Der Eisbär, das Symboltier des hohen Nordens, ist regelmäßig Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Es ist jedoch nicht einfach, den König der Arktis in seiner natürlichen Umgebung zu studieren, was zu einer Reihe von Lücken in unserem Verständnis über die Art und damit auch in der Artenschutzpolitik führt. Um mehr über diesen arktischen Bewohner zu erfahren, wendet sich die Forschung manchmal an die Eisbären in Zoos.
Wie können Eisbären hören? Inwieweit kann der Lärm, der durch Bergbau oder Ölförderung entsteht, sie stören? Wo werden die Eisbären in der schmelzenden Arktis ihre Höhlen errichten? Welche zusätzlichen Energiekosten werden für die Suche nach Beute und die Fortpflanzung benötigt? Wie kann man den Stoffwechsel von Eisbären und ihren Energieverbrauch bei Aktivitäten wie Gehen oder Schwimmen messen? Wie zuverlässig sind Drohnen bei der Messung des Körpergewichts?
Diese Fragen sind wichtig, um den König der Arktis besser zu verstehen und zu seinem Schutz beizutragen, und sie beschäftigen die Wissenschaft. Aber es ist nicht einfach, Antworten darauf zu erhalten. Eisbären leben in einem riesigen, schwer zugänglichen Gebiet, das eine große und oft sehr kostspielige Logistik erfordert, was die Durchführung von Untersuchungen vor Ort extrem kompliziert oder sogar unmöglich macht. Darüber hinaus erfordert jede Untersuchung eines Eisbären in freier Wildbahn, dass das Tier zuvor mit einem Narkosemittel betäubt wird, das von einem Hubschrauber aus abgefeuert wird. Auch hier ist die Technik kostspielig und sogar gefährlich und es ist kaum möglich, regelmäßig Proben von einem Individuum zu nehmen. Außerdem ist es schwierig, außerhalb der Sommermonate Untersuchungen durchzuführen oder Blut- oder Gewebeproben von Tieren zu entnehmen. Diese Schwierigkeiten bei Feldstudien führen zu Lücken in unserem Wissen über Eisbären.
Um dem entgegenzuwirken, stützen sich viele Forschungen ganz oder teilweise auf Arbeiten, die mit Eisbären in Zoos durchgeführt wurden. In den letzten zehn Jahren wurden etwa 100 von Fachleuten begutachtete Publikationen veröffentlicht, so Dr. Erin Curry, Direktorin des Polar Bear Signature Project am Zentrum für die Erhaltung und Erforschung gefährdeter Tiere im Zoo und Botanischen Garten von Cincinnati und Ko-Vorsitzende des Polar Bear Research Council. „Eisbären in Zoos bieten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wertvolle Möglichkeiten, mehr über die Physiologie und das Verhalten dieser Art zu erfahren“, erklärt sie in einer E-Mail an Polar Journal AG. „Da es unmöglich ist, Langzeitproben von wilden Bären zu sammeln, ermöglichen Bären in Zoos eine Charakterisierung von Hormonen über die Jahreszeiten und das Alter hinweg, wodurch eine Fülle von Referenzdaten generiert wird, die nützlich sind, um die Auswirkungen einer sich ändernden Umwelt auf wilde Bären zu untersuchen.“
Von der Fortpflanzung über die Ernährung bis hin zur Überprüfung neuer Beobachtungstechnologien oder einem besseren Verständnis und der Modellierung der physiologischen Ökologie des Eisbären – die Forschungsthemen sind breit gefächert und berühren alle Bereiche. Doch wie wird die Eisbärenforschung in Zoos organisiert?
Ermutigen und koordinieren
Der Polar Bear Research Council (PBRC) wurde 2018 von einer Gruppe von Wissenschaftlerinnen/Wissenschaftlern und Tierärztinnen/Tierärzten, die sowohl in Zoos als auch im Feld arbeiten, gegründet. Der Rat ermutigt nordamerikanische Zoos, sich an Studien zu beteiligen, die sich auf wissenschaftliche Fragen konzentrieren, welche Forschende nicht durch Feldstudien beantworten können. Der Rat hilft auch bei der Koordinierung der Forschung.
In der Praxis füllt das Forschungsteam ein Formular aus, in dem es sein Studienprojekt detailliert beschreibt, das von mehreren Expertenteams aus verschiedenen Disziplinen innerhalb des PBRC geprüft wird. Wenn das Projekt vom PBRC positiv bewertet wird, teilt er den Zoos mit, dass sie das Forschungsteam kontaktieren können, um ihm Zugang zu den entsprechenden Einrichtungen zu gewähren.
Die Aktivitäten des PBRC gehen jedoch noch weiter. „Der PBRC unterhält auch eine Mailingliste, über die Eisbärenforschende und andere Fachleute kommunizieren und ihr Wissen teilen können, eine Datenbank mit Veröffentlichungen und laufenden Projekten, einen aktualisierten Masterplan und er fördert die Teilnahme an internationalen Treffen wie der Konferenz der International Association for Bear Research and Management, die im September in Edmonton, Alberta, stattfindet“, sagt Dr. Curry.
2023 schlossen sich die Mitglieder des PBRC ihren europäischen Kollegen an, um ihnen bei der Vervollständigung ihres „Polar Bear Research Prospekt“ zu helfen, einem Dokument, das die Eisbärenforschung in Zoos und Aquarien in Europa anleiten soll und dem *Masterplan“ entspricht, dem Leitplan des PBRC, der alle zwei bis fünf Jahre veröffentlicht wird. „Zu den zukünftigen Projekten gehört die Erstellung von standardisierten Protokollen für Probenahmen und Autopsien, damit alle, die mit Eisbären arbeiten, biologische Daten auf die gleiche Weise sammeln, damit sie in zukünftigen Untersuchungen vergleichbar sind“, ergänzt Dr. Curry.
Strenge Vorschriften
Die Forschung an Eisbären in einem Zoo ist streng geregelt, ebenso wie die Haltung dieser Tiere in solchen Einrichtungen. Um einen Eisbären halten zu dürfen, muss man ein sauberes Profil vorweisen können.
Eisbären in Zoos sind in der Regel Waisen, die von einer Regierungsbehörde vermittelt werden, es sei denn, sie sind dort geboren. Jeder Zoo oder jedes Aquarium, das einen Eisbären halten möchte, muss eine Genehmigung einholen und strenge Anforderungen an die tierärztliche Versorgung, die Anforderungen an die Einrichtungen und die Qualität von Futter und Wasser für diese als Meeressäugetiere eingestuften Tiere erfüllen.
In Nordamerika sind die Association of Zoos and Aquariums (AZA) und die Canadian Association of Zoos and Aquariums (CAZA) die Organisationen, die für die Akkreditierung von Einrichtungen zuständig sind, die Eisbären halten. In Europa verwaltet die EAZA (European Association of Zoos and Aquariums) über die Bear Taxonomic Advisory Group (TAG) die Eisbären in europäischen Zoos.
Mirjana Binggeli, Polar Journal AG