Neuschwabenland – Kaum bekannte Bergwelt in der Ostantarktis | Polarjournal
Die bizarre Bergwelt Neuschwabenlands wurde von der Deutschen Antarktischen Expedition 1938/39 entdeckt und benannt wie die Wohlthat-, Humboldt-, Conrad-, Drygalski- oder Filchnerberge. Bild: Christoph Höbenreich 2023

Es existieren immer noch viele Ecken auf der Erde, die noch nie oder kaum von jemandem besucht worden sind. Eine solche Region liegt in der Ostantarktis und trägt den ungewöhnlichen Namen Neuschwabenland.

Neuschwabenland, eine sehr abgelegene und abseits des Bewusstseins der meisten Menschen und Abenteurer liegende Bergwelt in der Ostantarktis, scheint ausserirdisch. «Näher kann man der Erkundung eines anderen Planeten nicht kommen», sagt Dr. Christoph Höbenreich, ein international anerkannter Berg- und Polarführer, Abenteurer und Partner von Ultima Antarctic Expeditions. Im Januar 2023 führte er eine Zwei-Mann-Expedition in diese kaum besuchte Bergregion unterstützt von Ultima Antarctic Expeditions, die früher als The Antarctic Company TAC bekannt war. Er beschreibt die Berge von Neuschwabenland als «die aufregendste und bizarrste Berglandschaft auf diesem Planeten.» Der mit 15 durchgeführten Antarktiseinsätzen als Polarveteran geltende Experte stand Polarjournal für ein Interview über diese aussergewöhnliche Erkundung zur Verfügung.

Vorstoss in alpines Neuland im Alexander von Humboldt Gebirge. Bild: Christoph Höbenreich 2023

Frage: Kannst Du das Erlebnis, in der Eiswildnis ganz auf sich gestellt zu sein, beschreiben?

Christoph Höbenreich: Es ist ein ganz besonderes Gefühl, in einer der entlegensten und unzugänglichsten Regionen unseres Planeten abgesetzt zu werden. Für manche kann es bedrückend wirken. Für andere, wie mich, ist es befreiend. Fernab von allen Einflüssen und dem Ballast der Zivilisation werden die Sinne wach, geschärft, intensiviert. Man wird sich einfach bewusst, wie verletzlich man ist. Es ist eine höchst lohnende Erfahrung, in eine Welt zu reisen und dort unterwegs zu sein, die einem nicht mehr bietet als die Luft zum Atmen.

Was war denn die Hauptaufgabe der Expedition?

Das Ziel meiner fünften Expedition nach Neuschwabenland mit Ultima Antarctic Expeditions war es, die Berge und Gletscher der westlichen Wohlthat-Berge während drei Wochen auf Ski und zu Fuss aus eigener Kraft zu erkunden. Dabei sollten eine neue Route durch die Humboldt und die Petermann-Berge ausgekundschaftet und einige Berge erstbestiegen werden.

Hattest Du das Gebiet zuvor schon besucht?

Bisher waren nur zwei Bergsteiger- und Skiexpeditionen in dieser Region. Auf dem Weg zum bekannten Drygalski-Berg bin ich zuvor über das Wohlthat-Gebirge geflogen – und 2017 habe ich mit Unterstützung von Ultima Antarctic Expeditions meine erste Erkundungsexpedition durchgeführt.

Unbekanntes Traumland Neuschwabenland. Bild: Christoph Höbenreich, 2023

Was hat Dich am meisten an diesem Gebiet interessiert?

Mich treibt die Neugierde an, neue oder nur selten besuchte antarktische Berge zu erkunden, die weit abseits der bekannten Routen liegen, auf denen die meisten Alpinisten in der Antarktis normalerweise unterwegs sind, wie am Mount Vinson in der Westantarktis. Neuschwabenland ist ein echtes Entdeckerland. Ich bin auch sehr an der Polarentdeckungsgeschichte interessiert. Die Berge von Neuschwabenland wurden von einer herausragenden aber wegen der zeitgeschichtlichen Umstände beinahe in Vergessenheit geratenen historischen Expedition entdeckt, nämlich der Deutschen Antarktis-Expedition 1938/39, die die Berge aus der Luft mit von ihrem Expeditionsschiff aus katapultierten Dornier-Waal-Flugbooten entdeckte, fotografierte und benannte.

Was macht denn dieses Gebiet so anders als andere antarktische Regionen?

Das Wohlthat-Gebirge, eine Bergregion im Neuschwabenland, ist Teil von Dronning Maud Land und wird seit vielen Jahren von verschiedenen Nationen hauptsächlich für wissenschaftliche Zwecke besucht. Unter Berg- und Skiabenteurern ist es jedoch noch sehr unbekannt. Neuschwabenland ist ein Traumland. Für mich sind die Berge Neuschwabenlands die aufregendste und bizarrste Gebirgslandschaft auf diesem Planeten. Hier ragen atemberaubende Felstürme aus dem Inlandeis teilweise hunderte Meter senkrecht in den Himmel empor. Diese Berge sind selbst in der Antarktis absolut einzigartig.

Wie sah Deine Expedition in Zahlen aus, also Anzahl Tage, Distanz, Steigung, Temperaturen und solche Informationen?

Wir waren drei Wochen auf Ski unterwegs. Unsere Route war eine 100 Kilometer-Runde und zusätzlich stiegen wir nochmals ca. 50 Kilometer auf die Berge. Wir haben fünf Gipfel an höheren Bergen wie auch kleineren Nunataks (aus dem Eis ragende Bergspitzen) erstbestiegen. Die Temperaturen am Ende des antarktischen Sommers lagen zwischen relativ angenehmen -15 °C und klirrenden -25°C.

Eine massive Schneemauer schützt das Zelt vor einem katabatischen Polarsturm mit über 100 km/h. Bild: Christoph Höbenreich 2023

Welcher Vorbereitungen bedarf eine autarke Expedition in die Antarktis?

Eine Expedition in das Innere der Antarktis ist immer eine grosse Herausforderung. Erst recht, wenn man die bekannten Routen mit nur einem Zwei-Personen-Team verlässt. Es braucht viel Erfahrung und eine perfekte Ausrüstung. Da dies meine 15. Antarktis-Expedition als UIAGM-Bergführer (Internationale Vereinigung der Bergführer, Anm. d. Red.) und IPGA-Expeditionspolarführer (Internationale Polarguide-Vereinigung, Anm. d. Red.) war, wusste ich, was uns erwartet und wie ich mich und meinen Expeditionsteilnehmer vorbereiten muss. Wir nahmen das beste Polarzelt (ein Hilleberg) und die gesamte Ausrüstung mit, die wir zum Überleben, Skilaufen und Bergsteigen benötigten, bei der das Gewicht eine wesentliche Rolle spielt. Und das Wichtigste: Wir mussten uns auf uns selbst verlassen, denn man kann nicht immer und überall mit Hilfe rechnen. In der Ostantarktis und insbesondere in ihren Gebirgen ist man sehr ausgesetzt.

Antarktische Gipfelfreude. Bild: Christop Höbenreich 2023

Was waren Deine Höhepunkte?

Eigentlich bot fast jeder Tag ein Highlight und Überraschungen. Aber wenn ich mein persönlich herausragendstes Highlight aussuchen müsste: Die Erstbesteigung von zwei Gipfeln eines Hochgebirgsmassivs im zentralen Humboldtgebirge, die ich „Nanukspitze“ und „Denalispitze“ nannte, über ein steiles Couloir (eine langgezogene Eisrinne, Anm. d. Red.). Ich war ganz allein unterwegs, da mein Partner am Einstieg in die 1000 Meter hohe Steilrinne beschlossen hatte, umzukehren. Der Blick über die gesamte Bergkette und weit auf das Südpolarplateau über mehr als 100 Kilometer war einfach unglaublich. Ich glaube, so fühlt es sich an, einen anderen Planeten zu erkunden.

Was waren die Herausforderungen für Dich?

Es gibt zahlreiche Gefahren, vor denen man sich in Acht nehmen muss: Versteckte Gletscherspalten, Erfrierungen, Schneeblindheit, zerstörerische katabatische Winde oder Feuer im Zelt. Wenn man aber gut vorbereitet, erfahren und vorsichtig ist, kann man alle Herausforderungen meistern, die die eisige Welt einem entgegenwirft. Selbstverständlich können auch die sozialen Interaktionen mit dem Expeditionspartner oder Kunden ebenfalls eine Herausforderung darstellen. Doch mit Rupert hatte ich Glück und wir hatten sehr viel Spass zusammen und hatten viel zu reden und zu lachen. Die grösste Herausforderung war aber wohl stets die richtige Entscheidung, welchen der zahlreichen wunderschönen, namenlosen Berge wir besteigen wollten – es gibt einfach so viele dort.

War Deine Expedition sicher? Hast Du einige Details zum Thema Sicherheit?

Nein, eine Antarktis-Expedition ist niemals „sicher“. Wenn man Sicherheit will, muss man zu Hause im Bett bleiben. Aber mit Erfahrung und perfekter Ausrüstung kann man die Gefahren und Risiken auf ein sehr niedriges Mass und ein leicht akzeptables Minimum reduzieren. Doch das Leben in den Bergen ist nie „sicher“ – vor allem, wenn man den Schritt ins Unbekannte wagt. Aber nur wer seine Komfortzone verlässt, kann an seine Grenzen gehen und neue, intensive Erfahrungen sammeln. Und das ist, wo der Zauber geschieht!

Was fasziniert Dich in Sachen Wissenschaft am meisten an Antarktika?

Ich war fasziniert zu sehen, was sich in den Bergen Antarktikas in den letzten Jahrzehnten verändert hat und was nicht. Ein sichtbares Zeichen des jüngsten Klimawandels und des Anstiegs der globalen Temperaturen in den letzten Jahrzehnten ist der teilweise dramatische Rückgang der Schnee- und Eisdecke in Teilen der Polarregionen, vor allem in der Arktis. Die einzigen Ausnahmen sind wahrscheinlich die hochpolaren, trockenen Zonen des antarktischen Kontinents – und insbesondere das innere Hochplateau der Ostantarktis. Jüngste lokale Hinweise deuten jedoch auf einen Rückgang der Vergletscherung und der Schneedecke entlang der ostantarktischen Küstenzone hin. Ich habe mich aber gefragt, ob auch die Übergangszone zwischen den tieferliegenden Küstenregionen und dem polaren Hochplateau betroffen ist?

Nicht nur die Bergwelt, auch die die subglaziale Welt Neuschwabenlands ist noch kaum erforscht. Bild: Christoph Höbenreich 2023

Bergketten, die in der Abdachung des antarktischen Hochplateaus anzutreffen sind, wie die Gebirgszüge Neuschwabenlands, bieten eine gute Gelegenheit, diese Frage durch den Vergleich mit den Luftbildern der Deutschen Antarktis-Expedition 1938/39 – mehr als acht Jahrzehnte später – zu untersuchen, insbesondere durch den Vergleich von Unterschieden in der Schnee- und Eisbedeckung. Die sind allerdings in hohem Masse von jahreszeitlichen und/oder wetterbedingten Einflüssen abhängig.

Bei der Suche nach Unterschieden im Grad der Vergletscherung und der Schneedecke während der letzten acht Jahrzehnte konnte ich jedoch erfreulicherweise KEINE markanten Veränderungen feststellen. Diese Ergebnisse gelten sowohl für die Auslassgletscher als auch für die alpinen Gletscher und die Ausdehnung der Schneefelder in Höhenlagen zwischen 1500 und 2500 Metern über dem Meeresspiegel.

Aufgrund des vorherrschenden hochpolaren, trockenen Klimas ist vielmehr mit einer Zunahme der Schneefälle durch klimabedingte Temperaturerhöhungen zu rechnen, was durch einzelne Indizien im südlichen Teil des Gebirges unterstützt wird. Daher wir müssen noch nicht befürchten, dass die Berge und die alpinen Gletscher von Neuschwabenland ihren Zauber und ihre Schönheit so schnell verlieren werden, wie dies bei den Gletschern in vielen anderen Teilen der Erde geschieht.

Der Tiroler Polarbergführer Christoph Höbenreich plant bereits eine neue Explorationsreise nach Neuschwabenland und die Erstbesteigung weiterer Gipfel. Bild: Ruppert Heim

Welche Expeditionen planst Du, in der Zukunft noch durchzuführen?

Ich wurde vor 30 Jahren bei meiner ersten Expedition vom Polarfieber gepackt und träume weiter davon, meine Erfahrung und mein gesamtes Wissen dafür zu verwenden, neue, unbekannte Berge zu erkunden. Ich habe immer noch viele Träume und Ideen und ich freue mich darauf, diese mit gleichgesinnten Polarreisenden umzusetzen, die die dieselbe Leidenschaft und Enthusiasmus für abgelegene und unbekannte Orte teilen. Lasst uns niemals aufhören, den antarktischen Traum gemeinsam zu verfolgen und zu leben!

Das Interview führte Murray Williams in einer Zusammenarbeit mit PolarJournal; Übersetzung: Dr. Michael Wenger, PolarJournal

Dr. Christoph Höbenreich, der erfahrene Entdecker, UIAGM-zertifizierte Bergführer und IPGA-Polarführer plant zusammen mit Ultima Antarctic Expeditions weitere Abenteuerexpeditionen in Antarktika. Entdeckungswillige, die mehr darüber erfahren wollen, können entweder via E-Mail an connect(a)ultima-antarcticexpeditions.com oder direkt mit Dr. Christoph Höbenreich per E-Mail an christop.hoebenreich(a)aon.at in Kontakt treten.

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