Einer Gruppe von Anthropologen des Zentrums für Arktis- und Sibirienforschung gelang es während der komplexen Expedition „Clean Arctic – Vostok-77“ die Hypothese zu bestätigen, dass sich die Routen und Zeitpläne für die Wanderungen mit Rentierherden der Nenzen in den letzten zehn Jahren durch das Aufkommen von Mobilfunkmasten in der Tundra verändert haben.
Bereits 2019 stellten Forschende bei den Rentierzüchtergemeinschaften am linken Jenissei-Ufer Veränderungen in den Migrationsrouten und -plänen fest. Es stellte sich heraus, dass die Lager länger als gewöhnlich in der Zone zuverlässigen Mobilfunkempfangs bleiben, wodurch die Herden Moose in einem Gebiet mit einem Durchmesser von 30 km um die Kommunikationstürme zerstören.
„Heutzutage konzentrieren sich staatliche Dienstleistungen, Medizin und Studien auf den Online-Bereich und Nomaden sind auch Menschen, die von Regierungsbehörden zur Durchführung bestimmter bürokratischer Rituale verpflichtet werden“, erklärte Dmitry Belov, stellvertretender Leiter der Expedition.
„Die östlichen Nenzen begannen sich mit Kommunikations-Netzwerken zu verbinden und von dem Weg abzuweichen, den ihre Vorfahren jahrhundertelang beschritten hatten. Das gleiche Phänomen beobachten wir bei den westlichsten Nenzen im Autonomen Gebiet der Nenzen. Aber man kann nicht die gesamte Tundra mit Türmen abdecken, deshalb testen wir seit drei Jahren verschiedene Möglichkeiten mit Kommunikation per Satellit, die Familien von Rentierhirten, Jägern und Fischern von überall in der Tundra Zugang zum Internet ermöglichen könnten“, meint Belov.
Handel und seine Nebenwirkungen
Im Jamal-Gebiet wurde im Laufe der Zeit ein Netzwerk von Handelsposten für die Versorgung der Tundra-Nomadenbevölkerung aufgebaut. Gehandelt wird mit Fisch, Fleisch, Pelzen, Häuten, Wildpflanzen und Kunsthandwerk, Nationalkleidung, sowie mit Bezügen für Zelte, Jagd- und Rentierzuchtausrüstung.
Die Existenz eines Netzwerks von Handelsposten hat sich zwar bewährt, aber die Waren kommen dort in Containern und Verpackungen an. Durch den Austausch und die Reparatur von Geräten bleiben Berge von Abfall und Altmetall zurück.
Bei der Erstellung einer Karte des sowjetischen Wirtschaftserbes im Autonomen Kreis der Jamal-Nenzen entdeckten die Expeditionsteilnehmer 42 Deponien auf der Grundlage sowjetischer Kartenmaterialien und nach Interviews mit Bewohnern. Acht davon sind grosse Mülldeponien, die über Jahrzehnte von in der Tundra gelegenen Handelsposten angesammelt wurden und von dort nicht entfernt werden konnten.
„Noch haben nicht alle Handelsposten die Beseitigung fester Siedlungs- und Industrieabfälle etabliert und das Vergraben ist nicht möglich. Die Handelspostenstehen auf Permafrostböden. Es ist im Allgemeinen unmöglich, auch nur einen Zentimeter tief in den Boden zu graben“, sagte Expeditionsmitglied Rodion Kosorukov, Wissenschaftler am ASI-Zentrum des Föderalen Wissenschaftlichen Forschungszentrums der Russischen Akademie der Wissenschaften.
Die grössten Deponien befinden sich nach Angaben der Expeditionsleitung in der Nähe der permanent aktiven oder saisonalen Handelsposten Yary, Ust-Yuribey, Yuribey-Gydansky, Mordyyakha, Messo, Laborovaya, Shchuchye, Matyui-Sale.
Es ist durchaus möglich, dass einige der Deponien bereits in den letzten Monaten von Kommunen aufgelöst wurden, da die Daten der befragten Informanten und Satellitenbilder, die zum Vergleich des aktuellen Zustands der Deponien herangezogen wurden, veraltet sein könnten. Während der Expedition mussten die Forscher zudem die Grösse und Zusammensetzung der entdeckten Mülldeponien beurteilen.
Insgesamt zeigte sich der Expedition ein zwiespältiges Bild: Während die Volksgruppe der Nenzen ihre traditionelle Lebensweise weiterführt, sind die Auswirkungen einer der modernen Zeiten angepassten Lebensweise enorm gross und nicht nur positiv. Die veränderten Wanderrouten und die Hinterlassenschaften der Handelsposten sind nur zwei solcher Faktoren.
Heiner Kubny, PolarJournal