Karl Krüger hat etwa die Hälfte seiner Reise hinter sich. In den nächsten zwei Jahren hofft er, die Expedition mit dem Standup-Paddle-Board durch die legendäre Wasserstrasse abzuschließen. Die abgelegene arktische Umgebung bot ihm etwas, das in südlicheren Breitengraden verloren geht.
Im Sommer 2022, als er irgendwo in der kanadischen Arktis auf einem Felsen saß, hatte Karl Krüger eine Erleuchtung.
Es war der nördlichste Ort, an dem er bisher gewesen war, aber das Wetter spielte verrückt, so dass er seine Expedition unterbrechen musste.
Bis dahin war es gut gelaufen. Er befand sich mitten in einer Expedition durch die Nordwestpassage auf einem Standup Paddle Board (SUP), einer Art Surfbrett, das nur von einem einzigen Paddel angetrieben wird.
Er musste mit leichtem Gepäck reisen und hatte nur wenig Unterhaltung dabei. Und auf dem Weg nach Norden waren die einzigen zwei Batterien, die er mitgenommen hatte, von Grenzbeamten beschlagnahmt worden. So musste er sich zum Aufladen seiner elektronischen Geräte ganz auf die Sonne verlassen. Das spielte aber keine große Rolle, da er schon vor langer Zeit die letzte Mobilfunkverbindung hinter sich gelassen hatte.
Alles, was ihm blieb, war, zwei Tage lang auf diesem Felsen zu bleiben und kaum etwas anderes zu tun, als dem Eis zuzusehen, wie es vorbeizog. Und nachzudenken.
„Es war die demütigendste Erfahrung, die ich je gemacht habe. Zwei Tage lang an einem solchen Ort zu sitzen und über die menschliche Unbedeutsamkeit und das Ausmaß der Zeit nachzudenken. Das war ein echter Wendepunkt für mich und meine Einstellung zum Leben“, sagt Karl Krüger gegenüber Polar Journal AG.
Für einen Rekord
Die arktische Einsamkeit und die Auswirkungen, die sie auf ihn hatte, waren unerwartet, gibt Karl Krüger zu. Bevor er seine Reise antrat, war sein Hauptziel, zu lernen, aber auch, weniger hochtrabend, einen Rekord für sich zu beanspruchen.
Sollte er seine Reise im nächsten Sommer abschließen, wird er der erste Mensch sein, der die Nordwestpassage in ihrer gesamten Länge mittels Standup-Paddeln durchquert hat.
„Erst als ich dort saß und auf das Eis schaute, wurde mir klar, was für eine belanglose Sache das ist. Mir wurde klar, dass es keinen Sinn macht, die Aufmerksamkeit von jemandem zu wollen, der nicht einmal in der Lage ist, sich vorzustellen, was ich da tue. Es war einfach nicht wichtig“, sinniert Karl Krüger.
„Was zählte, war, dass ich da war und dass ich es erlebte. Wen kümmert es, ob es jemand bemerkt oder ob ich Aufmerksamkeit bekomme? Das Schöne an allem war, dass ich da war. An diesem Punkt begann ich mich auf das zu konzentrieren, was ich lernte und auf all die kleinen Dinge, die ich erlebte“, fügt er an.
Festsitzen im Nebel
Karl Krügers Reise ist in vier Etappen unterteilt. Die erste, 650 Kilometer lange Strecke durch Nunavut absolvierte er im arktischen Sommer 2022, die zweite, ebenfalls 650 Kilometer lange Etappe ein Jahr später. Aber aufgrund von Finanzierungsproblemen musste er den dritten Teil der Reise von 2024 auf 2025 verschieben.
Im nächsten Sommer hofft er, mindestens 1100 Kilometer paddeln zu können, mit dem Ziel Gjoa Haven auf King James Island. Von dort aus wird er den Rest des Weges durch die Wasserstraße im 2026 zurücklegen.
Er hat also bereits zwei 650-Kilometer-Reisen voller Höhepunkte hinter sich. Aber er musste auch einige Tiefpunkte durchstehen.
„Jedes Jahr hat sein eigenes kleines Thema. Im ersten Jahr ging es um Navigation und darum, meinen Weg durch die Arktis zu finden. Im zweiten Jahr ging es um Entbehrungen, bzw. darum, wie viel man entbehren kann“, meint Karl Krüger.
Jene Entbehrung, die er als seinen bisherigen Tiefpunkt bezeichnet, wurde durch einen fünftägigen Nebel ausgelöst. Er machte nicht nur die Navigation nahezu unmöglich, sondern das Fehlen der Sonne führte auch dazu, dass seine elektronischen Geräte nicht aufgeladen werden konnten. Es war sogar schwierig, einen Platz zu finden, an dem er mit seinem SUP landen konnte.
„Ich konnte nur nach dem navigieren, was ich hören konnte. Ich befand mich an einer felsigen Küste, so dass es wegen der brechenden Wellen sehr riskant war, an Land zu gehen. Ich musste genau hinhören, bevor ich mich dem Land näherte, aber zum Glück gibt es einen großen Unterschied zwischen dem Geräusch von Wellen, die auf Felsen treffen, und Wellen, die auf eine glattere Küste mit felsigem Strand treffen“, erinnert er sich.
„Es hat nicht immer geklappt. Manchmal bin ich hineingepaddelt und habe nachgesehen, musste dann aber wieder hinausfahren“, fügt er an.
Aber am Ende, nach fünf Tagen des Bangens, verschwand der Nebel.
„Es fühlte sich wie eine Wiedergeburt an, als ich aus dem Nebel kam. Der Himmel war blau, das Meer war ruhig und alles fühlte sich leicht an“, sagt er.
Einfachheit bedeutet Sicherheit
Die Nordwestpassage hat eine lange Geschichte, in der sie die Willenskraft von Entdeckern auf die Probe stellte, manchmal auf erschreckend tödliche Weise. In den letzten Jahren haben immer mehr Schiffe die berüchtigte Passage durchquert. Aber noch hat es niemand geschafft, die gesamte Länge der Passage auf einem Stand-up-Paddle-Board zurückzulegen.
Warum also hat Karl Krüger, abgesehen davon, dass er der Erste sein wollte, dieses besondere Transportmittel gewählt? Die Antwort lässt sich in einem einzigen Wort zusammenfassen: Einfachheit.
Doch Karl Krüger hat auch eine längere Erklärung.
„Ich wollte zeigen, dass man mit sehr wenig Ausrüstung viel erreichen kann, und das SUP erfordert, dass man mit sehr wenigen Dingen reist“, erklärt er.
„Aber es geht auch um die Sicherheit. Wenn man ins Wasser fällt, muss man einfach wieder raufklettern: Es ist einfach. Das wäre in einem Kajak, Kanu oder einem größeren Boot nicht so. Und das macht die ganze Reise auch angenehmer, da ich mir nicht so viele Sorgen machen muss, dass etwas schief geht“, berichtet er.
Außerdem ist das SUP außerordentlich schnell, wie er betont. So schnell, dass Karl Krüger 2017 bei einem Rennen gegen Segelboote, dem sogenannten Race to Alaska, das an der Westküste von British Columbia, Kanada, stattfindet, eine gute Platzierung erreichte. Er belegte Platz 17 von 60 Teilnehmern und war mit Abstand das bestplatzierte nicht-motorisierte Schiff.
Dies war seine erste lange Reise auf einem Standup-Paddle-Board und eine Inspiration für die Reise durch die Nordwestpassage.
Auf der Suche nach Einsamkeit
Was Karl Krüger während des Race to Alaska zu spüren bekam und was er später in vollem Umfang erlebte, war eine immense Befriedigung, die er in der völligen Einsamkeit fand.
Wenn er über seine Erfahrungen in der Arktis spricht, scheinen die konkreten Begegnungen mit wilden Tieren und der arktischen Wildnis weniger wichtig zu sein als die philosophischen Offenbarungen, die er dort hatte.
In einer Diashow, mit der Karl Krüger über seine Reise spricht, hat er ein Zitat der amerikanischen Schriftstellerin und Psychologin Clarissa Pinkola Estés eingefügt; ein Zitat, das seiner Meinung nach auf den Punkt bringt, was er gelernt hat. Das Zitat lautet:
„Die Türen zur Welt des wilden Selbst sind wenige, aber kostbar. Wenn man eine tiefe Narbe hat, ist das eine Tür. Wenn man eine alte, alte Geschichte hat, ist das eine Tür. Wenn man den Himmel und das Wasser so sehr liebt, dass man es fast nicht ertragen kann, ist das eine Tür. Wenn man sich nach einem tieferen Leben sehnt, einem erfüllten Leben, einem gesunden Leben, ist das eine Tür. “ – Clarissa Pinkola Estés
Das Zitat spricht nach Meinung von Karl Krüger die Essenz des Lebens in der Wildnis an.
„Im Grunde genommen war mein Antrieb für solche Aktionen immer die persönliche Weiterentwicklung. Je größer das Projekt, desto mehr muss ich tun, um es zu verwirklichen, desto größer werden am Ende die Ergebnisse sein. Ich werde ein anderer Mensch.“
„Dieses Projekt hat meine Einstellung zur Welt und den Menschen darin völlig neu geprägt“, betont er.
Und wenn alles nach Plan läuft, sollte Karl Krüger zurückkehren, um seine Reise in den nächsten beiden Sommern zu beenden. Er wird nicht nur einen Rekord aufstellen, sondern auch noch mehr über die menschliche Einsamkeit lernen.
Denn dieses Wort, Einsamkeit, ist das, was jetzt die Essenz des Unterfangens ist.
„Es ist die reinste Form der Einsamkeit, die ich je erlebt habe. Manchmal sehe ich zwei Wochen lang kein einziges Zeichen von Menschen. Es gibt nur mich und die Brise, die Tierwelt, das Wetter und das Wasser. Es ist einfach wunderschön“, sagt er abschliessend.
Ole Ellekrog, Polar Journal AG
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