergrenze von 1,5°C eingehalten werden muss.

Wenn das passierte, wäre es eine Katastrophe für unsere eisigen Regionen – und den Rest der Welt. Die Auswirkungen schmelzender Gletscher, des Auftauens des Permafrosts, des Verschwindens des Meereises sind unmöglich zu übersehen – sie sind global und potenziell verheerend.

Das heißt, was auch immer wir in den Medien hören, ob es sich nach Untergangs- oder „Halb so schlimm“-szenarien anhört – wir dürfen den Imperativ nicht aus den Augen verlieren: Wir müssen die Emissionen reduzieren und den Temperaturanstieg stoppen – jetzt.

Wir müssen bereit sein, unseren Lebensstil zu ändern. Die Staaten und Unternehmen, die von fossilen Brennstoffen profitieren, müssen damit aufhören Schlussfolgerungen, dass wir noch Zeit haben – oder aber, dass es sowieso zu spät ist, etwas zu tun – das sind Schlussfolgerungen, die wir nicht brauchen. Es könnte kaum mehr auf dem Spiel stehen.

Link zum Blog von Dr. Irene Quaile-Kersken:

Aktueller Blog: https://iceblog.org

Älterer Blog: https://blogs.dw.com/ice/ 

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