Der polare Rückblick – Spielend in die polaren Regionen | Polarjournal
Als Antarktisforscher im Jahre 2035 die Auswirkungen des Klimawandels zu untersuchen, ist das Ziel des in Chile entwickelten Videospiels «Metaverso Antártico». Video: XR-Labs der Universität Chile

Der polare Rückblick greift Geschehnisse der vergangenen Woche auf, die mit Arktis und Antarktis zusammenhängen und stellt einen oder mehrere Aspekte ins Zentrum der Betrachtung. Dieses Mal wird ein letzte Woche lanciertes Videospiel zum Anlass genommen, mehr über die Verschmelzung von Spielen und polaren Regionen zu berichten.

Viele träumen davon, als Polarforscherin oder -forscher in der Antarktis zu arbeiten, Proben zu sammeln und zu analysieren und mitzuhelfen, mehr für den Schutz der weissen Wildnis zu tun. Diesem Traum kann man einen Schritt näherkommen, wenn man ins Metaverso Antártico der Entwicklergruppe des transdisziplinären Labors für Virtuelle Realität und Videospiele an der Universität von Chile XR-LABS eintaucht. Gemeinsam mit dem Instituto Milenio BASE, des chilenischen Antarktis-Institut INACH und anderen chilenischen Institutionen entwickelte das Team von Victor Fajnzylber das Videospiel und hat dieses nun veröffentlicht.

Das Thema: Im Jahre 2035 hat der Klimawandel die antarktische Region im Griff und als Polarforscherin oder -forscher in sieben antarktischen Ökosystemen an Land und unter Wasser Proben zu sammeln, Bilder zu machen, Daten zu analysieren und so das Wissen über die Auswirkungen zu steigern. Als Basis dient eine futuristische Basis auf der imaginären Insel Molinari und die nahegelegene «Rivera Glacier Bay». Die Basis und die Region sind Teil eines grösseren Metaversums: «Wir schaffen ein futuristisches und flexibles erzählerisches Universum, in dem alle Forscherinnen und Forscher ihre eigenen Hypothesen über die von ihnen entdeckte Welt aufstellen», erklärt Victor Fajnzylber. «Das Spiel lädt sie dazu ein, ihre eigenen persönlichen Überlegungen zur biologischen Vielfalt und zum Respekt für alle Lebewesen in Zeiten des Klimawandels anzustellen».

Ein Screenshot aus dem Spiel „Metaverso Antártico“, bei dem die imaginäre Basis auf Molinari Island einen wesentliche Rolle spielt. Bild: XR-Labs

Im Spiel werden 26 verschiedene Arten dargestellt, deren Erforschung in Zusammenarbeit mit 14 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler so realistisch wie möglich erstellt wurde. «Unser wissenschaftlicher Ausschuss hat in all den vergangenen Monaten seine Arbeit zu Mikroorganismen, Wirbellosen, Vögeln, Fischen, Pflanzen, Walen, Ozeanographie und antarktischem Recht – die in der öffentlichen Diskussion so präsent war – mit dem Ziel geteilt, zum Aufbau dieses pädagogischen und wissenschaftlichen Metaversums beizutragen» erklärt dazu der Leiter von BASE, Dr. Elie Poulin.

Neben den wissenschaftlichen Themen behandelt das Spiel auch gesellschaftliche Fragen wie beispielsweise die Gleichstellung zwischen Mann und Frau, ein Punkt, der in der Videospiel-Industrie immer wieder zu Diskussionen führt und der auch in der Polarforschung eben erst wieder thematisiert worden ist . «Das Entwicklungsteam hat auch wichtige Arbeit geleistet, um die Antarktis-Wissenschaft, die wir Frauen und Logistikfachleute von INACH betreiben, deutlich zu machen», sagt die Vizedirektorin von BASE, Dr. Julieta Orlando. Das Spiel ist kostenlos auf der Plattform itch.io erhältlich und kann von der Webseite des Spiels (am Ende des Artikels) heruntergeladen werden.

Nur die Spitze des Eisbergs

Das Metaverso Antártico ist aber nur die Spitze des Eisbergs und eines von zahlreichen Videospielen mit Polarthemen, welche in den vergangenen Jahren angekündigt und bereits erschienen sind oder sich noch in der Entwicklung befinden. Die Gaming-Industrie, die im vergangenen Jahr global gesehen einen Umsatz von rund 184 Milliarden US-Dollar gemacht hat, sucht wie viele andere Branchen neue Gebiete, Themen und Spielansätze und findet sie in den eisigen Weiten der Arktis und Antarktis denn auch in dieser Industrie will man vom steigenden Interesse an den Polargebieten in der Gesellschaft profitieren. Vorbei sind aber die Zeiten, in denen mit einfacher Grafik Eisbärenfiguren Pinguine im zweidimensionalen Raum in der Gegend herumgeschleudert haben. Ernsthafte Entwicklerfirmen tauchen heutzutage viel tiefer in die Polarregionen ein und widmen sich Themen wie der Geschichte der Polarforschung, den Kulturen arktischer Völker und dem Überleben in der Wildnis der Arktis. Dabei setzen die Teams auf möglichst realistische Szenarien und Hintergründe.

So hat sich beispielsweise das polnische Entwicklerteam Unseen Silence mit der Geschichte der Franklin-Expedition auseinandergesetzt und im Spiel «Terror – Endless Night» die Spieler an Bord einer Rettungsmission für die beiden Schiffe «Terror» und «Erebus» gesetzt. Doch die Rettungsmission wird, wie in der Realität, selbst im Packeis gefangen und die Mannschaft muss ums Überleben kämpfen. Erst sind vor allem Ressourcen- und Mannschaftsmanagement gefragt, später müssen auch sehr heikle Entscheidungen getroffen werden wie zum Beispiel bei der Frage, wie weit man geht, um die Nahrungsmittelsituation in den Griff zu kriegen, Stichwort Kannibalismus. Um die Spielerinnen und Spieler möglichst nahe an die Realität der arktischen Umwelt und die Psychologie in Extremsituationen zu bringen, hat sich das Entwicklerteam nach eigenen Angaben intensiv mit Expertinnen und Experten aus den verschiedensten Fachbereichen ausgetauscht. Zurzeit befindet sich das Spiel noch in der Entwicklungsphase, ein Erscheinungstermin soll aber bald angekündigt werden.

Spielend in die Kulturen arktischer Völker eintauchen

Im preisgekrönten Spiel «Never alone» tauchen die Spielerinnen und Spieler in die Welt der Iñupiat, der Ureinwohner Alaskas, ein und müssen als Nuna und Fox entweder alleine oder zu zweit ihre Welt vor einem ewigen Schneesturm retten. Das Spiel wurde von Upper One Games gemeinsam mit Vertretern der Iñupiat entwickelt und erhielt mehrere Preise dafür. Ein zweiter Teil ist in der Entwicklung. Bilder: Upper One Games

Doch nicht nur Forschung, Survival und Geschichte, sondern auch die Vermittlung kultureller Werte und Gedanken indigener arktischer Völker finden in Videospielen mittlerweile Platz. Ein Beispiel dafür ist das Spiel Never alone des US-amerikanischen Entwicklers Upper One Games. Das Besondere dabei: Sie sind die erste im indigenen Besitz befindliche Spieleentwicklerfirma der USA, denn sie wurden von einer Tochtergesellschaft des Cook Inlet Tribal Council gegründet. Im Spiel selbst tauchen Spielerinnen und Spieler in die Rollen von Nuna, eines Iñupiat-Mädchens und ihres Begleiters Fox, einem Polarfuchs ein. Das Ziel des Spieles, das alleine oder zu zweit gespielt werden kann, ist es, die Hintergründe für einen ewigen Schneesturm zu finden und die Welt vor der ewigen Kälte zu bewahren. Die Entwickler lehnen sich dabei an traditionelle Erzählungen und Figuren der Iñupiat-Kultur an und arbeiteten mit rund 40 Stammesälteren und Geschichtenerzähler zusammen und vermitteln so die Gedankenwelt und Werte der alaskanischen Ureinwohner. Und das ziemlich erfolgreich, denn das Spiel wurde nach seiner Veröffentlichung 2015 mit Lob in der Presse weltweit überhäuft und gewann unter anderem den British Academy Games Award, einer Untersparte des britischen «Oscar»-Pendants BAFTA (British Academy Film Award). Das Spiel wurde auf zahlreichen Plattformen veröffentlicht und war so erfolgreich, dass mittlerweile ein zweiter Teil in der Entwicklung ist. Der erste Teil ist immer noch auf den verschiedensten Plattformen zu kaufen.

Polare Spielethemen gleich Big Business

Aber nicht nur kleine Entwicklerteams – und firmen sehen den Wert, den polare Themen in Spielen aufweisen. Auch namhaftere Entwicklerfirmen springen auf den «Polarthemen-Express» auf. So hat beispielsweise Ubisoft für ihr sehr beliebtes und kommerziell erfolgreiches Aufbau- und Wirtschaftsspiel «Anno 1800» aus dem Jahr 2019 einen polaren Zusatz spendiert. In der Erweiterung «The Passage» können sich die Spielerinnen und Spieler auf die Suche nach den Nordwestpassage begeben. Dabei sollen die neu aufgekommenen Luftschiffe helfen, nicht nur die sagenumwobene Passage zu finden, sondern auch das Schicksal der Franklin-Expedition klären und arktische Basen zu aufzubauen, um Rohstoffe abzubauen, Handelswege zu eröffnen und die wirtschaftliche Entwicklung der eigenen Nation im Zuge der industriellen Revolution voranzutreiben.

Solche Erweiterungen, die meist mit sogenannten Season-Passes verkauft werden, sind sehr lukrativ für Spieleentwickler und halten die Gamer-Gemeinde am Spielen. Das ist auch wichtig, denn die Entwicklung eines Videospiels ist heutzutage eine kostspielige Angelegenheit. Zahlreiche Lizenzen auf technischer und inhaltlicher Ebene, plus Personal- und Infrastrukturkosten lassen die Kosten für ein Spiel rasch auf sechsstellige Beträge ansteigen, besonders wenn sie grafisch ansprechend und physikalisch realistisch programmiert werden sollen und gleichzeitig spieletechnisch spannend und mit Langzeit-Motivation brillieren sollen. Und die Verkaufszahlen solcher Spiele zeigen, dass die Spielergemeinde weltweit bereit ist, die von den Entwicklerfirmen verlangten Preise für spannenden Spiele, die auch polare Themen beinhalten, zu bezahlen. Genaue Zahlen werden meist von den Firmen zurückgehalten, doch die Tatsache, dass in die Entwicklung immer weiter investiert wird, spricht klar für das «Big Business».

Am Ende zeigt sich, dass polare Themen und Regionen also nicht nur in der Wirklichkeit Menschen begeistern und faszinieren, sondern auch in der virtuellen Welt. Und das lässt Entwicklerteams und Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler hoffen, dass man auch so die Menschen für Themen sensibilisieren kann, welche die Arktis und Antarktis bedrohen.

Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG

Links zu den Webseite der obengenannten Spiele (ohne Anno 1800)

Metaverso Antártico (in Spanisch)

Never alone (in Englisch)

Terror – Endless Night (in Polnisch)

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