Die Rolle arktischer Flüsse im globalen Klimawandel | Polarjournal
Die Kolyma im östlichen Sibirien ist über acht Monate im Jahr metertief gefroren. Wenn das Eis im Juni schmilzt, gelangen riesige Mengen an Sediment und organischem Material in den Arktischen Ozean. Foto: Norman Kuring/NASA’s Ocean Color Web

Arktische Flüsse führen aufgrund der Erwärmung mehr Wasser und enthalten mehr Kohlenstoff, was zu einer veränderten Ökologie in den arktischen Lagunen, zu mehr Süßwasser im Arktischen Ozean und möglicherweise zu einer Verlangsamung der Atlantischen Umwälzzirkulation führen wird — Auswirkungen der tauenden Permafrostböden, denen sich ein Forschungsteam erstmals so ausführlich widmete.

Unter den zahllosen Veränderungen, mit denen der Klimawandel in der Arktis einhergeht, spielen die arktischen Flüsse eine entscheidende Rolle. Eine am 5. März in der Fachzeitschrift The Cryosphere veröffentlichte Studie berichtet über die Veränderungen, die diese Flüsse derzeit erfahren, und die weitreichenden Folgen für die Umwelt und das Klima, nicht nur in der Arktis sondern weltweit.

Die Autoren der Studie untersuchten die Auswirkungen der Erwärmung auf die arktischen Flüsse und stützten sich dabei auf historische Daten sowie ein Computermodell, das Klimamodelle mit einem Permafrost-Wasserkreislauf-Modell kombinierte. 

«Wir haben herausgefunden, dass das Auftauen des Permafrosts und die zunehmenden Stürme die Art und Weise verändern werden, wie sich das Wasser in und durch die arktischen Flüsse bewegt. Diese Veränderungen werden sich auf die Küstenregionen, den Arktischen Ozean und möglicherweise auch auf den Nordatlantik sowie auf das Klima auswirken», schreiben die beiden Autoren Michael A. Rawlins, Stellvertretender Direktor des Climate System Research Center und außerordentlicher Professor für Klimatologie an der University of Massachusetts Amherst, und Ambarish Karmalkar, Assistenzprofessor für Geowissenschaften an der University of Rhode Island, in einem Artikel in The Conversation.

Rawlins und Karmalkar betrachteten den Zeitraum bis zum Ende des Jahrhunderts und verwendeten für die Modellierung zwei verschiedene Szenarien: ein moderates Szenario, bei dem die Treibhausgasemissionen reduziert werden und der Temperaturanstieg gebremst wird, und ein pessimistisches Szenario mit hohen Emissionen und starker Erwärmung. Sie fanden heraus, dass die mächtiger werdende aktive Schicht des Permafrostbodens die Hydrologie der Region grundlegend verändern wird.

Auf der Nordhalbkugel nehmen Permafrostböden noch eine Fläche von mehr als 22 Millionen Quadratkilometern ein, doch die Forscher gehen davon aus, dass die Ausdehnung des Permafrost in der Arktis bis zum Ende des Jahrhunderts um 42 bis 63 % abnehmen wird. Karte: GRID-Arendal/Nunataryuk

«Eine dickere aktive Schicht schafft einen größeren ‘Eimer‘ zum Speichern von Wasser», so Rawlins in einer Pressemitteilung der Universität. «Unsere Arbeit zeigt, dass bei verstärkten Niederschlägen das Wasser länger in aufgetauten Böden gespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt über unterirdische Pfade abgegeben wird, anstatt sofort in Flüsse und Bäche abzulaufen, wie es heute der Fall ist.»

Die aktive Schicht des Permafrost, die regelmäßig im Sommer auftaut, wird aufgrund der raschen Erwärmung mächtiger und sie bleibt länger bestehen bevor sie wieder gefriert.  Dies verändert die Hydrologie der Arktis grundlegend erklären die Forscher: Niederschläge und Schmelzwasser nehmen mit steigenden Temperaturen zu, dringen über einen längeren Zeitraum pro Jahr in den nicht mehr gefrorenen Boden ein und fließen vermehrt auf unterirdischen Pfaden in die Flüsse ab. Ihre Berechnungen ergaben, dass sich der oberirdische Abfluss der großen arktischen Flüsse um bis zu 25 % erhöht und der unterirdische sogar um 30 %.

Die Intensivierung des Wasserkreislaufs ist zum Teil auch auf eine höhere Verdunstung über dem zunehmend eisfreien Arktischen Ozean zurückzuführen. Für die südliche Arktis prognostizieren die Forscher eine allgemeine Austrocknung der Landschaft, da aufgrund der starken Erwärmung ein Großteil der zusätzlichen Niederschläge durch Verdunstung und Pflanzentranspiration zurück in die Atmosphäre geleitet werden.

Die arktischen Flusseinzugsgebiete: Die Breite der blauen Linien verdeutlicht den relativen Abfluss der Flüsse, wobei die dicksten Linien die Flüsse mit dem größten Volumen kennzeichnen. Die Zahlen auf der Karte geben den Abfluss in Kubikkilometern pro Jahr an. Karte: NOAA Arctic Climate Impact Assessment Report

Doch die Auswirkungen reichen noch weiter: Der Studie zufolge werden die arktischen Flüsse — insbesondere die größten wie der Ob, der Jenissei, die Lena und der Mackenzie — anteilig mehr Wasser aus ihren nördlichen Abschnitten aufnehmen. Somit steigt auch der Eintrag von Süßwasser, Jahrtausende altem Kohlenstoff und anderen im Boden gebundenen Stoffen in die artenreichen arktischen Küstengebiete, was einen Einfluss auf die Ökologie der küstennahen Gewässer haben wird. Während der Salzgehalt sinken wird, werden mehr Nährstoffe eingetragen mit Auswirkungen auf Organismen in der gesamten Nahrungskette.

«Das Flusswasser wird auch wärmer sein, wenn sich das Klima erwärmt, und es besteht die Gefahr, dass das Meereis an der Küste früher in der Saison schmilzt», erklären Rawlins und Karmalkar in The Conversation.

Möglicherweise könnte der erhöhte Süßwassereintrag in den Ozean auch die Atlantische Meridionale Umwälzzirkulation (AMOC – Atlantic Meridional Overturning Circulation) beeinflussen, die für ein gemäßigtes Klima in Nordeuropa sorgt, und zu ihrer Verlangsamung beitragen.

Noch sind viele Fragen offen: «Wir brauchen mehr Feldbeobachtungen an den kleinen und mittelgroßen Flüssen in der Nähe der arktischen Küste, um besser zu verstehen, wie die Erwärmung den Süßwassertransport vom Land zum Ozean verändern wird, was wiederum Auswirkungen auf die arktische Umwelt und die Flora, Fauna und die indigenen Völker hat, die diese Region ihr Zuhause nennen», so Rawlins.

Julia Hager, PolarJournal

Link zur Studie: Michael A. Rawlins, Ambarish V. Karmalkar. Regime shifts in Arctic terrestrial hydrology manifested from impacts of climate warming. The Cryosphere, 2024; 18 (3): 1033 DOI: 10.5194/tc-18-1033-2024

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