Der polare Rückblick – Erreger befallen zunehmend die polare Tierwelt | Polarjournal
Ein wohlgenährter Eisbär in der Tschuktschensee-Region im Sommer sieht wie ein gutes Zeichen aus. Doch der König der Arktis wird zunehmend von Viren, Bakterien und Parasiten befallen, wie eine neue Studie zeigt. (Bild: Michael Wenger)

Der polare Rückblick greift Geschehnisse der vergangenen Woche auf, die mit Arktis und Antarktis zusammenhängen und stellt einen oder mehrere Aspekte ins Zentrum der Betrachtung. Zwei Studien befassten sich mit den Auswirkungen von Krankheitserregern auf Eisbären und andere arktische Tiere, während die Vogelgrippe in den erwachenden antarktischen Regionen wieder zum Thema wird und sich auf menschliche Aktivitäten auswirkt.

Trotz der eisigen Kälte sind Tiere in der Arktis und Antarktis seit jeher von Krankheitserregern betroffen, egal ob es sich um Viren, Bakterien oder Parasiten handelt. Die Wissenschaft betrachtet diese normalerweise kaum sichtbaren Organismen sogar als einen wesentlichen Faktor für die evolutionäre Entwicklung bei Tieren. Dabei handelt es sich immer um ein Wettrüsten zwischen dem Immunsystem des Wirts und den Maßnahmen des Erregers, um dieses zu umgehen und sich im Wirt auszubreiten. In den letzten Jahrzehnten wurde dieses System jedoch durch äußere Umweltfaktoren beeinflusst, wodurch es sich in der Regel zugunsten des Erregers verschob, da dieser sich schneller anpassen kann.

Zwei Studien, die in der Arktis durchgeführt und in den letzten Wochen veröffentlicht wurden, liefern weitere Informationen darüber, dass Viren, Bakterien und Parasiten auf dem Vormarsch sind und dadurch besonders die Topräuber in der Arktis, allen voran die Eisbären, betreffen. Die Studien zeigen auch, dass die Gesundheit von Eisbären und anderen Tieren in der Arktis nicht nur für die Art selbst, sondern auch für die indigenen Gemeinschaften, die auf sie angewiesen sind, ein Problem darstellt.

Erreger machen Eisbären in der Tschuktschensee zunehmend zu schaffen

Eine US-amerikanische Studie unter der Leitung von Dr. Kary D. Rode vom US Geological Survey, die in PLOS ONE veröffentlicht wurde, untersuchte vor kurzem die erhöhte Erregerbelastung bei Eisbären in der Tschuktschensee-Region über einen Zeitraum von dreißig Jahren. Das Forschungsteam stellte fest, dass die Prävalenz von Antikörpern gegen fünf Krankheitserreger wie Toxoplasma, Neospora und das Hundestaupevirus CDV im Untersuchungszeitraum deutlich zugenommen hat. Die Studie ergab mehrere signifikante Zusammenhänge zwischen der Erregerbelastung und verschiedenen Faktoren. Insbesondere wiesen weibliche Tiere im Vergleich zu männlichen Tieren eine höhere Seroprävalenz für Francisella tularensis, Coxiella burnetii und Brucella abortus/suis auf. Darüber hinaus spielte auch das Alter eine Rolle, da die Seroprävalenz von Toxoplasma gondii und Staupevirus (CDV) mit dem Alter zunahm.

Einer der wichtigsten Faktoren für diese veränderte Belastung mit Krankheitserregern scheint eine Änderung der Ernährungsgewohnheiten zu sein, so das Forschungsteam in seiner Studie. Den Ergebnissen zufolge führt ein Wechsel der Beuteart zu einer Exposition gegenüber neuen Krankheitserregern, wie die Bären zeigen, die anstelle von Ringelrobben, ihrer bevorzugten Beute, vermehrt Bartrobben oder Grönlandwale verzehren.

Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass die Exposition gegenüber neuen Krankheitserregern bei Eisbären zu einer erhöhten Immunantwort führt. Dies ist eine sehr kostspielige Investition, insbesondere im Sommer, wenn es schwieriger ist, energiereiche Nahrungsquellen zu finden, und Eisbären ihre Energie für die Jagd und den Lebensunterhalt einteilen müssen.

Mehr Verschmutzung, mehr beeinträchtigte Immunreaktionen

Doch Eisbären sind nicht die einzigen Tiere, die von der erhöhten Belastung durch Krankheitserreger betroffen sind. In einer weiteren Studie, die diesmal von einem internationalen Team durchgeführt und als Vorabveröffentlichung in der Zeitschrift Science of the Total Environment publiziert wurde, liefern die Autoren überzeugende Beweise dafür, dass Tiere in der Arktis aufgrund einer Kombination aus Klimawandel, Umweltverschmutzung und ökologischen Veränderungen im Allgemeinen zunehmend von Krankheitserregern betroffen sind.

Bei der Untersuchung der Faktoren, die zu dieser erhöhten Belastung und ihren Auswirkungen führen, stellten die Autoren fest, dass hohe Konzentrationen von persistenten organischen Schadstoffen (POPs) und Per- und Polyfluoralkylsubstanzen (PFAS) in der arktischen Umwelt zu einer Verschlechterung des Immunsystems bei den Tieren führen und sie anfälliger für Infektionen machen. Die von den Autoren Emilie Andersen-Ranberg von der Universität Kopenhagen und Dr. Christian Sonne von der Universität Aarhus geleitete Studie untersuchte auch die Ergebnisse an Eisbären in verschiedenen Studien und zeigte, dass diese Raubtiere einige der höchsten Konzentrationen dieser Schadstoffe weltweit aufweisen, was ihre Anfälligkeit für Krankheiten wie Grippe und andere Virusinfektionen noch verstärkt.

Diese Ergebnisse widersprechen auch nicht dem Befund einer erhöhten Immunreaktion, wie sie in der vorherigen Studie des US-Teams festgestellt wurde, da jede Infektion normalerweise zu einer Reaktion führt. Es deutet vielmehr darauf hin, dass die Reaktion selbst nicht stark genug ist, um die Infektion loszuwerden, wie es bei einem nicht belasteten Eisbären normalerweise der Fall wäre.

Zoonose, ein wachsendes Problem in allen Polarregionen

Ein weiterer Grund für die erhöhte Exposition gegenüber Krankheitserregern ist die Übertragung durch Neuankömmlinge in den Polarregionen auf bereits etablierte Populationen. Die Studie von Andersen-Ranberg und ihren Kollegen liefert zahlreiche Belege für solche Übertragungen, zum Beispiel die Tollwut von Rotfüchsen auf Polarfüchse oder das Bakterium Erysipelothrix rhusiopathiae, das normalerweise bei Rindern vorkommt, aber 2015 in der kanadischen Arktis auch bei Moschusochsen ein großes Sterben verursachte. Auch hier kommen die Autorinnen und Autoren zu dem Schluss, dass vom Menschen verursachte Faktoren wie die Erwärmung der Arktis und die Umweltverschmutzung Massenbewegungen nicht-arktischer Arten in die Regionen des hohen Nordens begünstigen.

Doch solche Zoonosen sind nicht auf die Arktis beschränkt. Auch die Antarktis ist zunehmend betroffen, wie der Ausbruch der Vogelgrippe in Südamerika und auf Südgeorgien im vergangenen Jahr deutlich gezeigt hat. Dort wurde an den Stränden Argentiniens und Chiles und später auf Südgeorgien ein Massensterben unter den Südlichen See-Elefanten festgestellt. Nun meldeten die Behörden der französischen Südterritorien vor kurzem einen ähnlichen Vorfall auf Possession Island, einem Teil des Crozet-Archipels. Zwar haben die Experten erst jetzt Proben entnommen, um die Ursache der Todesfälle zu bestätigen, aber die Behörden erklären bereits, dass der Ausbruch wahrscheinlich auf einen „Erreger grippalen Ursprungs“ zurückzuführen ist.

Obwohl spezifische genetische Beweise noch fehlen, scheint es wahrscheinlich, dass die Seeelefanten auf Possession Island ebenfalls von demselben Virus betroffen sind wie ihre Artgenossen auf Südgeorgien und in Argentinien. Eine von einem internationalen Forscherteam durchgeführte Studie hatte ergeben, dass es sich bei dem Virus um eine Mutation des H5N1-HPAI-Virus handelt, die eine Übertragung von Säugetier zu Säugetier ermöglicht.

Insgesamt zeigen diese Beispiele, dass die Herausforderungen für die polare Tierwelt komplex und vielschichtig sind. Klimawandel, Umweltverschmutzung und neu auftretende Krankheiten tragen alle zur Gefährdung dieser einzigartigen Tiere bei. Kontinuierliche Überwachung, Forschung und internationale Zusammenarbeit sind entscheidend, um diese Bedrohungen zu verstehen und einzudämmen. Die jüngsten Ausbrüche der Vogelgrippe zeigen, wie wichtig Biosicherheitsmaßnahmen sind, um die Verbreitung von Krankheiten zu verhindern. Der Schutz der polaren Wildtiere ist nicht nur ein regionales Anliegen, sondern ein globales Erfordernis.

Dr. Michael Wenger, Polar Journal AG

Link zu den Studien:
E. Andersen-Ranberg, I.H. Nymo, P. Jokelainen, et al., Environmental stressors and zoonoses in the Arctic: Learning from the past to prepare for the future, Scie Tot Environ (2024)

Rode KD, Van Hemert C, Wilson RR, Woodruff SP, Pabilonia K, Ballweber L, et al. (2024) Increased pathogen exposure of a marine apex predator over three decades.

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