Antarctica – Weisse Riesen I | Polarjournal
Erstbesteigung eines namenlosen Eisberges in Dronning Maud Land mit Blick auf das ostantarktische Südpolarplateau. (Foto: Christoph Höbenreich)

Es gibt Bergreisen, die sind anders als alle anderen. Es sind Reisen, die uns in eine andere Welt führen. Auf der Suche nach den abgelegensten Bergen unserer Erde kommt man irgendwann unweigerlich in die Antarktis.

Auch wenn Antarktika in letzter Zeit immer wie­der in das Interesse der Weltöffentlichkeit rückt, so liegen die schwer zugänglichen antarktischen Hochgebirge noch immer weit jenseits des Be­wusstseins der meisten Menschen. Selbst in geo­graphischer Fachliteratur über die Hochgebirge der Erde spielen jene der Antarktis bestenfalls eine Nebenrolle. Wer weiß daher von den eisge­panzerten Schönheiten der Antarktischen Halbin­sel? Den hohen Viertausendern am Dach des Kon­tinents in Ellsworth Land? Den bizarren Felstür­men in Dronning Maud Land? Den im Eis schlum­mernden Vulkanriesen in Marie Byrd Land? Den sturmumtosten Gipfeln der subpolaren Inseln? Oder der Gebirgskette quer durch den Kontinent, die sogar länger ist als der Himalaya?

Nur an wenigen Stellen durchbrechen Berge die Eispanzer Antarktikas oder erheben sich frei­stehend über dem Eisschild. Die meisten Berge sind unter dem bis zu vier Kilometer dicken In­landeis verborgen.

Die spektakulärsten Berge der Antarktis liegen in Dronning Maud Land. Sie wurden 1939 durch die deutsche Antarktis-Expedition entdeckt und benannt, so wie die Drygalski-Berge. (Foto: Christoph Höbenreich)

Die antarktische Hochgebirgswildnis ist von unvergleichlicher, ja beinahe außerirdisch anmu­tender Schönheit. Ihr Landschaftsbild ist, wenn überhaupt, mit den obersten und wohl schönsten Stockwerken der Alpen – oder auch der Himalayaberge – im Winter zu vergleichen. Aber natürlich gibt es auch ganz wesentliche Unterschiede durch das Polarklima und die hohe geographische Brei­tenlage. So braucht man sich beispielsweise im Südsommer wegen der Mitternachtssonne in der Antarktis keine Gedanken zu machen, von der Dunkelheit „überrascht“ zu werden. Man kann rund um die Uhr nach Herzenslust unterwegs sein. Und das, durch die tief stehende Sonne, bei oft schönstem Nachmittagslicht. Meist ist es zwar klirrend kalt. Die Kälte ist aber durch die extrem trockene Luft relativ gut verträglich. Dabei sind Einsamkeit, Abgeschiedenheit und Unberührtheit der antarktischen Hochgebirge ohne Wegweiser, Bergwege und Schutzhütten ohnehin einzigartig. Unzählige unbestiegene Berge bieten viel Neu­land für entdeckungsfreudige Alpinisten, von ein­fachen Schneeflanken über steile Eiscouloirs, kombinierte Wände und wild verwechtete Grate bis zu senkrechten Granitpfeilern.

Der Gebirgszug durchquert zwischen der Westküste des Ross- und der Ostküste des Weddellmeers den gesamten Kontinent Antarktika, daher auch der Name. 

Transantarktisches Gebirge

Das 100 bis 300 Kilometer breite Transantarkti­sche Gebirge erstreckt sich von Victoria Land am Geographischen Südpol vorbei bis Coatsland. Es teilt den Kontinent in die Ost- und Westantarktis und ist mit einer Länge von etwa 3500 Kilometern der fünftlängste Gebirgszug der Erde. Die Gipfel des Gebirges erreichen Höhen deutlich über vier­tausend Meter. Der Höchste ist der 4528 Meter hohe Mt. Kirkpatrick in der Queen Alexandra Ran­ge. In diesem schwer zugänglichen südlichsten Teil des Gebirges liegt der Mt. Elizabeth (4480 m), der höchste noch unbestiegene Berg des Konti­nents. Aber auch in den weiter nördlich liegenden Gebirgsteilen harren noch unzählige große Gipfel ihrer Erstbesteigung, etwa Mt. Ajax (3770 m), Mt. Sabine (3719 m) oder der Mt. Royalist (3640 m) in den Admirality Mountains. Vom Südpolarplateau fließen riesige Auslassgletscher durch das Transantarktische Gebirge und speisen das Ross-Eis­schelf. Beim berühmten „Wettlauf zum Südpol“ im Jahr 1911 folgte der Brite Robert F. Scott dem 160 Kilometer langen und 30 Kilometer breiten Beard­more-Gletscher, während der siegreiche Norwe­ger Roald Amundsen einen Weg über den kürze­ren, aber steileren Axel-Heiberg-Gletscher durch das Transantarktische Gebirge fand. Ein besonde­res und wüstenhaftes Phänomen dieses Gebirges stellen die praktisch niederschlagsfreien Dry Val­leys dar, in denen sich die NASA auf Marsmissio­nen vorbereitet.

Ein Auslaufgletscher ergießt sich ins Taylor-Valley, einem der Dry-Valleys im Transantarktischen Gebirge. (Foto: Michael Martin)

Antarktische Halbinsel

Die unmittelbar aus dem Meer und teilweise bis über zweieinhalbtausend Meter hoch aufragen­den, stark vereisten Gebirge der Antarktischen Halbinsel ziehen seetüchtige Alpinisten, Schitou­rengeher und Freerider an. Die Antarktische Halb­insel und ihre Inseln, wie Brabant, Anvers oder Adelaide Island, sind zwar mit Yachten von der Südspitze Südamerikas aus relativ leicht erreich­bar – allerdings muss davor die berüchtigte Dra­ke-Passage mit den sturmgepeitschten Breiten der „Howling Fifties“ und der „Screaming Sixties“ durchquert werden. Und gerade das stellt die größte Hürde für eine Bergexpedition auf die Antarktische Halbinsel dar. Orkanartige Stürme und Wellengang bis zehn Meter Höhe sind hier keine Seltenheit. Die Anreise zu Bergen mit so klingen­den Namen wie Mt. Parry (2520 m), Mt. Shackleton (1465 m), Mt. Scott (880 m), Mt. Demaria (635 m) oder Jabet Peak (545 m), muss daher von vielen mit satter Seekrankheit erkämpft werden. Man darf sich übrigens durch die vergleichsweise nied­rigen Höhen der Bergspitzen nicht täuschen las­sen. Das hochalpine Antlitz der Berge ähnelt dem der Alpenberge oberhalb der Firngrenze, die in der Antarktis aber eben nicht erst auf 3000 Me­tern, sondern auf oder knapp über dem Meeresni­veau beginnt: Es ist, als schlüge die Meeresbran­dung direkt an den Fuß einer Droites-Nordwand, eines Brenvasporns oder eines Walkerpfeilers.

Blick vom sturmumtosten Gipfel des Mt. Scott hinunter auf Booth Island (links) und Mt. Cloos (rechts) des schmalen Lemaire Kanals an der Antarktischen Halbinsel. (Foto: Christoph Höbenreich)

Die stark vereisten Küstengebirge mit ihren schroffen Wänden, wild zerklüfteten und sich ins Meer ergießenden Gletschern, treibenden Eisber­gen, Walen, Robben und Pinguinen machen die Antarktische Halbinsel zu einem maritim-polaren Hochgebirgs-Naturparadies von unvergleichli­cher Schönheit. Ihre starke Vergletscherung ist Zeichen des oft stürmischen Wetters und der nie­derschlagsreichen Westwindzone, in die die Halb­insel hineinragt. An die schweren Felsrouten wag­ten sich hier bislang nur wenige Kletterer wie Ste­fan Glowacz, dem 1999 an den doppelgipfeligen Renard Towers (747 m, seit 2008 auch Una Peaks genannt) eine Tour im neunten Grad gelang, die er – nomen est omen – „Hart am Wind“ taufte.

Reißfeste Gewebe sind von Vorteil, wie im Zeltlager mit Schutzmauer aus Schneeziegeln in den Filchnerbergen. (Foto: Christoph Höbenreich)

Ellsworth Mountains

Die höchsten Erhebungen des Kontinents liegen in der Sentinel Range, die zusammen mit der niedri­geren, aber weitläufigeren Heritage Range die Ells­worth Mountains bildet. Das Gebirge ist nach dem US-Pilot Lincoln Ellsworth benannt, der auf einem Polarflug 1935 „eine sehr hohe, wolkenumhangene Gebirgskette“ sichtete. Das eigentliche Vinson- Massiv wurde aber erst während eines Erkun­dungsfluges der US Navy 1957 entdeckt und als höchster Gebirgstock identifziert. Hier liegen mit dem Mt. Vinson (4892 m) als höchstem Gipfel sowie Mt. Tyree (4852 m), Mt. Shinn (4660 m), Mt. Gardner (4573 m) und Mt. Epperly (4508 m) die höchsten Berge Antarktikas. Was ihre Erscheinungsform und auch ihrer relative Höhe angeht, brauchen sie ei­nen Vergleich mit Himalayariesen sicher nicht zu scheuen, denn sie ragen deutlich über 3000 Meter aus den sie umgebenden Eismassen auf.

Es bedarf guter Vorbereitung, sich mitten im Nirgendwo und weit weg von jeglicher Zivilisation an völlig einsamen Bergen vom Format eines Mont- Blanc absetzen zu lassen. Und das vor allem auch hinsichtlich der physiologischen Höhe. Denn durch die Ausdünnung der Atmosphäre zu den Polen hin ist der Sauerstoffpartialdruck hier ähnlich wie an ei­nem hohen Fünftausender der niederen geogra­phischen Breiten. Die Viertausender der Antarktis erfordern daher eine gute Akklimatisation. Wäh­rend die großen Gipfel der Ellsworth Mountains be­reits bestiegen sind, gibt es noch zahlreiche unbe­stiegene Dreitausender und vor allem noch große Wände und Grate, die auf eine Besteigung warten.

Exotisches Bergsteigen im wüstenhaften Holtedahlgebirge Neuschwabenlands. (Foto: Christoph Höbenreich)

Dronning Maud Land – Neuschwabenland

Die wohl spektakulärsten Berge des Kontinents sind in Dronning Maud Land und seiner Teilregion Neuschwabenland zu finden. Hier durchstoßen imposante Felstürme die Abdachung des ostant­arktischen Eisplateaus und erheben sich mit ihrem rötlichen, teilweise bizarr verwitterten Gestein senkrecht aus den weißen Ebenen. Nicht so hoch wie die Ellsworth Mountains und nicht so versteckt wie die Berge des Transantarktischen Gebirges, sind die Filchner-, Drygalski-, Holtedahl- oder Hum­boldtberge wahre Traumziele – nicht nur für Klet­terer und Alpinisten, sondern auch für Fotografen.

Kaum eine Region Antarktikas beflügelt die Träume und Phantasien mehr als Neuschwaben­land, das während der Deutschen Antarktischen Expedition 1938/39 entdeckt und mit den vom Mutterschiff „Schwabenland“ katapultierten Dor­nier-Waal-Flugzeugen aus der Luft erkundet wur­de. So findet man in den topographischen Karten heute hunderte deutschsprachige Bergnamen wie das Matterhorn, den Zuckerhut oder den Ku­bus neben ebenfalls treffenden, zum Teil an die norwegische Mythologie erinnernden Namen wie Ulvetanna („Wolfszahn“, 2931 m), Holtanna („Hohl­zahn“, 2650 m) und Kintanna („Backenzahn“, 2724 m) im Fenriskjeften-Gebirge („Gebiss des Fenriswolfs“) oder Rakekniven („Rasiermesser“, 2365 m) im Massiv des Trollslottet („Trollen­schloss“, 2737 m). Die Jøkulkyrkia („Gletscherkir­che“, 3148 m) ist der höchste Gipfel Dronning Maud Lands. Da das Gebiet von Norwegen territo­rial beansprucht wird, gilt dieser Berg manchen Norwegern gar als höchster Berg ihres Landes. Wie alle anderen Territorialansprüche in der Ant­arktis liegt aber auch jener Norwegens durch den Antarktis-Vertrag von 1959 wortwörtlich auf Eis.

Erster Basejump in der Antarktis durch Sam Beaugey, Sébastien Collomb-Gros und Géraldine Fastnacht am 13. Dezember 2009 am Holstind. (Foto: Sam Beaugey)

Erst eine Handvoll Gipfel wurde hier bislang bestiegen. An den senkrechten Felsmonolithen gelangen aber auch die schwersten Klettertouren des Kontinents – durch Kletterstars wie Robert Caspersen, Ivar Tollefsen, Conrad Anker, Alex Lowe, Ralf Dujmovits, Mike Libecky, Thomas und Alex Huber, Alexander Gamme, Andy Kirkpatrick, Leo Houlding oder Alex Honnold, um nur einige zu nennen. Sam Beaugey, Sébastien Collomb-Gros und Géraldine Fastnacht gelang am 13. Dezember 2009 am Holstind sogar der erste Basejump in Ant­arktika. Valery Rozov sprang 2010 vom Ulvetanna, Kjersti Eide und Espen Fadnes 2014 von einem na­menlosen Berg im Holtedahlfjella.

Autor: Christoph Höbenreich

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