Überwachung der antarktischen Biodiversität mit High-Tech-Türmen | Polarjournal
Ein Moospolster im antarktischen Schutzgebiet 135 bei der australischen Station Casey. Im Jahr 2022 sammelte Dr. Krystal Randall von der University of Wollongong Daten über das Mikroklima, um die Wachstumsbedingungen zu modellieren und die Vorhersagen über die Auswirkungen veränderter Bedingungen auf die künftige Gesundheit des Mooses zu verbessern. Foto: Krystal Randall

Das australische Antarktisprogramm bereitet einen mit Umweltsensoren ausgestatteten Beobachtungsturm vor, der Teil des «Antarctic Near-Shore and Terrestrial Observation System» (ANTOS) sein wird und mit dem uralte Pflanzengemeinschaften in der Nähe der Casey-Station überwacht werden sollen.

Die jahrhundertalten Moospolster schmiegen sich zwischen Felsen und Steine und gedeihen besonders gut in Mulden, wo sich die Feuchtigkeit sammelt. Flechten, Mikroben und wirbellose Bodenorganismen gehören ebenfalls zu dem einzigartigen Ökosystem, das sich auf der Bailey-Halbinsel in der Ostantarktis, wo auch die australische Casey-Station liegt, entwickelt hat. Die Region ist die größte und am besten entwickelte Pflanzengemeinschaft auf dem gesamten antarktischen Kontinent.

Um den Gesundheitszustand und die Veränderungen, die diese — für antarktische Verhältnisse außergewöhnlich vielfältige — Lebensgemeinschaft aufgrund des Klimawandels erfährt, überwachen zu können, arbeiten Forschende des australischen Antarktisprogramms und der University of Wollongong an einem mit zahlreichen Umweltsensoren ausgestatteten Überwachungsturm. Er ist ein weiterer Baustein des «Antarctic Near-Shore and Terrestrial Observation System» (ANTOS) — einem noch im Aufbau befindlichen Netzwerk aus High-Tech-Türmen, die in der Antarktis an insgesamt 25 Standorten mit bedeutender Biodiversität die ökologischen und biologischen Schwankungen und Veränderungen überwachen. ANTOS wird von einer Expertengruppe des Wissenschaftlichen Ausschuss für Antarktisforschung (Scientific Committee on Antarctic Research, SCAR) entwickelt.

«Der Turm wird es uns ermöglichen, die Umgebung des Mooses kontinuierlich zu überwachen, so dass wir bei Ereignissen wie den Hitzewellen von 2008, 2020 und 2022 die Daten in Echtzeit erfassen können», sagte Sharon Robinson, Professorin an der University of Wollongong und Mitglied des ANTOS-Lenkungsausschusses, in einer Pressemitteilung der Australian Antarctic Division (AAD). 

Professor Dana Bergstrom von der University of Wollongong erläutert Mitarbeitern der AAD den Zweck und die Komplexität des ANTOS-Turms. Foto: Wendy Pyper

Antarktische Vegetation kämpft mit Erwärmung und Trockenheit

In einer Übersichtsstudie aus dem Jahr 2022 untersuchten Claudia Colesie, Leitende Dozentin für Pflanzenphysiologie an der University of Edinburgh und ebenfalls Mitglied des ANTOS-Lenkungsausschusses, und weitere Autorinnen und Autoren den Einfluss der klimatischen Veränderungen auf die Vegetation der Antarktis:

Moose sind in der Antarktis weit verbreitet und zeigen unterschiedliche Reaktionen auf die Erwärmung. Während wärmere Temperaturen auf der Antarktischen Halbinsel das Wachstum fördern, ist auf den Windmill Islands in der Ostantarktis ein Rückgang des Mooswachstums zu beobachten, bedingt durch eine zunehmende Austrocknung.

Flechten sind in der Antarktis ebenfalls weit verbreitet und gelten als empfindliche Indikatoren für Temperaturveränderungen. Ihre Wachstumsraten sind eng mit den lokalen Temperaturen verknüpft, und eine Erwärmung könnte ihr Wachstum fördern. Allerdings könnten schnelle und unvorhersehbare Klimaveränderungen die symbiotischen Beziehungen in Flechten stören und so ihr Überleben gefährden. Ein weiteres Risiko für Flechten ist der sogenannte „Snowkill“, bei dem erhöhter Schneefall und längere Schneebedeckung das Wachstum und Überleben der Flechten beeinträchtigen.

Die einzigen beiden Gefäßpflanzenarten in der Antarktis, Deschampsia antarctica und Colobanthus quitensis, zeigen eine deutliche Ausbreitung aufgrund steigender Temperaturen. Beide Arten besiedeln zunehmend neue Standorte, jedoch zeigen sie durch die Erwärmung auch eine höhere Anfälligkeit für Frostschäden, was ihre langfristige Überlebensfähigkeit gefährden könnte.

Algen und Cyanobakterien in der Antarktis, insbesondere Schneealgen, könnten durch die Erwärmung und Schneeschmelze in höhere Lagen vordringen, aber auch ihren Lebensraum verlieren. Episodische Erwärmungsereignisse könnten zudem die stabilen Mikrohabitate in Kryokonitlöchern auf Gletschern destabilisieren, was die mikrobiellen Gemeinschaften in diesen Löchern beeinträchtigen könnte.

Zahlreiche Umweltveränderungen beeinflussen die Vegetation der Antarktis: Regen, Hitzewellen, Überflutungen an der Küste, vermehrter Schneefall, stärkere Austrocknung, Rückzug des Permafrosts, frühere und stärkere Schneeschmelze, schwindende Eisdecke auf Seen, Gletscherrückzug sowie die Zunahme an Besuchern. Grafik: Colesie et al. 2022

Ökosystemweite Reaktionen werden ebenfalls beobachtet, wobei die antarktische Vegetation in neu eisfreien Gebieten zunehmend Fuß fasst. Diese Ausbreitung könnte zu Veränderungen in den Bodenmikroben-Gemeinschaften und somit zu Verschiebungen in den physikochemischen Eigenschaften des Bodens führen. In Zukunft könnten auch die Einwanderung fremder Arten und die Konkurrenz zunehmen mit Auswirkungen auf die Zusammensetzung von Lebensgemeinschaften.

Die Pflanzengemeinschaften unter Beobachtung

«Die vom Turm aus durchgeführten Mikroklimamessungen werden es ermöglichen, die Ursachen für diese Veränderungen zu untersuchen und unser Verständnis der lokalen und regionalen Klimaauswirkungen an diesem wichtigen Standort zu verbessern», so Dr. Jane Wasley, Biologin bei der Australian Antarctic Division.

Dr. Krystal Randall, Biologin und Spezialistin für Mikroklimamodellierung an der University of Wollongong, erklärte weiter, dass der Turm Sensoren auf Höhen von einem, zwei und vier Metern über dem Boden trägt, um den Anforderungen des „CryoNet“-Programms der Weltorganisation für Meteorologie gerecht zu werden. Dadurch ist eine Vergleichbarkeit mit anderen meteorologischen Beobachtungssystemen gewährleistet.  

«Indem wir Wind, relative Luftfeuchtigkeit und Lufttemperatur in allen drei Höhen messen, erfassen wir vertikale Klimaprofile, die mit anderen meteorologischen Systemen übereinstimmen“, erläutert Dr. Randall. „Diese Daten können in Modellen genutzt werden, um die klimatischen Bedingungen, denen das Leben in der Antarktis ausgesetzt ist, besser zu verstehen.»

Zusätzlich zu den meteorologischen Sensoren gibt es noch weitere, die die photosynthetisch aktive Strahlung – also die Lichtwellenlängen, die Moose zur Photosynthese nutzen – sowie die Schneehöhe, die Lichtdurchdringung durch den Schnee, die Bodenfeuchtigkeit und die Nettostrahlung messen. «Da antarktische Moose unter Stress ihre Farbe ändern, haben wir auch eine Kamera installiert, um visuelle Veränderungen im Ökosystem zu erfassen», ergänzt sie.

Als «Gehirn» des Systems fungiert ein spezieller KI-Computer, der kontinuierlich die Daten und Bilder von den Sensoren verarbeitet, relevante Informationen extrahiert und eine minimierte Datenmenge nach Australien überträgt. 

Bislang wurden sechs terrestrische Überwachungstürme von Neuseeland und Italien sowie drei marine Türme von Neuseeland an für die biologische Vielfalt wichtigen Standorten in der Antarktis errichtet wie aus dem jüngsten verfügbaren ANTOS-Bericht aus dem Jahr 2022 hervorgeht.

Autonome Drohnenschwärme für die Überwachung abgelegener Gebiete

Das ANTOS-Projektteam plant zudem, die Überwachung auf abgelegene Regionen mit hoher Biodiversität auszuweiten mit Hilfe von autonomen Drohnenschwärmen, die derzeit entwickelt werden. 

«Die Drohnen werden in der Lage sein, die biologische Vielfalt zu kartieren und visuelle Gesundheitssignaturen von weiter entfernten Standorten zu sammeln, und zwar regelmäßig und über den Winter hinweg, so dass die Herausforderungen, Menschen ins Feld zu bringen, überwunden werden», sagte Dana Bergstrom, Professorin an der University of Wollongong und Leiterin des australischen ANTOS-Projekts, in der Pressemitteilung.

Der Einsatz von Drohnen würde zwar erhebliche Vorteile bringen, birgt jedoch auch potentielle Gefahren, insbesondere für die antarktische Umwelt. Pinguine, Seevögel und andere Wildtiere könnten durch das Geräusch und die Präsenz der Drohnen gestresst oder in ihrem natürlichen Verhalten gestört werden. 

Darüberhinaus könnten die extremen klimatischen Bedingungen in der Antarktis zu technischen Ausfällen und Abstürzen führen und dadurch empfindliche Lebensräume zerstören oder diese mit verlorenen Teilen verschmutzen. Der Einsatz von Drohnenschwärmen erhöht zudem das Risiko von Kollisionen, die ebenfalls zur Kontamination der Umwelt führen könnten.

Eine kleine Vertiefung in diesem uralten Moospolster verdeutlicht die Auswirkungen der Mikrotopografie und der Wasserverfügbarkeit auf die Gesundheit des Mooses. Das Moos oberhalb der Vertiefung trocknet aus und wird hellbraun. In abgelegenen Regionen könnten Drohnen den Zustand des Mooses dokumentieren. Ein Absturz könnte jedoch Teile eines solchen jahrhundertealten Moospolsters zerstören. Foto: Arko Lucieer

Nicht zuletzt besteht unter den extremen antarktischen Wetterbedingungen auch die Gefahr, Daten zu verlieren.

Bis diese Vision reif ist für die Umsetzung, werden jedoch die Türme wichtige Daten über die biologischen Gemeinschaften sammeln. Der australische Turm wird in einer der kommenden Antarktis-Feldsaisons errichtet werden, sobald die Optimierung des Designs abgeschlossen ist.

Julia Hager, Polar Journal AG

Link zu ANTOS:  https://scar.org/science/cross/antos 

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