Mit zwei Artikeln, die letzten Monat bei Science Direct erschienen sind, erinnern Anthropologinnen und Anthropologen daran, wie wichtig die integrative Zusammenarbeit mit den indigenen Völkern der Arktis in der Forschung sowie der Austausch mit der indigenen und nicht-indigenen Öffentlichkeit ist.
„Sie, die Forschenden, haben unseren Frauen Blutproben entnommen, aber wo sind die Ergebnisse? Anna Stammler-Gossmann, Anthropologin an der Universität von Lappland in Finnland, wurde während ihrer Feldarbeit in einem Rentierzüchterdorf mit dieser direkten und brutalen Frage konfrontiert.
Eine Situation, die nicht nur Sozialwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler betrifft. Jede forschende Person kann sich mit Fragen und Bemerkungen der einheimischen Bevölkerung konfrontiert sehen – und war auch schon in dieser Situation -, die offen gesagt verärgert über die Anwesenheit von ausländischen Personen sind, die gekommen sind, um ihre Umgebung oder deren Menschen zu erforschen. Dies gilt auch dann, wenn das Forschungsgebiet für die Wissenschaftsteams nicht wirklich relevant ist. „In demselben Dorf erwarteten die Einwohner, dass ich über die Entdeckungen einer archäologischen Expedition in den 1990er Jahren informieren kann“, berichtet Stammler-Gossmann.
Der fehlende Zugang zu den Forschungsergebnissen und die mangelnde Transparenz seitens der Forschergruppen, die bei der Arbeit vor Ort auch nicht immer gegeben sein muss, kann Misstrauen seitens der lokalen Bevölkerung hervorrufen. Besonders, wenn sie das Bild, das die Forschung von ihnen zeichnet von ihnen nicht als positiv empfunden wird und sie deren Anwesenheit nicht sogar als eine Form von Kolonialismus empfinden. Diese Wahrnehmung ist keineswegs übertrieben, sondern wird häufig durch die Darstellungen der indigenen Völker in Museen oder Ausstellungen verstärkt, die manchmal in touristische Infrastrukturen integriert sind und ein exotisches, verzerrtes oder sogar negatives Bild der indigenen Völker vermitteln:: „[…] die Einwohner hatten im Allgemeinen den Verdacht, dass Medienberichte oder Forschungen nur „negative Geschichten“ über die indigenen Völker darstellen und zu einer verstärkten Diskriminierung zwischen „uns“ und „ihnen“ beitragen würden.“
In einer Zeit, in der der Klimawandel das Gesicht der Arktis tiefgreifend verändert, könnte die Darstellung der indigenen Völker die Erfahrungen dieser Völker ignorieren und die soziopolitischen Faktoren in den Hintergrund drängen, ebenso wie die Diskussion der indigenen Völker über diese Veränderungen.
Um diese Probleme zu lösen und eine Brücke zwischen Forschungsteams und der lokalen Bevölkerung zu schlagen, empfiehlt die Autorin, der Relevanz der Forschung besondere Aufmerksamkeit zu widmen, insbesondere um eine „Forschungsmüdigkeit“ zu vermeiden. Einige Gemeinden erhalten öfters Besuch von Forschungsgruppen und die Ergebnisse der Forschung werden nicht immer mitgeteilt. Es könnte jedoch einen Unterschied machen, wenn man über die Relevanz der Forschung für die Bewohner nachdenkt, ihre Wünsche und Sorgen berücksichtigt, insbesondere im Bereich der Geisteswissenschaften.
Die gleichberechtigte Einbeziehung von Forschenden und indigenen Gemeinschaften in das Forschungsprojekt sollte ebenfalls eine Voraussetzung sein, die selbstverständlich erscheinen mag, insbesondere wenn es darum geht, traditionelles Wissen ebenso zu berücksichtigen wie herkömmliche wissenschaftliche Erkenntnisse. Allerdings scheitert dieser Ansatz nach Ansicht der Autorin an der Frage der Finanzierung: „Keine meiner Studien, die ich im Rahmen europäischer Projekte zwischen 2005 und 2022 durchgeführt habe, konnte ein von der Gemeinschaft zugesagtes Stipendium einbeziehen.“
Die Veröffentlichung von Arbeiten durch Ausstellungen kann sich jedoch als interessantes Instrument für den Wissensaustausch erweisen und gleichzeitig Raum für Kreativität und Experimente schaffen
Die Ausstellung, die Forschende ausstellt
Obwohl Ausstellungen und Museen die Gefahr bergen, indigene Völker ins Museum zu verbannen, ist ihre anthropologische und soziale Bedeutung nicht zu vernachlässigen. In einem Artikel, der am 26. Juli in derselben Zeitschrift erschien, dokumentieren Hiroki Takakura von der Tohoku-Universität in Japan und Vanda Ignatyeva von der Russischen Akademie der Wissenschaften ihre Fotoausstellungen über ihre Feldarbeit in Sibirien. Diese Ausstellungen, die 2008 in Japan und 2012 in Russland gezeigt wurden, gaben den Autoren Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie man ein entscheidendes Forschungsmaterial in der ethnologischen Arbeit – nämlich die Fotografie – präsentieren kann.
Diese auf Mitwirkung basierende Ausstellung zeigte Fotografien, die während einer Feldarbeit bei den Ewenken und Nenzen Sibiriens aufgenommen wurden, und präsentierte Bilder jener Rentierzüchter aus dem hohen Norden Sibiriens.
Mit ihren großformatigen Fotografien und dem nachgebildeten sibirischen Wald stellte die japanische Ausstellung jene indigenen Völker vor und machte gleichzeitig eine einzigartige Erfahrung sichtbar und teilbar: die anthropologische Feldarbeit. Eineinhalb Jahre bei den sibirischen Ureinwohnern zu verbringen ist für Anthropologinnen und Anthropologen fast schon Routine, aber für die meisten Menschen ist es etwas völlig Neues.
Mit dem gleichen Forschungsmaterial wurde die Ausstellung von 2008 vier Jahre später im Dorf Sakkyryr in der Republik Sacha in Russland wiederholt. Wie die Ausstellung von 2008 zielte auch die 2012er Version darauf ab, mit dem Publikum zu interagieren, das dieses Mal nicht mit der Forschung vertraut war. Die Ausstellung bestand darin, das Forschungsmaterial am Ort der Forschung zu zeigen, jedoch mit einem zeitlichen Abstand von fast 20 Jahren. Während das japanische Publikum eine ihm fremde Kultur durch die Augen von Anthropologenteams kennenlernte, entdeckten die Besucherinnen und Besucher von Sakkyryr ihre eigene Kultur und Geschichte wieder. „Nachdem ich mir die Ausstellung angesehen hatte, fühlte ich mich, als wäre ich 15 Jahre in der Zeit zurückgereist. Ich entdeckte ein Foto meines verstorbenen Vaters und ein Foto meines Neffen, der jetzt mit der Rentierherde arbeitet“, bemerkte eine Besucherin der Ausstellung.
Die ethnografische Fotografie kann für die lokale Gemeinschaft wieder zum Zeugnis und zur Erinnerung werden, sie kann aber auch dazu beitragen, dass die lokale Gemeinschaft erfährt, wie „Außenstehende“ (z. B. Forscher) ihre Kultur erforschen und analysieren. Dies kann zu einer Art sozialem Recycling dieser Fotografien führen, wie es bei den lokalen Lehrern der Fall war. Diese nutzten das Material, das die Forschenden dem Kulturzentrum des Dorfes zur Verfügung stellten, und nahmen es in ihren Lehrplan auf, wobei die Schulkinder einen Bericht über die Modernisierung der Rentierwirtschaft verfassten.
Oder wenn Ausstellungen das Material der Forschung und seine Bedeutung neu definieren, während sie gleichzeitig die soziale Interaktion fördern.
Hiroki Takakura, Vanda Ignatyeva, Cross-cultural visual anthropology: Beyond repatriation, exploring indigenous and non-indigenous exchanges, Polar Science, 2024, 101105, ISSN 1873-9652, https://doi.org/10.1016/j.polar.2024.101105.
Mirjana Binggeli, Polar Journal AG