«Ground zero»: Warum die Erwärmung der Arktis auf der globalen Agenda nach oben muss | Polarjournal
(Foto: I. Quaile)

Während die COP29 im öl- und gasreichen Aserbaidschan immer näher rückt, die UN gleichzeitig vor einem Temperaturanstieg von bis zu 3°C warnt, drängen Klimawissenschaftler die Regierungen, sich auf die Kryosphäre zu konzentrieren. Die gefrorenen Regionen unseres Planeten erwärmen sich um ein Vielfaches schneller als der globale Durchschnitt. Wenn sich die Nationen der Welt nicht auf Maßnahmen einigen können, um die Erderwärmung auf maximal 1,5 °C zu halten, warnen die Experten vor potenziell verheerenden und irreversiblen Auswirkungen der Eisschmelze, nicht nur für den eisigen Norden, sondern für den ganzen Planeten.

Eisige Temperaturen, die Nordeuropa unbewohnbar machen, Zusammenbrüche der Landwirtschaft und der Fischerei, beispiellose regionale Wetterextreme, zusätzlicher Meeresspiegelanstieg mit katastrophalen Überschwemmungen – das Treffen des Nordischen Ministerrats in Reykjavik, Island, erhielt im Oktober eine scharfe Warnung von 43 führenden internationalen Klimawissenschaftlern. In einem offenen Brief, der von Professor Stefan Rahmstorf, Leiter Erdsystemanalyse am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, warnen die Experten, es bestehe ein«ernsthaftes Risiko für eine große Veränderung der Ozeanzirkulation im Atlantik (…) mit verheerenden und irreversiblen Auswirkungen, insbesondere für nordische Länder, aber auch für andere Teile der Welt».

Eisige Aussichten für Nordeuropa

Die Experten sehen immer mehr Hinweise darauf, dass sich die atlantische Umwälzströmung (Atlantic Meridional Overturning Circulation, AMOC) durch den menschengemachten Klimawandel bereits abgeschwächt hat und zunehmend Gefahr läuft, auf einen Kipppunkt zuzusteuern und danach zusammenzubrechen. AMOC transportiert Wärme in den Nordatlantik und«bestimmt die Lebensbedingungen für alle Menschen in der Arktis und darüber hinaus», so die Wissenschaftler.

Das globale Förderband, das hier teilweise gezeigt wird, zirkuliert kühles unterirdisches Wasser und warmes Oberflächenwasser in der ganzen Welt. Die Atlantic Meridional Overturning Circulation ist Teil dieses komplexen Systems globaler Meeresströmungen. Diese Abbildung stammt aus einem kurzen Video, das von NOAA Science on a Sphere produziert wurde

Erinnern Sie sich an den Hollywood-Film «The Day after Tomorrow» mit dem Szenario des Schmelzens polarer Eiskappen, die frisches Wasser in die Ozeane gießen und den Salzgehalt verdünnen, wodurch die Temperatur der Meeresströmungen sinkt und die Nordatlantikströmung gestört wird? Ein Hollywood-Katastrophen-Blockbuster: Untergang, schnelles und plötzliches Desaster, Heldentaten, Emotionen und viel«willentliche Aussetzung der Ungläubigkeit». Aber diese Grundidee des abschmelzenden polaren Eises, das Wassertemperatur und -salzgehalt verändert, die Strömungen durcheinanderbringt, den Wärmetransport stoppt und das Klima stört? Doch nicht so weit hergeholt?

Ein Zustrom von kaltem, frischem Wasser aus schmelzendem Landeis wie Grönlands massivem Eisschild ist ein wichtiger Faktor bei der jetzt beobachteten Veränderung der Meeresströmungen.

Eis aus den mächtigen Eisschilden Grönlands und der Antarktis wird das Schicksal der tief liegenden Gemeinden rund um den Globus bestimmen. (Foto: I. Quaile, Grönland)

Es gibt Hinweise darauf, dass AMOC in den letzten 60 oder 70 Jahren aufgrund der globalen Erwärmung langsamer geworden ist, erklärt Rahmstorf in einem Interview mit dem Guardian. Das bedrohlichste Zeichen, sagt er, ist der«kalte Blob» über dem Nordatlantik.

«Die Region ist der einzige Ort auf der Welt, der sich in den letzten 20 Jahren abgekühlt hat, während es sonst überall auf dem Planeten wärmer wird – ein Zeichen für einen reduzierten Wärmetransport in diese Region, genau das, was Klimacomputermodelle als Reaktion auf die Verlangsamung von AMOC infolge der Treibhausgasemissionen vorhergesagt haben.»

Warum also der Aufschrei zu diesem Zeitpunkt?

Wenn die Wissenschaft den Weltklimarat überholt

«Eine Reihe von wissenschaftlichen Studien in den letzten Jahren legt nahe, dass dieses Risiko bisher stark unterschätzt wurde», schreiben die Klimawissenschaftler in ihrem offenen Brief.«Eine solche Veränderung der Ozeanzirkulation hätte vor allem für die nordischen Länder, aber auch für andere Teile der Welt verheerende und irreversible Auswirkungen.»

Laut den Autoren von Instituten auf der ganzen Welt bestätigt die Wissenschaft zunehmend, dass die arktische Region ein«Ground Zero» für Kipppunktrisiken – sowie für die Klimaregulierung auf dem ganzen Planeten – sei. Der grönländische Eisschild, das Barents-Meereis, die borealen Permafrostsysteme und AMOC seien alle anfällig für große, miteinander verbundene, nichtlineare Veränderungen.

Die Berichte des Weltklimarats IPCC, die Synthesen unserer wissenschaftlichen Erkenntnisse zum Klimawandel, die als Grundlage für Klimaschutzmaßnahmen der Weltregierungen dienen sollten, sind nicht in der Lage, mit der laufenden Forschung Schritt zu halten. Der IPCC kam in seinem letzten Bericht zu dem Schluss, dass«es ein mittleres Vertrauen gibt, dass die atlantische Meridional Overturning Circulation nicht vor 2100 abrupt zusammenbrechen wird». Nun, das könnte viele Menschen beruhigt haben, vor allem, aus einer kurzfristigen Perspektive«Aber sollte es passieren, würde dies sehr wahrscheinlich zu abrupten Verschiebungen in den regionalen Wettermustern und großen Auswirkungen auf Ökosysteme und menschliche Aktivitäten führen», heißt es in dem Bericht weiter.

Laut den 43 Autoren des offenen Briefes — darunter hochkarätige Wissenschaftler wie Timothy Lenton, Anders Levermann, Michael Mann, Stefan Rahmstorf und Johan Rockström — deuten jüngste Forschungen seit dem letzten IPCC-Bericht aber darauf hin, dass der Weltklimarat dieses Risiko unterschätzt hat und dass es eine«ernsthafte Möglichkeit» gibt, dass der Kipppunkt bereits in den nächsten Jahrzehnten passiert werden könnte. 

Beunruhigend?

Ein Risiko zu hoch, um es zu ignorieren

Die Wissenschaftler betonen, dass trotz erheblicher Forschung über die Möglichkeit und die Mechanismen eines Zusammenbruchs die Wahrscheinlichkeit eines solchen Auftretens höchst ungewiss bleibt. Aber ihrer Ansicht nach ist nur «mittleres Vertrauen», dass AMOC nicht kollabiert, alles andere als beruhigend. Es lässt die Möglichkeit eines AMOC-Zusammenbruchs in diesem Jahrhundert deutlich offen. Und es gebe eine noch größere Wahrscheinlichkeit, dass ein Zusammenbruch in diesem Jahrhundert ausgelöst wird, aber sich erst im nächsten voll auswirkt.

Es sei eine Frage der Risikobewertung, sagte Rahmstorf der britischen Zeitung Guardian:

«Ich vergleiche es damit, dass mir gesagt wird, dass es eine 10 prozentige Chance gibt, dass ein Flugzeug abstürzt. Würden Sie in dieses Flugzeug steigen? Ich nicht. Die katastrophalen Folgen sind inakzeptabel.»

Was seine eigenen Erwartungen betrifft:«Ich bin jetzt sehr besorgt, dass wir AMOC in den nächsten Jahrzehnten über diesen Kipppunkt drängen könnten. Wenn Sie mich nach meinem Bauchgefühl fragen, würde ich sagen, dass das Risiko, dass wir den Wendepunkt in diesem Jahrhundert überschreiten, etwa 50/50 beträgt», sagte Rahmstorf dem Guardian.

Das ist wirklich beunruhigend!

Erkenntnisse aus der fernen Vergangenheit

Eine Studie, die gerade in Nature vom iC3 Polar Research Hub mit Sitz an der UiT, der Arctic University of Norway in Tromsö, veröffentlicht wurde, untermauert die Warnung, dass das Schmelzen des arktischen Meereises die globale Ozeanzirkulation beeinträchtigen könnte, indem man sich anschaut, was in der Erdgeschichte passierte. Die Forscher entdeckten, dass eine Zunahme an Zuflüssen von Süßwasser aus dem schmelzenden arktischen Meereis in die Nordischen Meere die Ozeanzirkulation«wahrscheinlich erheblich beeinträchtigt habe und die Temperaturen in Nordeuropa hat sinken lassen».

Hauptautor Mohamed Ezat vom iC3 Polar Research Hub, schrieb mir in einer E-Mail:

«Während Klimamodelle wertvolle Erkenntnisse darüber liefern, wie unser zukünftiges Klima aussehen könnte, bergen sie immer noch große Unsicherheiten, insbesondere für langfristige Vorhersagen und auf regionaler Ebene. Der Blick auf die ferne Vergangenheit der Klimageschichte der Erde, vor allem, zu Zeiten, als sie wärmer war als heute, kann solche Unsicherheiten verringern. Zum Beispiel konzentrierten wir uns in unserer Studie auf die letzte Zwischeneiszeit, vor etwa 128.000 Jahren, als die globale Durchschnittstemperatur auf 1 bis 2 °C wärmer als vorindustriell geschätzt wird. D.h. wie die Temperaturen, auf die wir in diesem Jahrhundert zusteuern.»

Ezat beschreibt diese Ergebnisse als«alarmierend»:«Das erinnert uns daran, dass das Klima des Planeten ein empfindliches Gleichgewicht ist, das leicht durch Veränderungen der Temperatur sowie der Eisbedeckung gestört wird.» 

Es wird erwartet, dass im Arktischen Ozean ab dem Jahr 2050 eisfreie Sommerbedingungen auftreten werden.

Wie ich hier im Ice Blog oft diskutiert habe, beeinflusst das, was im hohen Norden passiert, den ganzen Planeten. Wie Ezat mir auf der Grundlage seiner Forschung sagte:

«Änderungen im Eis des Arktischen Meeres können die Ökosysteme und Ressourcen des Ozeans in hohen Breiten erheblich beeinflussen. Sie wirken sich auch weltweit auf das Klima aus. Zum Beispiel -und von besonderer Relevanz für unsere Studie – kann das Schmelzen des arktischen Meereises zu einem erhöhten Süßwasserexport in die Nordische Meere und den Nordatlantik führen. Dies könnte die Atlantische Meridional Overturning Circulation verlangsamen. Das könnte letztlich zu Störungen der saisonalen Monsune, einer Verringerung der Kohlendioxidaufnahme durch das Meer (und damit mehr CO2-Ansammlungen in der Atmosphäre) und einem zusätzlichen Anstieg des Meeresspiegels in einigen Regionen wie entlang der Ostküste der USA führen.»

Das passt zu den Warnungen der 43 Wissenschaftler an den Nordischen Ministerrat.

«Die Auswirkungen vor allem auf die nordischen Länder wären wahrscheinlich katastrophal, einschließlich einer großen Abkühlung in der Region, während sich die umliegenden Regionen erwärmen. Dies wäre eine Erweiterung und Vertiefung des «kalten Blobs», der sich bereits über dem subpolaren Atlantik entwickelt hat und wahrscheinlich zu beispiellosem Extremwetter führen würde. Während die Auswirkungen auf Wettermuster, Ökosysteme und menschliche Aktivitäten weiterer Untersuchungen bedürfen, würden sie möglicherweise die Lebensfähigkeit der Landwirtschaft in Nordwesteuropa bedrohen», erklären die Wissenschaftler.

Warum sich die COP29 auf die Kryosphäre konzentrieren muss

Wissenschaftler und besorgte Gruppen machen schon lange auf die Bedeutung des Abschmelzens der Eis- und Schneegebiete aufmerksam. Auch im Rahmen der jährlichen UN-Klimaverhandlungen arbeiten sie, um die Parteien darüber zu informieren. Die International Cryosphere Climate (ICCI) Initiative, die den jährlichen State of the Cryosphere Report veröffentlicht, organisiert regelmäßig einen Cryosphere-Pavillon am COP-Veranstaltungsort, um Wissenschaftler, Unterhändler und politische Entscheidungsträger zusammenzubringen und um unsere gefrorenen Regionen ins Rampenlicht zu rücken. 

Im vergangenen Jahr veröffentlichte die Organisation einen offenen Brief auf der COP28 von mehr als 1.000 Wissenschaftlern, in dem sich diese für die Aufnahme der Kryosphäre in die Schlußerklärung einsetzen. Ein Temperaturanstieg von 2°C sei für die Eis- und Schneeregionen viel zu hoch. Ohne klare Richtlinien, um 1,5 °C Wirklichkeit werden zu lassen; ohne einen Weg zum Ausstieg aus fossilen Brennstoffen; und ohne Finanzmechanismen zur Unterstützung des Klimaschutzes sowie der Anpassung würden die Weltführer de facto entscheiden, die Menschheit für Jahrhunderte bis Jahrtausende zu belasten. Hunderte Millionen von Menschen würden durch die Überschwemmung von Küstensiedlungen vertrieben, lebensnotwendige Süßwasserressourcen zerstört, empfindliche Ökosysteme aus dem Gleichgewicht gebracht und zukünftige Generationen belastet.

Leider hat die Dubai COP28 nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt:

Mit jedem Jahr wird die Notwendigkeit des Klimaschutzes dringender, das Fenster zur Abwendung katastrophaler Auswirkungen schließt sich immer weiter. Auf der COP29 in Baku haben wir noch eine Chance.

Die ICCI wird ihren Bericht zum Zustand der Kryosphäre 2024 in den kommenden Wochen veröffentlichen. Es ist unwahrscheinlich, dass es eine Atempause bringen wird, befürchte ich. Die Organisation ist auch einer von 8 Partnern, die sich Norwegen, dem derzeitigen Vorsitzenden des Arktis-Rates, anschließen, um eine wichtige Nebenveranstaltung auf der COP29 mit dem Titel  A Message from the Frozen World – the Global Impact of a Changing Cryosphere» zu veranstalten. Politiker, Wissenschaftler und Indigene-Vertreter*Innen werden versuchen, das Bewußtsein für die Polar- und hohen Bergregionen auf der Weltklimakonferenz zu etablieren und mit einer konzertierten Anstrengung, die Kluft zwischen Wissenschaft auf der einen Seite und Politik und Governance auf der anderen Seite zu überbrücken.

Sitz des Arktischen Rates in Tromsö, Norwegen (Foto: I. Quaile)

Norwegen, das zurzeit den Vorsitz über den Arktischen Rat inne hat, ist entschlossen, das kritische Thema Kryosphäre in den Vordergrund zu rücken, wichtige Akteure einzubeziehen und Klimaschutzmaßnahmen voranzutreiben, so die Website des Arktischen Rats. 

Klingt gut? Höchste Zeit, angesichts Norwegens Lage im hohen Norden – und der fossilen Wirtschaft des Landes. 

Schmelzgefahr zu lange ignoriert

Gletscher und Eisschilde, Schnee, Permafrost und Meereis binden uns alle zusammen, indem sie Millionen von Menschen mit Süßwasser versorgen, das globale Klima stabilisieren und uns vor dem Anstieg des Meeresspiegels schützen, betonen die Organisatoren. Diese Kryosphäre sei jedoch durch den Klimawandel bedroht, und die Welt könne nicht wegschauen. 

«Diese Veränderungen beschleunigen sich in einem nie dagewesenen Tempo und wirken sich überall auf die Menschen aus. (…) Der Anstieg des Meeresspiegels durch Eisschilde und Gletscher überschwemmt tief gelegene Küstengebiete und verursacht Erosion, was Hunderte Millionen Menschen in Küstenstädten und Inselgemeinden in den kommenden Jahrzehnten gefährdet. Die Berggletscher, die Millionen von Menschen mit Süßwasser versorgen, schmelzen schnell, und die Schneedecke nimmt ab. Dies führt zu vermehrten Überschwemmungen und Verunreinigungen von Wasserquellen, was die Versorgung von Milliarden von Menschen mit zuverlässigem Süßwasser bedroht. Der auftauende Permafrost verursacht schwere Schäden an Gebäuden und Infrastruktur in der Arktis, im Himalaya und anderen Bergregionen. Die sich verändernde Kryosphäre bedroht auch Häuser und Lebensgrundlagen und wirkt sich oft auf indigene Völker wie die Saami, Inuit und Sherpa aus, die ebenfalls durch eine Vielzahl externer Faktoren bedroht sind. Der Klimawandel ermöglicht ebenfalls Reisen in und durch die Arktis, was zu einer erhöhten Aktivität in der Schifffahrt und der Bergbauexploration führt.»

– So schreiben die Organisatoren.

Klimawandel bedeutet neue Bedingungen für Schifffahrt und Fischerei (Foto: I. Quaile, Svalbard)

Die Diskussionsveranstaltung mit hochrangigen Politikern, Wissenschaftlern und indigenen Vertretern könnte endlich die Botschaft an die Regierungen der Welt vermitteln, dass sie ihre Klimabemühungen massiv verstärken und endgültige Maßnahmen ergreifen müssen, um die globale Erwärmung auf 1,5 °C zu halten.

Mehr Erwärmung, schwerere Auswirkungen

In seinem Synthesis Report 2023 drückt der Weltklimarat IPCC «hohes Vertrauen aus, dass die Wahrscheinlichkeit irreversibler Veränderungen im Klimasystem mit dem Niveau der globalen Erwärmung zunehmen wird». Er erklärt auch, dass die Wahrscheinlichkeit potenziell massiver negativer Auswirkungen mit dem Grad der Erwärmung steigt.

Angesichts der Tatsache, dass diese Berichte einem rigorosen Redaktionsprozess unterliegen, einschließlich Druck von Regierungen, alles zu vermeiden, was als Panikmache ausgelegt werden, oder sie zwingen könnte schnelle Maßnahmen zu ergreifen, die sie nicht ergreifen wollen, ist das eine ziemlich starke Aussage.

Wie die 43 Wissenschaftler in ihrem Schreiben an die Nordischen Minister hervorheben, schreibt der IPCC tatsächlich, dass «Risiken, die mit großen Einzelereignissen oder Kipppunkten verbunden sind… bei einer globalen Erwärmung zwischen 1,5 °C und 2,5 °C zu einem hohen Risiko werden».

Was brauchen wir mehr? Warum hat das nicht die Alarmglocken läuten lassen? Die Experten der Welt haben uns gesagt, dass wir selbst bei Einhaltung der im Pariser Abkommen festgelegten Obergrenze von 2°C, vorzugsweise 1,5 °C, katastrophale Auswirkungen auf der ganzen Welt riskieren und dass das Risiko bei jeder winzigen Erwärmung höher wird.

Emissionslücke – Rhetorik und Realität

Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP) hat gerade seinen Emissions Gap Report 2024 veröffentlicht (unter dem Titel: Keine heiße Luft mehr … bitte!). Man könnte das leicht verpasst haben, da es durch die anhaltenden Krisen im Nahen Osten und in der Ukraine und durch die US-Wahlen in der Medienberichterstattung an den Rand gedrängt wurde. (Wobei dessen Ergebnis zugegebenermaßen zu einem großen Teil das Schicksal unseres Klimas bestimmen wird).

Der Bericht beschreibt eine «massive Kluft zwischen Rhetorik und Realität». Während Länder ihre neuen Klimaverpflichtungen entwerfen, die Anfang 2025 vorgestellt werden sollen, verstärken sich die Klimaauswirkungen rund um den Globus. Die Nationen müssen in der nächsten Runde dramatisch schärfere Ziele vorlegen, so die Berichtautoren; sonst werde das 1,5°C-Ziel des Pariser Abkommens innerhalb weniger Jahre verschwunden sein.

Die Fortsetzung der derzeitigen Politik wird zu einem katastrophalen Temperaturanstieg von bis zu 3,1°C führen, schlussfolgert der Bericht. 

Beängstigend?

Die aktuellen Zusagen für 2030 werden nicht erfüllt; selbst wenn sie eingehalten werden, wäre der Temperaturanstieg nur auf 2,6 bis 2,8°C begrenzt.

Die Nationen müssen sich gemeinsam dazu verpflichten, die jährlichen Treibhausgasemissionen bis 2030 um 42 Prozent und bis 2035 um 57 Prozent zu senken – und dies mit schnellen Maßnahmen zu unterstützen, so UNEP.

Ansonsten sei die Welt auf dem Weg zu einem Temperaturanstieg von 2,6 – 3,1°C im Laufe dieses Jahrhunderts. Dies würde «schwächende Auswirkungen auf die Menschen, den Planeten und die Volkswirtschaften» bringen, heißt es in dem UNEP-Bericht. 

Das könnte noch milde ausgedrückt sein.

Versuchen wir trotzdem, das Positive zu sehen:

«Es ist noch technisch möglich, das 1,5°C – Ziel zu erreichen, aber nur mit einer von den G20 angeführten massiven globalen Mobilisierung, um alle Treibhausgasemissionen zu senken, und das schon ab heute», so der Bericht.

Eis und Schneeschmelze: kein besserer Grund für sofortiges Handeln

Was in der Kryosphäre passiert, sollte selbst die größten Skeptiker von der Notwendigkeit überzeugen, die Emissionen ab sofort drastisch zu reduzieren.

Zurück zum Aktions-Plädoyer der 43 Klimawissenschaftler an den Nordischen Ministerrat. Zu dieser Gruppe gehören Norwegen – turnusgemäß Vorsitzender des Arktischen Rats und selbsternannter Verteidiger der Kryosphäre auf der COP29 – und Island, ein Mitorganisator der COP29-Kryosphärenveranstaltung und Co-Vorsitzender der Ambition on Melting Ice (AMI)-Gruppe, die 2022 auf der COP27 in Sharm El-Sheikh, Ägypten, gegründet wurde. (Norwegen ist auch Mitglied). AMI zielt darauf ab, «sicherzustellen, dass die irreversiblen und verheerenden globalen Auswirkungen des Kryosphärenverlusts von politischen Führern und der Öffentlichkeit gleichermaßen verstanden werden: nicht nur innerhalb von Berg- und Polarregionen, sondern auf dem ganzen Planeten».

Die Botschaft der Wissenschaftler an die Minister:

«Angesichts der zunehmenden Beweise für ein höheres Risiko eines AMOC-Zusammenbruchs glauben wir, dass es von entscheidender Bedeutung ist, dass die arktischen Kipppunkt-Risiken, insbesondere dieses AMOC-Risiko, in Regierungsarbeit und Politik ernst genommen werden. Selbst bei einer mittleren Wahrscheinlichkeit, dass das Ergebnis katastrophal wäre und die ganze Welt für die kommenden Jahrhunderte beeinflussen würde, glauben wir, dass mehr getan werden muss, um dieses Risiko zu minimieren.» Und sie betonen, dass die Regierungen des Nordens sich für die Sache einsetzen könnten.

Insbesondere für Norwegen (und meine Heimat Schottland) sagt Rahmstorf in einem Interview mit dem Guardian:

«Die Risiken werden existenziell sein und die Frage aufwerfen, ob die Menschen dort weiterleben können oder ob die meisten lieber umziehen würden.»

Die Schlussfolgerung sollte klar sein, so Rahmstorf weiter:

«Dies alles wird hauptsächlich durch Emissionen fossiler Brennstoffe und auch durch die Entwaldung vorangetrieben, deshalb müssen beide gestoppt werden. Wir müssen uns an das Pariser Abkommen halten und die globale Erwärmung auf so nahe wie möglich an 1,5 °C begrenzen.»

Der Wissenschaftler ergänzt:

«Ich glaube nicht, dass es meine Aufgabe ist, über meine Gefühle zu sprechen, aber ich habe zwei Kinder und ich bin sehr besorgt darüber, in welcher Zukunft sie leben werden. Manchmal scherze ich, dass Physiker keine Gefühle haben. Aber auch Physiker machen sich Sorgen um ihre Kinder.»

Mit einer konzertierten Anstrengung könnte und sollte dies die UN-Konferenz sein, auf der die Kryosphäre, unsere gefrorene Welt, es endlich an die Spitze der internationalen Klimaagenda schafft. Die Gründe dafür sind nicht erfreulich. Aber ohne Bewusstsein wird es nicht zum Handeln kommen. Und ohne schnelles, entschiedenes, effektives Handeln steuern wir auf eine Katastrophe zu.

Link zum Blog von Dr. Irene Quaile-Kersken:

Aktueller Blog: https://iceblog.org

Älterer Blog: https://blogs.dw.com/ice/ 

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