Der Ton in der politischen Landschaft in der Arktis ist derzeit angespannt, vor allem aufgrund des anhaltenden Konflikts in der Ukraine und der daraus resultierenden Isolation Russlands von der internationalen Gemeinschaft. Dies hat erhebliche Auswirkungen auf den Arktischen Rat, das wichtigste zwischenstaatliche Forum für die arktische Zusammenarbeit. Die sieben anderen arktischen Nationen (Dänemark, Finnland, Island, Kanada, Norwegen, Schweden und die Vereinigten Staaten) haben nach dem Angriff auf die Ukraine die vollständige Zusammenarbeit mit Russland innerhalb des Rates ausgesetzt. Seitdem haben sich trotz hochrangiger Versuche, die Blockade zu überwinden, die Fenster für mögliche Dialoge immer weiter verkleinert und teilweise geschlossen.
In Anerkennung der Bedeutung einer kontinuierlichen Zusammenarbeit bei dringenden Themen wie dem Klimawandel und Such- und Rettungseinsätzen haben diese sieben Nationen jedoch nach und nach die Arbeit der Arbeitsgruppen des Arktischen Rates wieder aufgenommen, wenn auch ohne direkte russische Beteiligung. Diese Wiederaufnahme umfasste zunächst ein schriftliches Verfahren für die Kommunikation und Entscheidungsfindung, gefolgt von der schrittweisen Wiedereinführung virtueller Treffen für die Arbeitsgruppen. Dies bedeutet zwar keine vollständige Rückkehr zum normalen Betrieb innerhalb des Arktischen Rates, aber es stellt einen pragmatischen Ansatz dar, um kritische Fragen in der Region anzugehen und gleichzeitig eine entschlossene Haltung gegenüber Russlands Aktionen beizubehalten.
Daneben verkompliziert Chinas wachsendes Interesse an der Arktis die geopolitische Lage zusätzlich. Obwohl China kein arktischer Staat ist, sucht es aktiv nach Möglichkeiten für ein wirtschaftliches Engagement und die Erschließung von Ressourcen in der Region, was bei einigen arktischen Nationen Besorgnis über mögliche Auswirkungen auf die Umwelt und die Sicherheit auslöst.
Insgesamt ist die Arktis mit einer komplexen und sich verändernden geopolitischen Situation konfrontiert. Die aktuelle Lage verdeutlicht die Notwendigkeit eines kontinuierlichen Dialogs und einer Zusammenarbeit zwischen den arktischen Nationen, um gemeinsame Herausforderungen anzugehen und die nachhaltige Entwicklung der Region sicherzustellen, auch inmitten anhaltender geopolitischer Spannungen.
Das Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik und die High North Talks
Trotz der allgemeinen Ansicht, dass die Plattformen für einen solchen Dialog und eine solche Zusammenarbeit völlig blockiert sind, gibt es immer noch einige wenige offene Kanäle. Ein solcher Kanal wird von einem in der Schweiz ansässigen Zentrum angeboten. Das Geneva Centre for Security Policy (GCSP), gegründet 1995, ist eine international renommierte Stiftung mit Sitz in Genf, die sich der Förderung von Frieden, Sicherheit und internationaler Zusammenarbeit verschrieben hat. Mit einem umfassenden Angebot an Weiterbildung, angewandter Forschung und Dialogplattformen unterstützt das GCSP Entscheidungsträger aus verschiedenen Sektoren bei der Entwicklung wirksamer Lösungen für globale Herausforderungen. Mit seinem breiten Netzwerk, seiner Expertise und seinem Engagement für Frieden und Sicherheit leistet das GCSP einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung globaler Herausforderungen und zur Förderung einer friedlicheren und sichereren Welt.
Neben seinen Weiterbildungsprogrammen für Regierungsbeamte, Diplomaten, Militäroffiziere, internationale Beamte und Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und des Privatsektors führt das GCSP auch angewandte Forschung zu aktuellen sicherheitspolitischen Themen durch. Die Forschungsergebnisse sollen politischen Entscheidungsträgern helfen, und die Dialogprozesse zielen darauf ab, kreative politische Ideen zu entwickeln, um die Entscheidungsfindung von Regierungen, internationalen Organisationen und anderen Interessenvertretern zu informieren und zu beeinflussen, insbesondere in schwierigen Sicherheitskontexten.
Die vom GCSP organisierten Dialogplattformen fördern den diskreten und offenen Austausch zwischen Entscheidungsträgern, Experten und Praktikern aus verschiedenen Bereichen. Diese Veranstaltungen ermöglichen es den Teilnehmern, voneinander zu lernen, unterschiedliche Perspektiven kennen zu lernen und gemeinsam an Lösungen für aktuelle Herausforderungen zu arbeiten.
Eine dieser Plattformen sind die High North Talks, die von Paul Dziatkowiec, Direktor für Mediation und Friedensförderung beim GCSP, gegründet und geleitet werden. Polar Journal AG sprach mit ihm über diese Gespräche und ihre Aussichten.
Polar Journal AG (PJ): Die Situation in der Arktis wird als ein ständiges Säbelrasseln zwischen Russland und allen anderen arktischen Nationen und insbesondere der Nato beschrieben. Einige Medien erwecken den Eindruck einer ständigen Kriegsbedrohung. Wie ernst ist das zu nehmen?
Paul Dziatkowiec (PD): Die arktische Region, einst ein Leuchtturm der internationalen Zusammenarbeit, steht nach Russlands Angriff auf die Ukraine vor einem erheblichen Zusammenbruch der Zusammenarbeit. Dies hat zu verstärkten Spannungen und einem erhöhten Risiko einer militärischen Konfrontation geführt. Eine zutiefst besorgniserregende Entwicklung angesichts der historischen Bedeutung der Region als Modell für friedliche Zusammenarbeit.
Obwohl ich glaube, dass es keinen Grund für übermäßigen Alarm gibt, ist die aktuelle Situation beunruhigend. Der Mangel an Vertrauen und Dialog zwischen Russland und dem Westen erhöht das Potenzial für Fehleinschätzungen und Missverständnisse, die zu einem Konflikt eskalieren könnten, erheblich. Angesichts dieser Risiken würde ich argumentieren, dass es – insbesondere auf inoffizieller Ebene – Raum für die Aufrechterhaltung von Kanälen für eine vertrauliche Kommunikation gibt, um Missverständnisse zu klären, die Kerninteressen des jeweils anderen zu verstehen und gefährliche Zwischenfälle zu verhindern.
Initiativen wie die „High North Talks“, die ich bei der GCSP im Jahr 2022 initiiert habe, sind in diesem Zusammenhang entscheidend. Indem wir Leitplanken und vertrauensbildende Maßnahmen ausarbeiten, informelle Kommunikationskanäle bereitstellen und kreative Ideen in den zunehmend giftigen offiziellen Diskurs einbringen, können wir einen kleinen Beitrag zur Aufrechterhaltung der relativen Stabilität in der Arktis leisten. Mein Team ist entschlossen, zu diesen Bemühungen beizutragen, um eine sicherere und berechenbarere Zukunft für diese strategisch wichtige Region zu gewährleisten.
Paul Dziatkowiec ist der Gründer und Vermittler der High North Talks sowie Direktor für Mediation und Friedensförderung am Geneva Centrer for Security Policy (GCSP). In über 12 Jahren als Mediator und Dialogvermittler beim GCSP und zuvor beim Centre for Humanitarian Dialogue (HD) hat er zahlreiche vertrauliche Dialogprozesse in Situationen bewaffneter Konflikte oder diplomatischer Spannungen initiiert oder geleitet, unter anderem im Zusammenhang mit der Ukraine-Russland-Krise, dem Kaukasus, dem Nahen Osten, Nordostasien, Afrika und Südostasien. Zuvor war Dziatkowiec ein hochrangiger australischer Diplomat, der mehr als ein Jahrzehnt im Nahen Osten, in Afrika und im asiatisch-pazifischen Raum tätig war und an multilateralen Verhandlungen bei der UNO in Genf, New York und Nairobi teilnahm.
PJ: Welche Kommunikationskanäle bestehen noch zwischen den beiden Seiten?
PD: Auf der offiziellen Ebene gibt es natürlich das multilaterale System und die offizielle Diplomatie mit ihren verschiedenen Foren und Möglichkeiten zur direkten Interaktion auf der politischen Ebene. Botschaften und Gesandte sind wichtige Instrumente in den internationalen Beziehungen und haben natürlich nach wie vor eine wichtige Funktion. Es finden also immer noch Gespräche statt – aber sie haben heutzutage einen weniger konstruktiven Beigeschmack und finden in einem viel kleineren Rahmen statt.
Wir haben beobachtet, dass seit Russlands Krieg gegen die Ukraine der konstruktive Dialog auf offizieller Ebene (oder „Track I“) erheblich eingeschränkt ist. Diese Dynamik hat sich über mehrere Foren und verschiedene Themen ausgebreitet und ist eine massive Auswirkung der brutalen Invasion Russlands. Leider, aber vielleicht unvermeidlich, betrifft dies ein breites Spektrum wichtiger und dringender internationaler Themen und Anliegen – sogar viele solcher Themen, bei denen die Zusammenarbeit zwischen Russland und den westlichen Ländern vor Februar 2022 die Norm war, zum Beispiel in der Arktis, im Nahen Osten oder in Nordostasien.
Speziell in der Arktis gibt es immer noch Bereiche der praktischen Zusammenarbeit, die Anlass zur Hoffnung geben und als Inspiration dienen können – zum Beispiel bei der Notfallhilfe oder der Fischerei. Als Vermittler sind wir die letzten, die sich an das Positive klammern und darauf konditioniert sind, Chancen zu nutzen. Daher würde ich meine Antwort mit der Feststellung beenden, dass es trotz allem etwas gibt, worauf man aufbauen kann.
PJ: Was genau sind die High North Talks?
PD: Die High North Talks (HNT) sind eine inoffizielle Dialogplattform, die durch einen konstruktiven und offenen Austausch die friedliche Zusammenarbeit in der Arktis fördern will. In diesem turbulenten geopolitischen Klima bieten unsere Gespräche einen diskreten Rahmen für Experten aus allen arktischen Nationen, um konstruktiv über die Zukunft dieser strategisch wichtigen Region zu diskutieren.
Wir befassen uns mit einem breiten Spektrum miteinander verbundener Themen, von Umweltfragen und Klimawandel bis hin zu Sicherheit, Regierungsführung und wissenschaftlicher Zusammenarbeit. Das schiere Ausmaß dieser Herausforderungen unterstreicht die Bedeutung der Arktis für die ganze Welt und macht den Erhalt des Dialogs absolut notwendig.
Durch unsere Gespräche versuchen wir, umsetzbare Ideen zu entwickeln, die die Entscheidungsfindung beeinflussen und die Zusammenarbeit zwischen den arktischen Staaten wiederherstellen können, zumindest bei den dringendsten Themen. Durch die Identifizierung gemeinsamer Interessen, die Entwicklung kreativer Ideen und die Nutzung früherer Erfolge in der Zusammenarbeit hoffen wir zu verhindern, dass die Arktis zu einem weiteren Schauplatz für geopolitische Konflikte wird. Es ist völlig vernünftig, das Verhalten Russlands in der Ukraine zu verurteilen, das die wichtigsten Grundsätze unseres internationalen Systems untergräbt, und zu verstehen, wie wichtig es ist, ein solches Verhalten zu bestrafen. Gleichzeitig sind wir der Meinung, dass diese Art von diskreter, privater Diplomatie unerlässlich ist, um das Verständnis zu fördern und Wege zur Lösung dringender Probleme zu finden. Letztendlich ist es unser Ziel, zu einer friedlicheren und kooperativeren Zukunft für die Arktis beizutragen, die, wie ich hoffe, letztendlich dazu führen wird, dass sie wieder zu einem Modell für internationale Zusammenarbeit wird.
PJ: Warum unterscheiden sie sich von den Gesprächen innerhalb des Arktischen Rates?
PD: Der Arktische Rat ist als führendes internationales Forum für arktische Angelegenheiten für alle arktischen Staaten lebenswichtig und wir alle wollen, dass er diese schwierigen Zeiten übersteht. Seine einzigartige Struktur, die die Teilnahme von Organisationen indigener Völker gleichberechtigt mit Staaten ermöglicht, stellt sicher, dass die Anliegen derjenigen, die von den Entwicklungen in der Arktis am meisten betroffen sind, in den zwischenstaatlichen Diskussionen berücksichtigt werden. Dieses Modell der Inklusivität und Zusammenarbeit bietet wertvolle Lektionen für andere internationale Gremien.
Unsere „High North Talks“ ergänzen die Arbeit des Arktischen Rates, indem sie eine inoffizielle Plattform für offene und ehrliche Diskussionen zu sensiblen Themen bieten, die Kreativität und eine solide Debatte fördern. Dieses Track II (inoffizielle) Format, das der Chatham House Regelung folgt, ermöglicht es den Teilnehmern, frei und ohne öffentliche Kontrolle zu sprechen und fördert so den konstruktiven Dialog über heikle Themen.
Der inoffizielle Charakter der High North Talks, die nicht an zwischenstaatliche Konventionen und diplomatische Protokolle gebunden sind, macht sie zu einem einzigartigen und wertvollen Forum in dem schwierigen multilateralen Umfeld. Sie bietet einen sicheren und diskreten Raum für Experten, um konstruktiv über die Zukunft der arktischen Region zu diskutieren und zu einem differenzierteren Verständnis der zukünftigen Herausforderungen und Chancen beizutragen.
PJ: Innerhalb des Arktischen Rates haben die Arbeitsgruppen ihre Arbeit wieder aufgenommen und es gibt offenbar wieder Kontakte zwischen den sieben arktischen Nationen und Russland auf dieser Ebene. Ein Ergebnis der Hight North Talks?
PD: Aus meiner Sicht ist es ermutigend zu sehen, dass die Arbeitsgruppen des Arktischen Rates ihre Aktivitäten wieder aufnehmen, wenn auch nur in begrenztem Umfang. Dieser positive Schritt, der größtenteils den Bemühungen des norwegischen Vorsitzes zu verdanken ist, ermöglicht es, wichtige Projekte fortzusetzen, insbesondere solche, die Auswirkungen auf die Bewohner der Arktis haben.
Von einer Rückkehr zur Normalität sind wir jedoch noch weit entfernt. Das geopolitische Umfeld bleibt herausfordernd, und vieles muss nach einer längeren Pause wieder aufgebaut werden. Auch wenn ich die jüngsten Entwicklungen nicht direkt auf unsere High North Talks zurückführen würde, so weiß ich doch, welche großen Anstrengungen wir unternommen haben, um zu positiven Ergebnissen beizutragen.
Mehr als zwei Jahre lang haben wir wichtige Themen auf der Tagesordnung des Rates erörtert, kreative Ideen entwickelt und Wege der Zusammenarbeit erkundet. Wenn unsere Bemühungen dazu beigetragen haben, die Nadel auch nur ein wenig in eine positive Richtung zu bewegen, dann war es eine lohnende Anstrengung.
Unsere Arbeit auf inoffizieller Ebene wird fortgesetzt, denn diskreter Dialog und stille Diplomatie sind unerlässlich, um dringende arktische Probleme anzugehen, die nicht auf die Lösung breiterer geopolitischer Konflikte warten können. Wir wollen eine hilfreiche und ergänzende Rolle spielen und innovative politische Optionen erforschen, die das Denken der Regierungen beeinflussen und letztendlich dazu beitragen können, die Arktis wieder auf einen positiveren Kurs zu bringen.
PJ: Besteht die Chance, dass es wieder zu einem spezifischeren Dialog kommt, wo Ansätze wie die Wissenschaftsdiplomatie versagt haben?
PD: Ich bin mir nicht sicher, ob man dies als ‚Versagen‘ bezeichnen sollte, sondern vielleicht als Arbeit in der Entwicklung. Diese Dinge brauchen Zeit, Geduld und Beharrlichkeit. Ich bin nach wie vor der Meinung, dass die Wissenschaftsdiplomatie einen wichtigen Einstieg in den Dialog darstellt.
Auf zwischenstaatlicher Ebene ist dies schwieriger, weil Protokolle und natürlich nationale Positionen befolgt werden müssen. Da ich zuvor als Diplomat sowohl auf multilateraler als auch auf bilateraler Ebene gearbeitet habe, kann ich sagen, dass der Ansatz der privaten Diplomatie oft mehr Flexibilität und Raum für Innovationen bietet – was ungemein hilfreich sein kann, wenn der offizielle Dialog festgefahren ist.
Ich bin stolz darauf, eine Abteilung für Mediation und Friedensförderung zu leiten, die über Verbindungen und Fähigkeiten verfügt, die sie in jahrzehntelanger Erfahrung sowohl in der offiziellen Diplomatie als auch in der ‚privaten Diplomatie‘ erworben hat. Daher kann sie das Beste aus beiden Welten vereinen, was sehr nützlich sein kann, wenn kreatives Denken gefragt ist; zusammen mit dem Know-how, neue Ideen auf den Radar von Politikern und Entscheidungsträgern zu bringen.
Interview und Artikel: Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG
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