Der polare Rückblick greift Geschehnisse der vergangenen Woche auf, die mit Arktis und Antarktis zusammenhängen und stellt einen oder mehrere Aspekte ins Zentrum der Betrachtung. Letzte Woche war es der arktische Tourismus, der in den Fokus der Diskussion zwischen Wirtschaft, Politik und Wissenschaft gerückt war. Dabei zeigt sich, dass die Suche nach Lösungen ein wenig wie das Wandern in der Polarnacht scheint.
Polarlichter in der Arktis sind in den Überlieferungen der arktischen Völker unter anderem Geister, die den Lebenden oft den Weg erhellen. Doch das Naturphänomen ist nicht immer sichtbar und den Lebenden bleiben nur Lampen, um sich in der Dunkelheit der Polarnacht zurecht zu finden und eine Richtung einzuschlagen. Welche Richtung dabei eingeschlagen wird, hängt von den Lampentragenden Personen ab und es erscheint logisch, dass im Falle einer Gruppe die Personen einen Konsens über die einzuschlagende Richtung erreichen sollten, um am Ende das Ziel zu erreichen.
Dieses Sinnbild kann auf die gegenwärtige Diskussion rund um den Tourismus in der Arktis angewendet werden. Das Ziel ist bei allen Interessenvertretern dasselbe: Ein Tourismus in der Arktis, der weder Natur noch Gesellschaft belastet, aber gleichzeitig wirtschaftlich rentabel ist und auch noch die Wissenschaft in den Bemühungen unterstützt, die Millionen von Quadratkilometer an Ozean, Tundra, Gletscher und Gebirge mit allen Bewohnern besser untersuchen zu können.
Wissenschaftstourismus als Greenwashing oder echte Forschungshilfe?
Doch ein Beitrag, der letzte Woche im norwegischen Newsportal High North News veröffentlicht wurde, verdeutlicht, dass die Lampen der verschiedenen Interessenvertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in unterschiedliche Richtungen leuchten. Denn der Artikel ist eine Antwort des Verbandes arktischer Expeditionsreisebetreiber AECO auf einen zehn Tage zuvor erschienen Artikel im gleichen Newsportal. Darin steht der Vorwurf, dass die Schiffsbetreiber sogenanntes «Greenwashing» betreiben würden, wenn sie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Bord nehmen, die solche Reisen dazu nutzen, Daten in den ansonsten schwer zu erreichenden Gebieten zu sammeln. Aufwand und Ertrag stünden in keinem positiven Verhältnis, heisst es weiter.
Dass die AECO als Branchenvertreter diesen Vorwurf nicht stehen lassen kann, versteht sich von selbst. Im Artikel weist man auf das erfolgreiche Zusammenarbeiten mit verschiedenen Organisationen und Forschungsinstitutionen hin und die Daten, die zu einem besseren Verständnis über verschiedene Vorgänge in der Arktis geführt haben. Ausserdem hätten sich alle AECO-Mitglieder verpflichtet, strengen Regeln zum Schutz der Natur und Umwelt zu folgen und ihre Auswirkungen auf die sensible arktische Umwelt zu minimieren. Man begrüsse die Diskussion um Verbesserungen, wolle aber dazu in die Diskussion miteinbezogen werden, heisst es im Beitrag der AECO am Schluss.
Politik bremst und unterstützt arktischen Tourismus
Dem Wunsch der AECO (und auch anderen Branchenvertretern), stärker in die Diskussion eingebunden zu werden, steht jedoch ein gewisses Misstrauen von Wissenschaft und auch Politik gegenüber. Dieses wurde nicht zuletzt auch durch Regelverstösse und Unfälle genährt, die so Kritikern in die Hände spielen. Ausserdem verfolgen die politischen Entscheidungsträger auch eine eigene Richtung in Sachen Tourismus und gewichten Wissenschaft und Tourismus unterschiedlich. Beispielsweise fühlt sich die AECO und auch andere Tourismusvertreter auf Svalbard beim Strategiepapier der norwegischen Regierung zum Thema «Arktischer Tourismus» übergangen. Man habe zwar das Gespräch gesucht und Vorschläge gemacht, sei aber am Ende nicht angehört worden und sei nur den Empfehlungen der Wissenschaft gefolgt, lautet der Vorwurf der Branche.
Und auch in Grönland schwellt ein Streit zwischen den Parteien, wenn es um nachhaltigen Tourismus geht. Verschiedene Gesetze für strenge Regeln zum Schutz sind zurzeit in der Vernehmlassung und einige Vertreter in der Regierung haben mehr oder weniger direkt ihren Unmut und ihr Unverständnis für Tourismusreisen in die abgelegenen Fjorde Grönlands in der Vergangenheit ausgedrückt. Doch bei der Argumentation folgen sie nicht der Wissenschaft, wie die Kolleginnen und Kollegen in Norwegen, sondern rücken vor allem wirtschaftliche Auswirkungen durch Störung der wichtigen Meeressäuger- und Fischpopulationen in den Vordergrund und bezieht sich dabei auf Beobachtungen der einheimischen Fischer und Jäger statt auf wissenschaftliche Daten. Diese machen vor allem die Auswirkungen des Klimawandels für die Rückgänge von Walen, Robben und Fischen verantwortlich. Doch davon wollen Minister wie Kalistat Lund nichts wissen und stellen arktischen (Wissenschafts)-Tourismus in Frage. Trotzdem fördert die Regierung in Nuuk den Ausbau der Flughäfen, um der steigenden Zahl von Touristen Herr zu werden und schafft auch wirtschaftliche Anreize zur Förderung von Grönland als Tourismusdestination.
Insgesamt zeigt dieser eine Beitrag, wie stark die Ansichten zwischen den einzelnen Interessenvertreter in Sachen Arktistourismus weit auseinandergehen, bzw. die Lampen in verschiedene Richtungen leuchten. Vielleicht braucht es Hilfe von oben in Form von Polarlichtern, die das Wandern im Dunkel durchbrechen und den Parteien einen Weg erleuchten.
Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG