Der polare Rückblick greift Geschehnisse der vergangenen Woche auf, die mit Arktis und Antarktis zusammenhängen und stellt einen oder mehrere Aspekte ins Zentrum der Betrachtung. In der neuen Ausgabe stehen Island, Svalbard und Russland im Zentrum, wo einige Überraschungen die Schlagzeilen gemacht hatten.
Island hat in den letzten Wochen und Monaten vor allem Schlagzeilen mit Vulkanausbrüchen gemacht, die aber zumindest bei den letzten Malen aber mit Ankündigungen kamen. Also kaum Überraschendes von der Insel direkt am Polarkreis, wollte man meinen. Doch die Nachricht, dass Premierministerin Katrín Jakóbsdottir von ihrem Amt zurücktreten, bzw. am 1. Juni nicht zur Wiederwahl antreten wird, dürfte so ziemlich jeden überrascht haben und auch einem Vulkanausbruch nahekommen. Denn Anzeichen für einen bevorstehenden Rücktritt waren keine da und die Ankündigung kam aus dem Nichts. Die Regierungskoalition aus Links-Grün, Liberalen und Mitte-Rechts ist stabil, das Land sieht sich zwar grossen wirtschaftlichen und (dank dem Vulkanausbruch) infrastrukturellen Herausforderungen ausgesetzt und wird einige «heisse» Eisen und anpacken müssen. Doch in der Bevölkerung geniesst die Premierministerin und ihre Regierung immer noch grossen Rückhalt, auch wenn Links-Grün bei der letzten Wahl zurückgefallen ist und die anderen Koalitionspartner an Schwung gewonnen hatten.
Katrín Jakóbsdottir wird sich jedoch nicht zurückziehen, sondern hat angekündigt, für das Präsidentschaftsamt zu kandidieren, das zurzeit von Guðni Thorlacius Jóhannesson gehalten wird. Dieser hat schon früher angekündigt, für eine weitere Amtszeit nicht mehr zur Verfügung zu stehen. «Ich hatte schon vor einiger Zeit beschlossen, mich bei den nächsten Parlamentswahlen nicht wieder zur Wahl zu stellen. Gleichzeitig habe ich immer noch den brennenden Wunsch, der isländischen Gesellschaft weiterhin meine Dienste zur Verfügung zu stellen», erklärte die Premierministerin in einem Video.
Eine Ankündigung aus dem nordöstlich von Island gelegenen Svalbard war ebenfalls überraschend, jedoch mit weniger Sprengkraft. Ab April dieses Jahres sollen Touristen von Murmansk aus per Schiff nach Barentsburg fahren können, um den lokalen Tourismus anzukurbeln. Diese Ankündigung hat der Leiter der in Barentsburg beheimateten staatlichen Betreibergesellschaft Arktikugol, Ildar Neverov, bei einem Seminar in Moskau gemacht. Seinen Plänen nach soll das in die Jahre gekommene Schiff Klavdija Yelanskaya, ein eisverstärktes Schwesterschiff der bekannten Ocean Adventurer, die rund zweitägige Fahrt so lange durchführen, bis ein neues, sich im Bau befindliches Passagierschiff 2026 fertiggestellt sein wird. Danach sollen bis zu 200 Passagiere pro Fahrt nach Barentsburg gebracht werden.
Obwohl Neverov sich viel von diesem neuen Angebot erhofft, sind Expertinnen und Experten skeptisch, was die Nachfrage anbelangen wird. Erstens dürften die Fahrten zu teuer werden, wenn sie wirtschaftlich rentabel sein sollen. Dagegen kann jedoch argumentiert werden, dass die russische Regierung in der Vergangenheit schon oft wirtschaftlich unrentable Projekte unternommen hat und das Aufrechterhalten des Kohleabbaus in Barentsburg dazugezählt werden darf. Zweitens ist die Destination wenig attraktiv und eine Zusammenarbeit mit Longyearbyen kaum wahrscheinlich. Denn mit dem Hauptort bzw. mit den norwegischen Behörden liegt man seit dem russischen Angriff auf die Ukraine im Clinch. Charterflüge wurden abgelehnt, Visa für Svalbard und Norwegen kaum ausgestellt. Ausserdem sorgt eine ohne Genehmigung errichtete Leuchtreklame am «Russki Dom» in Longyearbyen und der Vorwurf von illegalem Verhalten bei Hubschrauberflügen auf dem Tisch. Es ist also anzunehmen, dass solche Fahrten ab Murmansk zumindest zurzeit nicht die erhoffte Fahrt aufnehmen werden.
Überraschendes aus Murmansk meldeten russische und internationale Newsportale gegen Ende der Woche. Denn der Gouverneur des Oblast Murmansk, Andrey Chibis, wurde bei einem Messerangriff verletzt. Der Täter, ein 42-jähriger Eisenbahnarbeiter aus der Region Apatity, wo die Attacke stattfand, hatte dem Gouverneur beim Verlassen einer öffentlichen Aula nach einem Auftritt aufgelauert und ihn mit einem Messer in den Bauch gestochen. Daraufhin wurde der Täter gefasst und Chibis ins Krankenhaus gebracht. Gemäss den Angaben seien die Verletzungen nicht lebensgefährlich, aber durchaus schwerwiegend.
Andrey Chibis ist seit 2019 Gouverneur von Murmansk und ist ebenfalls der regionale Vorsitzende der Regierungspartei «Vereintes Russland». Er unterstützt den Krieg gegen die Ukraine sehr stark und macht sich ebenfalls für eine Aufrüstung Russlands in der Arktis stark. In seine Regierungszeit fielen mehrere Umweltskandale wie beispielsweise der massive Dieselaustritt in einer Raffinerie in Norilsk. Ausserdem wird seine Wirtschaftspolitik stark kritisiert, sie sei vor allem positiv für einen erlauchten Kreis von Oligarchen. Ob einer dieser Punkte mit dem Motiv des Täters in Zusammenhang stehen, ist nicht bekannt. Der Angriff auf Chibis ist auf jeden Fall auch für Russland eine Überraschung, da nur selten hochrangige Regierungsvertreter Opfer von solchen Angriffen werden. Der letzte ähnliche Vorfall liegt bereits 15 Jahre zurück.
Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG