Der polare Rückblick – Ein Blick unter Antarktikas eisige Küstenlinie | Polarjournal
An der Oberfläche gut erforscht, doch unter Wasser noch voller offenerer Fragen, das sind die antarktischen Küstenregionen. Neue Studien schaffen nun etwas Abhilfe. Bild: Michael Wenger

Der polare Rückblick greift Geschehnisse der vergangenen Woche auf, die mit Arktis und Antarktis zusammenhängen und stellt einen oder mehrere Aspekte ins Zentrum der Betrachtung. Letzte Woche tauchten eine Reihe neuer Forschungsergebnisse buchstäblich in die eisigen Gewässer entlang der antarktischen Küsten und bietet ein klareres Bild von den komplexen Wechselwirkungen des Kontinents mit dem umgebenden Südlichen Ozean und den Auswirkungen einiger bislang wenig beachteter Strömungen auf das Schmelzen des Schelfeises und den Wärmetransport.

Neueste Forschungsergebnisse beleuchten das komplexe Zusammenspiel zwischen dem Antarctic Slope Undercurrent (ASC), Schelfeis und der Stabilität des Eisschildes. Der ASC, eine unter dem antarktischen Schelfeis ostwärts fließende Strömung, transportiert sowohl Wärme als auch potenzielles Schmelzwasser. In einer Studie wurde anhand von Simulationen die Dynamik des Unterstroms entlang der westantarktischen Küste untersucht. Die Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass das Schmelzwasser unter dem Schelfeis die ostwärts gerichtete Unterströmung verstärkt, was die Zufuhr von warmem zirkumpolarem Tiefenwasser (CDW) zu den Schelfeisen fördern und die Basalschmelzraten beschleunigen könnte.  Der ASC kann jedoch auch eine Rolle beim Abtransport von Schmelzwasser vom Schelfeis spielen, wodurch einige der Wärmeeffekte des CDW abgeschwächt werden könnten. Dieser komplizierte Tanz zwischen Wärmezufuhr und Schmelzwassertransport erfordert genauere Untersuchungen.

In weiteren Studien wurden die Prozesse beleuchtet, die die Instabilität in kritischen Abschnitten der Antarktis antreiben. Eine Studie befasste sich mit der jahreszeitlichen Entwicklung des oben erwähnten antarktischen Hangstromsystems, diesmal jedoch vor der Küste von Dronning Maud Land in der Ostantarktis. Diese Arbeit verdeutlicht die Schwankungen des Warmwassertransports in Richtung Kontinent, der die Schelfeisschmelzraten beeinflusst.

Das grösste zusammenhängende Eisschelf liegt im Rossmeer und ist grösser als Frankreich. Doch die scheinbar unendliche und stabil scheinende Eisfläche ist von unten bedroht, besonders durch wärmeres Tiefenwasser und die Topographie des Meeresbodens spielt dabei eine wesentliche Rolle. Bild: Michael Wenger

In einer dritten Studie im Zusammenhang mit der antarktischen Küste kartierten die Forscher die komplizierte Bodenzone des Ross-Schelfeises, wo das Eis zum schwimmenden Schelfeis wird. Ihre Arbeit offenbarte Kanäle und Spalten, durch die wärmeres Wasser eindringen und das Schmelzen des Eises von unten beschleunigen kann. Die Forscher konzentrierten sich insbesondere auf die Rolle der Tiefseekämme (bathymetric ridges).  „Diese Erhebungen können wie natürliche Puffer wirken und den Rückzug des Eisschelfs verlangsamen“, erklärt Dr. Alastair Graham, Hauptautor der Studie zur Kartierung des Ross-Schelfeises, „Doch sobald diese natürlichen Schutzmechanismen überwunden sind, kann es zu einem raschen Zerfall kommen“.

In allen Studien betonen die Forschungsteams das Potenzial der Antarktis, wesentlich zum globalen Meeresspiegelanstieg beizutragen. Zu den Hauptproblemen gehört der anhaltende Eisverlust von Schelfeisen wie dem Ross-Eis, der niedrig gelegene Küstengebiete weltweit bedroht und Anpassungsmaßnahmen erforderlich macht. Diese umfassenden Daten ermöglichen es den Wissenschaftlern, ihre Klimamodelle zu verfeinern, wobei eine verbesserte Modellgenauigkeit für die Vorhersage künftiger Veränderungen in der Antarktis und ihrer weitreichenden Folgen von entscheidender Bedeutung ist. 

Die Dringlichkeit liegt auf der Hand: Die laufende Untersuchung der Eisschilde der Antarktis, der Meeresströmungen und der ihnen zugrunde liegenden Zusammenhänge liefert wichtige Anhaltspunkte für das Verständnis, wie diese riesigen Eismassen auf die anhaltende Erwärmung reagieren werden. Genaue Modellierungen und umfassende Klimarisikobewertungen sind dringend erforderlich, um globale Strategien zur Eindämmung des Klimawandels zu entwickeln und die Widerstandsfähigkeit gefährdeter Gemeinschaften weltweit zu unterstützen.

Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG

Links zu den Studien:

Wiens et al (2024) Geophys Res Let 51(7), Ross Ice Shelf Displacement and Elastic Plate Waves Induced by Whillans Ice Stream Slip Events; https://doi.org/10.1029/2023GL108040

Lauber et al (2024) J J Geophys Res Oceans 129(4), Observed Seasonal Evolution of the Antarctic Slope Current System off the Coast of Dronning Maud Land, East Antarctica; https://doi.org/10.1029/2023JC020540

Si et al (2024) Scie Adv 10(16), Antarctic Slope Undercurrent and onshore heat transport driven by ice shelf melting; DOI: 10.1126/sciadv.adl0601

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