Island stand die vergangene Woche wieder im Zentrum des medialen Geschehens, da bereits zum vierten Mal der Vulkan nahe der Ortschaft Gríndavik ausgebrochen war. Inmitten des Trubels rund um diesen erneuten Ausbruch ging die Präsidentenwahl beinahe etwas unter. Doch spannend, überraschend und vor allem richtungsweisend war sie allemal. Denn am Ende standen gleich drei Frauen zuoberst auf dem Siegerpodest, aber in einer anderen Reihenfolge als vielleicht gedacht.
Nicht die bekannte ehemalige Regierungschefin Katrín Jakobsdóttir von den Grünen, sondern die unabhängige Halla Tómasdóttir gewann die Präsidentschaftswahlen am vergangenen Samstag. Die 56-jähirge Wirtschaftsexpertin erhielt mehr als 34 Prozent der Stimmen und wird damit ab dem 1. August 2024 offiziell das neue Staatsoberhaupt Islands. Sie ist erst die zweite Frau in der Geschichte des nordischen Landes seit dessen Unabhängigkeit 1944. Das erste weibliche Staatsoberhaupt (und die erste Frau weltweit in einer solchen Position) war Vigdis Finnbogadóttir, die von 1980 – 1996 Island vorstand.
Die Rolle des isländischen Staatsoberhauptes wird zwar häufig als eher limitiert beschrieben, beschränkt sich aber nicht nur auf zeremonielle Funktionen, sondern hat auch ein gewisses politisches Gewicht. So wird sie beispielsweise das Ministerkabinett bestimmen und nach den nächsten Parlamentswahlen den Regierungschef oder die -chefin mit der Regierungsbildung beauftragen. Ausserdem unterzeichnet sie Gesetze, die erst dadurch in Kraft treten und kann das Parlament auflösen, sollte es notwendig werden.
Der Sieg von Tómasdóttir, die bei der Wahl 2016 dem bisherigen Amtsinhaber Guðni Thorlacius Jóhannesson noch unterlegen war, geht auf Kosten von Ex-Regierungschefin Katrín Jakobsdóttir, die mit mehr als 25 Prozent der Stimmen auf Platz Zwei landete. Die eigentlich sehr beliebte Jakobsdóttir, die seit 2017 die politischen Geschicke Islands gelenkt hatte, gab im April eher überraschend bekannt, dass sie die Amtsgeschäfte als Regierungschefin und als Vorsitzende der Linksgrünen Bewegung Islands niederlegen würde, um sich als Präsidentschaftskandidatin aufzustellen. Ihr Plan ging jedoch nicht ganz auf, obwohl sie während der Wahlkampagnen gegenüber Tómasdóttir leicht vorne gesehen wurde. Nach der Niederlage erklärte die unterlegene Jakobsdóttir, dass sie nicht wieder zu einer Wahl antreten werde. Ob sie sich ihrer Karriere als Krimiautorin (sie ist Mitautorin des Buches «Reykjavik: A Crime Story») widmen wird, ist nicht bekannt.
Obwohl die Wahl nicht auf die Favoritin fiel, dürfte Jakobsdóttir nicht ganz unzufrieden mit dem Ergebnis sein. Denn sie war eine von drei Frauen, die nach der Wahl auf dem Siegerpodest stand. Neben der Siegerin Halla Tómasdóttir und der zweitplatzierten Jakobsdóttir belegte die Wissenschaftlerin Halla Hrund Logadóttir den dritten Platz und vereinigte rund 15.7 Prozent der Stimmen auf sich. Damit schlug sie den ersten Herrn in der zwölfköpfigen Kandidatenliste, Jón Gnarr, mit fast 12’000 Stimmen Vorsprung. Mehr als 80 Prozent der 266’935 registrierten Wählerinnen und Wähler gaben ihre Stimme bei der Wahl ab und insgesamt über 75 Prozent der abgegebenen Stimmen gingen an die drei Frauen, was rund 60.2 Prozent aller Stimmberechtigten in Island entspricht. Ein ziemlich klares Verdikt der isländischen Gesellschaft und fast so aufsehenerregend wie aus der Erde sprudelnde Lava.
Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG