Trotz der starken saisonalen Schwankungen der Lebensbedingungen in der Arktis, folgen die am Meeresboden des Arktischen Ozeans lebenden Tiere das ganze Jahr über demselben Rhythmus — weitgehend unbeeindruckt von den Jahreszeiten.
Die Jahreszeiten in der Arktis bedeuten drastische Veränderungen für Flora und Fauna an Land und an der Meeresoberfläche. Umso überraschter war ein norwegisch-polnisches Forschungsteam als es herausfand, dass das Makrobenthos — große am Meeresboden lebende Tiere wie Seesterne, Krustentiere, Borstenwürmer oder Muscheln — kaum auf die starken saisonalen Schwankungen reagiert.
Die im Dezember 2023 in Progress in Oceanography veröffentlichte Studie konzentrierte sich auf sieben Stationen östlich von Svalbard und erforschte die saisonalen Dynamiken von Lebewesen am Meeresboden. Entgegen den Erwartungen fanden die Forschenden wenig Variationen in Bezug auf Artenzusammensetzung und Anzahl der Tiere in diesen Gemeinschaften über die Jahreszeiten hinweg.
«Viele Bodentiere pflanzen sich in Form von Larven fort, die mit den Wassermassen schwimmen. Nach einiger Zeit setzen sich diese auf dem Boden ab und beginnen zu wachsen. In saisonalen Meeresbodengemeinschaften könnte man gelegentlich größere Mengen solcher Rekruten finden, aber das war in unserer Studie nicht der Fall», sagt Henning Reiss, Professor an der Fakultät für Biowissenschaften und Aquakultur der Nord University in Bodø, Norwegen, und Seniorautor der Studie, in einer Pressemitteilung der Universität.
Die Nahrung dieser bodenbewohnenden Tiere stammt hauptsächlich aus organischem Material, das aus den oberen Wasserschichten herabsinkt. Diese Nahrungsversorgung wird stark von den Jahreszeiten beeinflusst, mit einer großen Phytoplanktonblüte im Frühling, von der das Zooplankton profitiert und daraufhin schnell wächst. Sobald die Sonne wieder hinter dem Horizont verschwindet, die Dunkelheit des Winters einkehrt und sich das Eis ausbreitet, wandert das Zooplankton in größere Tiefen und wartet auf das nächste Frühjahr.
«Die Bedingungen in der Barentssee ändern sich im Laufe der Jahreszeiten drastisch. Es gibt die Polarnacht, in der aufgrund des Lichtmangels keine Photosynthese und damit keine Phytoplanktonproduktion stattfindet. Daher nahm man an, dass der Winter hier eine Art ‚Schlafperiode‘ für die am Boden lebenden Tiergemeinschaften ist», erklärt Hauptautor Èric Jordà-Molina, der die aktuelle Studie im Rahmen seiner Doktorarbeit an der Nord University durchführte.
Doch nun stellt sich heraus, dass im arktischen Winter mehr passiert als bisher angenommen. Das Forschungsteam hat erstmals die saisonalen Veränderungen in bodenbewohnenden Tiergemeinschaften im offenen Arktischen Ozean untersucht.
«Wir möchten ein besseres Verständnis der schnellen Klimaveränderungen in der nördlichen Barentssee und der Arktis insgesamt gewinnen. Neben der Untersuchung von Tier- und Pflanzengemeinschaften interessieren uns insbesondere der Zeitpunkt und die Muster der Prozesse, die am Meeresboden stattfinden», so Professor Reiss.
Die Sedimente auf dem Meeresboden, die während nährstoffarmer Perioden als stabile Nahrungsquellen dienen, könnten diese Widerstandsfähigkeit erklären. «Noch ist es nur eine Hypothese. Aber aufgrund der starken Advektion aus nährstoffreichen Gewässern in die Barentssee und der relativ hohen Primärproduktion in diesem Gebiet, gepaart mit niedrigen Wassertemperaturen, könnten sich in den Meeressedimenten abgelagerte organische Stoffe ansammeln und als Nahrungsspeicher fungieren», so Jordà-Molina.
Trotz des Fehlens saisonaler Variationen gab es signifikante Unterschiede zwischen den verschiedenen Stationen: Umweltfaktoren wie Eisbedeckung, Tiefe, Sedimenttyp, Salzgehalt und Temperatur am Meeresboden beeinflussen die Gemeinschaften von Bodenlebewesen erheblich. Südlich der Polarfront fanden die Forschenden eine Gemeinschaft mit hoher Vielfalt, möglicherweise aufgrund höherer Produktivität in den Wassermassen darüber und besserem Zugang zu Nahrung für Bodenlebewesen. «Im Gegensatz dazu waren die Tiergemeinschaften unten im Nansen-Becken ganz anders, mit spezialisierteren und einzigartigen Tiergruppen, die an große Tiefen und begrenzte Nahrungsbedingungen angepasst sind», sagt Jordà-Molina.
Die überraschende Entdeckung der Forschenden könnte bedeuten, dass die größeren benthischen Tiere gegen die aktuellen Klimaveränderungen möglicherweise über eine Art Puffer verfügen und weniger stark und vielleicht erst später die Auswirkungen des Klimawandels spüren werden.
«Wir sehen, dass diese Tiergemeinschaften unabhängig von den saisonalen Schwankungen in den darüber liegenden Wassermassen leben. Das verschafft uns Zeit, wenn es zu Veränderungen in der arktischen Umwelt kommt. Aber das wird nicht ewig so bleiben, vor allem nicht in einer Zeit, in der Hitzewellen im Meer und eine geschwächte Eisdecke immer häufiger auftreten», so Jordà-Molina.
Die Studie war Teil des Nansen Legacy-Projekts, einer interdisziplinären Zusammenarbeit, an der Forschende aus Nordnorwegen gemeinsam mit Akvaplan-NIVA beteiligt waren.
Julia Hager, PolarJournal