Rekordhitze, dramatische Eisschmelze und großflächige Waldbrände zerstören die Arktis, wie wir sie kennen. Die nächste Weltklimakonferenz wird in Aserbaidschan stattfinden. Kann die Welt in diesem autoritär regierten öl- und gasreichen Land die notwendigen Emissionssenkungen und Klimagerechtigkeit auf den Weg bringen?
Mit den Temperaturen im September über 30°C hier in Deutschland, fällt es mir schwer, nicht über den Klimawandel nachzudenken. Mein Garten ähnelt einem Dschungel. Die Wasserfässer quellen nach den wiederholten Regenstürzen und Gewittern über, die in diesem Sommer die Hitzewellen periodisch unterbrechen. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch. Es fühlt sich tropisch an. Stechmücken vermehren sich. Neue Insekten und Pflanzen aus südlicheren Gegenden breiten sich hier aus. Es is heiß — und nass.
Früher hätte ich mich nach der kühlen Arktis gesehnt.
Früher.
Meine erste Reise in die Arktis führte mich 2007 zu der Insel Spitzbergen, mehr als zur Hälfte von Eis bedeckt. Wissenschaftler auf der Forschungsstation in Ny Ålesund sagten mir damals, die Arktis sei ein Frühwarnsystem für Klimaveränderungen. Heute gehört die Svalbard-Inselgruppe zu den Regionen des Planeten, die sich am schnellsten erwärmen.
Svalbard schmilzt
In diesem Sommer führten außerordentlich hohe Temperaturen zu einem extremen Abschmelzen der Eiskappen auf Svalbard. Satellitendaten der NASA zeigten für Juli und Anfang August Temperaturen um die 4°C über dem Durchschnitt für diesen Teil des Arktischen Kreises. Das führte zu einer rapiden Eis- und Schneeschmelze auf einigen der nördlichsten Gletscher der Welt.
Die tägliche Oberflächenschmelze der Eiskappen auf Svalbard brach am 23. Juli 2024 alle bisherigen Rekorde, berichtete Xavier Fettweis, Klimatologe der Universität Liège. Mit 55 Millimeter Wasseräquivalent verlor das Eis fünf mal so viel wie normalerweise. Im August ließ ein ‚Hitzedom‘ Teile der skandinavischen Arktis regelrecht backen. Laut Barents Observer wurde am Flughafen in Longyearbyen die höchste jemals registrierte Augusttemperatur am 11. August gemessen. Mit 20.3°C übertraf sie den vorherigen Rekord um 2°C.
Das alles folgt laut dem Copernicus State of the Climate Bericht auf den heissesten je registrierten Sommer auf der Insel im Jahr 2023. Die verkleinerte Meereisdecke sowie überdurchschnittliche Meerestemperaturen werden zu den Ursachen gezählt.
Arktische Hitze weit verbreitet
Die Entwicklung auf Svalbard, wo ein Viertel aller Gletscher weltweit zu finden ist, ist teil eines längerfristigen Trends im ganzen Arktisgebiet. Eine am 15.8. veröffentlichte Studie der Northern Arizona University zeigt, dass die Schneegrenze in den letzten vier Jahrzehnten um 150 Meter nach oben gewandert ist. Die Forscher untersuchten 269 Gletscher in Alaska, Kanada, Grönland, Skandinavien und Russland. Durch die anhaltende Wärme habe sich die Anzahl an Schneetagen im Jahr reduziert. Ohne die schützende Schneedecke verlieren die Gletscher im Sommer schneller Eis. Dann fällt zu wenig Schnee, damit sie sich wieder erholen können. Sollten die Emissionen wie heute weitergehen, würden 50 Prozent dieser arktischen Gletscher bereits 2100 keinen Zuwachs mehr an Schnee erhalten, so dass sie im Laufe der Zeit ganz verschwinden würden.
«Meereiskühlschrank» außer Betrieb
Eine am 17. Juli 2024 in Geophysical Research Letters veröffentlichte Studie kommt zu besorgniserregenden Ergebnissen über die Auswirkungen des schwindenden Meereises. Dieses Meereis wird manchmal als «Kühlschrank» der Erde bezeichnet. Er reflektiert die Sonnenstrahlung und hält so den Planeten kühl. Einige Modelle hatten berechnet, dass zusätzliche Wolkenbildung den Rückgang des Meereises kompensieren könnte, da Wolken ebenfalls die Sonnenstrahlung reflektieren. Die neue Studie — die Computerberechnungen mit Satellitendaten seit den 1980er Jahren kombiniert — bestätigt aber, dass der Kühleffekt in der Arktis abgenommen hat. Selbst der relativ neue Rückgang des Meereises in der Antarktis habe bereits ähnliche Auswirkungen gehabt.
In der Arktis habe der kühlende Effekt zwischen 1980 und 1988 um 17 bis 22 Prozent abgenommen. In der Antarktis habe er bereits um 9 bis 14 Prozent abgenommen, obwohl der Rückgang dort erst um 2016 begann. Die Arktis habe sich drei- bis viermal so schnell wie der Rest des Planeten erwärmt; die Antarktis ungefähr doppelt so schnell. Der Rückgang des Meereises und die dadurch resultierende abnehmende Reflektivität in beiden Polarregionen könnte durch diese Art Rückkopplung einen weit stärkeren Beitrag zur polaren Erwärmung leisten als durch die globalen Klimamodelle vorhergesagt.
Die Arktis in Flammen
Eine andere extrem besorgniserregende Entwicklung in der Arktis in diesem Sommer ist die große Anzahl an schweren Wald- und Tundrabränden in Kanada, Russland und Alaska. Laut dem Copernicus Atmosphere Monitoring Service (CAMS) der EU ist es das dritte Mal in nur fünf Jahren, das Brände dieser Intensität die Region heimsuchen.
In einem BBC-Interview nannte Professor Guillermo Rein von Imperial College London die Brände «ein wachsendes Monster des Klimawandels». Vor nur einem Jahrzehnt waren Waldbrände in der Arktis eine Seltenheit, so der Experte für Brände. Jetzt passierten sie jeden Sommer.
Neben der Zerstörung, Verlust an Leben und gesundheitlichen Auswirkungen beschäftigen Wissenschaftler Rückkopplungseffekte, durch die die Feuer die Klimaerwärmung wiederum erneut verstärken. Einerseits reduziert die Verdunkelung durch Rauch die Reflektivität des Eises. Gleichzeitig setzen die Brände große CO2-Mengen frei.
Laut einer am 28. August in Nature veröffentlichten Studie fanden NASA Wissenschaftler, dass die extremen Waldbrände 2023 in Kanada 640 Millionen Tonnen Kohlenstoff freisetzten. Dies entspreche den jährlichen Emissionen aus fossilen Brennstoffen einer großen Industrienation, so die Wissenschaftler.
Der CO2-Ausstoß durch Waldbrände könne zwar zum Teil wieder absorbiert werden, wenn Bäume und Sträucher wieder wachsen. Dies dauere aber eine sehr lange Zeit. Außerdem macht die International Association of Fire and Rescue Services darauf aufmerksam, dass die abgestorbenen Bäume noch jahrzehntelang CO2 abgeben, während sie sich zersetzen. Gleichzeitig fehlen die lebenden Bäume, die CO2 absorbieren würden, so die Feuerexperten.
Aserbaidschan und die Arktis
Die nächsten jährlichen Weltklimagespräche, wo die internationale Gemeinschaft – theoretisch – Treibhausgasminderungen voranbringen könnte, um unsere eisigen Regionen zu schützen, finden im November in Baku statt, der Hauptstadt Aserbaidschans.
Ein unwahrscheinlicher Veranstaltungsort. Und wenig vielversprechend? Ich versuche, optimistisch zu bleiben und COP29 eine Chance zu geben. Ich hörte von der Entscheidung in Dubai. Ich saß im Zug zwischen dem COP28 Veranstaltungszentrum und der Stadt. «Wenigstens nicht noch einmal Bonn. So lernen wir etwas Neues kennen», bemerkte eine Delegierte neben mir. So viel zum Thema «Konferenztourismus» im Namen des Klimaschutzes. An anderer Stelle hörte ich Entsetzen – oder Resignation: «Schon wieder ein Ölstaat?»
Der Veranstaltungsort für die jährliche Klimakonferenz wird nach einem rotierenden System festgelegt. Diesmal war Osteuropa oder der Kaukasus an der Reihe. Vor dem Hintergrund des Ukrainekonflikts blockierte Russland alle EU- sowie pro-westliche Länder. Ohne eine Einigung wäre die Konferenz wieder in Bonn ausgerichtet worden, Hauptquartier des UN-Klimasekretariats. In letzter Minute wurde als Kompromiss Baku ausgewählt.
Klimafortschritte in einer Öl- und Gasautokratie?
Aserbaidschan hat sich seit der Unabhängigkeit nach dem Kollaps der Sowjetunion zu einer wichtigen Energiewirtschaft entwickelt. Das Land ist von fossilen Brennstoffen abhängig. Über 90 Prozent seiner Exporte und ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts werden durch den Verkauf von Öl und Gas erwirtschaftet, so die Weltbank. Zurzeit profitiert das Land von dem durch den Ukrainekrieg verursachten Anstieg der Energiepreise.
Trotz dieses Reichtums und des gewachsenen internationalen Einflusses prägen Armut und Korruption das Land, heißt es im Länderprofil der BBC. Das Land wird autoritär vom Präsidenten Ilham Aliyev regiert. Die politische Opposition wird unterdrückt, Regierungskritiker werden verfolgt und inhaftiert. Es kommt regelmäßig zu schwerwiegenden Verletzungen der Menschenrechte.
COP in Baku: Wenig Zeit für Vorbereitung
Die Entscheidung für Aserbaidschan, mit weniger als einem Jahr Vorlauf, ist für eine UN-COP (Conference of the Parties) eine riesige Herausforderung. Normalerweise braucht sie eine wesentlich längere Vorbereitungszeit. Und Aserbaidschan hat wenig Erfahrung im globalen Klimapolitikgeschehen.
«Wir sind nicht als Ideengeber für eine grüne Energiewende bekannt», erklärte Mukhtar Babayev, Aserbaidschans Minister für Ökologie und designierter Präsident der nächsten Weltklimakonferenz im Gespräch mit Max Bearak von der New York Times.
Ein leichtes Understatement von einem Minister, der seine Karierre in der staatlichen Ölindustrie gemacht hat.
Wie der letzte COP-Gastgeber Dubai ist Aserbaidschan daran interessiert, an seinen Gewinnen aus der Öl- und Gasförderung festzuhalten, während es — zumindest durch Lippenbekenntnisse, bestenfalls durch eine aktive Rolle in der Energiewende — seiner Rolle als Klimakonferenzorganisator gerecht wird.
Es sei einfach für das Land, weiterhin fossile Brennstoffe zu liefern, gab Babayev im Interview zu. Manche Funktionäre machten sich Sorgen und fragten, warum man sich diesem Druck von anderswo aussetzen sollte. Er spricht auch offen von der «oft widersprüchlichen Politik mancher klimabewußten westlichen Länder». So hätten europäische Banken in den letzten Jahren keine fossilen Brennstoffprojekte mehr finanzieren dürfen; gleichzeitig habe Europa riesige Mengen an Gas aus Aserbaidschan verschlungen. Jetzt hofften diese Länder, andere würden den Ausbau der Pipelines finanzieren.
Auch die Vereinigten Staaten appellierten an die Welt, schneller Klimaschutz zu betreiben, so Babayev. Gleichzeitig produzierten und exportierten sie mehr Öl und Gas als je zuvor.
Das grenzt in der Tat an Scheinheiligkeit.
Was die Klimaschäden in der Arktis anbelangt, erinnere ich hier daran, dass die Arktisanrainer USA, Russland, Kanada und Norwegen alle fossile Interessen haben.
Aserbaidschan vom Klimawandel betroffen
Aserbaidschan selbst wird die Auswirkungen des Klimawandels zunehmend spüren, so die Experten der World Bank. Die Temperaturen werden voraussichtlich schneller steigen als im globalen Durchschnitt — nach dem höchsten Emissionsszenario des Weltklimarats bis zu 4.7°C bis 2090. Das wird sich auf die Landwirtschaft auswirken. Wüstenbildung, Bodenversalzung, Dürren und Wasserknappheit werden zunehmen. Das wärmere Klima hätte auch im Gesundheitsbereich negative Auswirkungen, zum Beispiel durch die starke Hitze vor allem in Baku und anderen Städten, aber auch eine Verlängerung der Malariasaison.
So wäre eine Dekarbonisierung im Interesse des Landes, argumentiert die Weltbank, unabhängig von der Geschwindigkeit des globalen Klimaschutzes. Von dem Konferenzort im Stadion von Baku aus ist die Umweltverschmutzung durch die Ölindustrie unübersehbar, schreibt New York Times-Autor Bearek.
Die Aliyev-Regierung plane, zu Hause in erneuerbare Energien zu investieren und gleichzeitig die Ausfuhr von Gas zu erhöhen, so Bearek weiter. Er merkt an, dass ein Großteil der erneuerbaren Energieprojekte in Gebieten stattfinden soll, die Aserbaidschan nach 30 Jahren Konflikt «plötzlich und blutig» im letzten September an sich gerissen hat. Ein interessantes Detail?
Die Sorgen der Zivilgesellschaft
Ich stehe in Kontakt zu unterschiedlichen Nichtregierungsorganisationen, die regelmäßig als Beobachter an den UN-Klimagesprächen teilnehmen. Einige beklagen sich über Restriktionen der Anzahl der Anmeldungen. Die Kosten für Räumlichkeiten auf dem Konferenzgelände sollen noch höher sein als letztes Jahr in Dubai. Die Menschenrechtssituation in Aserbaidschan verunsichert Aktivisten und auch manche Journalisten. Einige überlegen, ob sie der Klimakonferenz diesmal fernbleiben.
Bei der Vorbereitungskonferenz in Bonn im Juni machte CAN (Climate Action International) auf die große Herausforderung für Aktivisten und die Medien in Baku aufmerksam. Allerdings betonte die Organisation es könne ohne die aktive Beteiligung der Zivilgesellschaft keine Klimagerechtigkeit geben.
Amnesty International veröffentlichte vor kurzem ein Papier zur Menschenrechtssituation in Aserbaidschan im Vorfeld der Klimakonferenz. Sie appellieren an die Regierung als Gastgeberland dafür zu sorgen, dass die Menschenrechte aller im Lande respektiert werden. Die Zivilgesellschaft — sowohl die aserbaidschanische als auch andere — müsse in Sicherheit teilnehmen können, ohne Vergeltungsmaßnahmen befürchten zu müssen. Dazu gehörten auch das Versammlungsrecht sowie das Recht der freien Meinungsäußerung, so Amnesty.
Es gibt aber auch Stimmen, die der Meinung sind, es lohne sich nicht nach Baku zu fahren, weil das Gastgeberland entweder keine echten Fortschritte machen kann — oder will.
Wie ich in meinem letzten Artikel erklärt habe, wird der Schwerpunkt in Baku auf der Finanzierung liegen. Die Länder sollen sich auf ein neues globales Finanzierungsziel einigen, das nach 2025 in Kraft treten soll. Dies ist ein zentrales Thema und könnte letztlich darüber entscheiden, ob wir Maßnahmen ergreifen, um das 1.5°C Ziel zu erreichen, oder nicht. Aber der bittere Streit zwischen Industrie- und Entwicklungsländern darüber, wer die Billionen von Dollar bereitstellen sollte, die zur Bekämpfung des Klimawandels im globalen Süden erforderlich sind, könnte Fortschritte bei den Emissionsreduktionen blockieren. Zurzeit klaffen die Positionen der Länder noch sehr weit auseinander.
Bis Februar 2025 sollen die Nationen ihre aktualisierten Klimaschutzpläne (NDCs) dem UN-Klimasekretariat vorlegen. Der Termin liegt also NACH der Baku-Konferenz. Es besteht die Gefahr, dass das die Dringlichkeit aus den COP29 Gesprächen herausnehmen könnte.
Die bislang eingereichten Zahlen reichen nach UN-Berechnungen keineswegs aus, um die Ziele der Pariser Vereinbarung zu erreichen. Die 2025 vorzulegenden Pläne könnten entscheidend sein, so der UN-Klimachef Simon Stiell. Sie könnten möglicherweise in diesem Kontext die wichtigsten Dokumente des Jahrhunderts sein. Die Welt könnte in eine Richtung einschwenken, wo das Wirtschaftswachstum durch die Kosten für Katastrophenmanagement, Wiederaufbau, Verlust und Schäden zunichte gemacht wird. Oder aber, wir schaffen es in den nächsten 5 bis 10 Jahren, unsere Wirtschaft und Gesellschaft langfristig auf einen nachhaltigen Pfad zu setzen, so Stiell.
Die Klimakonferenz, der diese neuen Zahlen vorliegen werden, findet im November 2026 statt. Brasilien, ein «global player», ist das Gastgeberland. Die Vorbereitungen laufen schon. Das ist eine gute Sache. Wir brauchen Planung und Kontinuität. Das heißt aber nicht, dass wir die diesjährige Konferenz in Baku abschreiben können.
Wir haben keine Zeit zu verschwenden. Wir können es uns nicht leisten, eine COP auszusitzen.
Die Arktis — und die Welt — brauchen schnelle und weitreichende Emissionssenkungen. Den Kampf gegen den Klimawandel können wir ohne die Öl- und Gasländer nicht gewinnen. Wir können ihn auch nicht ohne autoritäre Staaten gewinnen. Wir können die Bemühungen um Emissionsreduktionen nicht pausieren, weil diesmal die Finanzierung oben auf der Agenda steht.
Wir können das Klimaproblem nur gemeinsam lösen. Geben wir Baku also eine Chance. Eigentlich haben wir keine andere Wahl.
Link zum Blog von Dr. Irene Quaile-Kersken:
Aktueller Blog: https://iceblog.org
Älterer Blog: https://blogs.dw.com/ice/