Der polare Rückblick – Grösse, Geschlechter, Grönland | Polarjournal

Der polare Rückblick greift Geschehnisse der vergangenen Woche auf, die mit Arktis und Antarktis zusammenhängen und stellt einen oder mehrere Aspekte ins Zentrum der Betrachtung. Dieses Mal geht es um Grösse, Geschlechter und Grönland.

Am 8. März wurde mit dem Weltfrauentag einmal mehr auf die Beiträge der Frauen in den verschiedensten Bereichen des Lebens aufmerksam gemacht. Und obwohl bereits vieles in Sachen Gleichberechtigung und Gleichstellung erreicht worden ist, stehen Frauen in der menschlichen Gesellschaft häufig ungleicher Behandlung und Bevormundung bis hin zu psychischer und physischer Gewalt gegenüber.  Ein Beispiel dafür ist die Diskussion über die Aufarbeitung des «IUP»-Skandals in Grönland im dänischen Parlament. Zur Erinnerung: In den 1960er- und -70er Jahren wurden in Grönland durch die dänischen Gesundheitsbehörden tausenden von Frauen sogenannte Intrauterinpassare eingesetzt, oft ohne Zustimmung der Frauen und Mädchen.

Erst aber vor zwei Jahren kam diese Geschichte durch einen Investigativreport ans Licht. Seither kämpfen die betroffenen Frauen nicht nur um finanzielle Entschädigung, sondern auch um eine richtige Aufarbeitung von Seiten Dänemarks. Die Diskussion geht auch nicht nur um die historische Aufarbeitung, sondern auch um die Rechte der Inuit-Frauen, selbst über ihren Körper und ihre Sexualität und das Recht zur Fortpflanzung bestimmen zu können, wie Sara Olsvig, die Präsidentin des Inuit Circumpolar Councils in einem Meinungsbeitrag schreibt. Denn die Machenschaften der damaligen dänischen Behörden sind kein Einzelfall. Auch in Kanada kamen Beweise ans Licht, dass tausende von indigenen Frauen zwangssterilisiert worden sind und in anderen arktischen Ländern dürften ähnliche Vorgänge durchgeführt worden sein.

Diese Praktiken verstossen gemäss Sara Olsvig und der grönländischen Abgeordneten im dänischen Parlament Aaja Chemnitz, nicht nur gegen die Rechte der Frauen, sondern auch gegen die grundlegenden Menschenrechte der grönländischen Bevölkerung. Und das sollte von Dänemark in der Zusammenarbeit mit Grönland ebenfalls aufgearbeitet werden. Doch die dänische Gesundheitsministerin weigert sich, dieser Forderung nachzukommen. Es sei wichtig, die zwei Aspekte voneinander getrennt zu behandeln, erklärte sie als Antwort.

Orcas sind temporäre Besucher der Arktis und Antarktis, da sie eine reichhaltige Nahrungspalette antreffen. Und obwohl weibliche Orcas um einiges kleiner sind als die Männchen, liegt die Leitung einer Gruppe bei ihr. (Foto: Michael Wenger)

Sowohl Sara Olsvig wie auch Aaja Chemnitz betrachten diese Aussage als schweren Schlag sowohl für die Rechte der arktischen indigenen Bevölkerung wie auch für die Frauenrechte. Doch wieso existiert in der heutigen Gesellschaft immer noch dieser Zustand der Ungleichheit zwischen den Geschlechtern. Eine Antwort darauf könnte sich bei der Aussage aus Darwins „Entstehung der Arten“ finden. Denn dort beschrieb er die kleinere physische Erscheinung von weiblichen Individuen als einen natürlichen Zustand bei Säugetieren und damit auch beim Menschen. Eine Sichtweise, die gemäss Dr. Kaia Tombak, dem Zeitgeist entsprach und immer noch entspricht und womt die westliche Gesellschaft dazu neigt, alle Probleme und Fragen durch eine männliche Linse zu betrachten. Um aber zu kontrollieren, ob Darwin mit seiner Aussage tatsächlich Recht hatte, führten Dr. Tombak und zwei weitere Forschende dazu eine Studie durch.

In ihrer Arbeit, die bei Nature Communication veröffentlicht wurde, konnte das Forschungsteam aber klar zeigen, dass Darwins Aussage nicht so zutrifft. Nur gerade 45 Prozent der untersuchten Arten zeigen signifikant grössere Männchen als Weibchen; bei 16 Prozent ist es umgekehrt und 39 Prozent zeigen keinen Unterschied.

Wendet man diese Ergebnisse auf die Polarregionen an, zeigt sich, dass einige Arten in der Arktis und Antarktis an beiden Enden der Skala liegen. Beispielsweise sind Südliche See-Elefanten diejenige Säugetierart, die den grössten geschlechtsspezifischen Unterschied zeigen. Bullen wiegen bis zu 4 Tonnen, während die Weibchen durchschnittlich rund 900 Kilo auf die Waage bringen. Auch Walrosse und alle Ohrenrobben zeigen ein ähnliches Bild. Auf der anderen Seite sind bei Hundsrobben wie Seeleoparden oder Weddellrobben die Weibchen ein Stück grösser als die Männchen.

Dann wären da noch die Wale, bei denen die Orcas ein ähnliches Bild zeigen wie die See-Elefanten bei den Robben und die Männchen rund 10 Tonnen wiegen können, die Weibchen bis zu 6 Tonnen.

Doch gerade Orcas zeigen ein Bild, das vom üblichen Schema «Grösse = Dominanz» abweicht. Denn die Clans werden von einem Alpha-Weibchen angeführt, nicht vom viel grösseren Bullen. Sie sagt, wo es lang geht, und hält die Gruppe beieinander. Den Bullen stehen andere Aufgaben zu und sie sind vor allem für die Fortpflanzung wichtig. Dabei paaren sich Weibchen nicht mit jedem x-beliebigen Bullen, sondern wählen die Partner sehr genau aus. Das bedeutet, dass bei diesen hochintelligenten Säugetieren die Weibchen über ihren Körper und ihre Fortpflanzung entscheidet. Darum stellt sich die Frage, warum es bei einem Landsäugetier, dass sich selbst als hochintelligent betrachtet, anders sein sollte?

Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG

Link zur Studie: Tombak et al (2024) Nat Commun 15 (1872), New estimates indicate that males are not larger than females in most mammal species, doi.org/10.1038/s41467-024-45739-5

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