Nicht ob, sondern wann – Eisbärenschwund bis in 80 Jahren | Polarjournal
Das Eis für Eisbären wird immer dünner und ihr Verschwinden aus Weiten Teile der Arktis ist nicht mehr eine Frage des „Ob“, sondern des „Wann“gemäss einer jetzt veröffentlichten Studie. Bild: KT Miller

Schnelle Treibhausgasreduktionen könnten das langfristige Überleben von Eisbären sichern. Ohne sie werden allerdings einige arktische Regionen bereits 2080 keine Eisbären mehr haben – und bis 2100 könnten die weißen Riesen bis auf einige wenige Gruppen aus fast allen Regionen der Arktis verschwunden sein

In einer gerade in der Publikation Nature Climate Change erschienenen Studie hat ein internationales Wissenschaftlerteam mit der Organisation Polar Bears International (PBI) errechnet, wann der Verlust von Meereis durch die globale Erwärmung zum Untergang der Eisbärpopulationen in unterschiedlichen arktischen Regionen führen wird.

Es ist schon lange bekannt, dass diese Entwicklung zum Verlust von Eisbären führen wird und das dies zum Teil schon geschieht. Die pelzigen Riesen brauchen das Meereis, da sie dort ihre Hauptnahrungsquelle, Robben, jagen. Sie fressen den Speck ihrer Lieblingsbeute, um mit diesem Fettgehalt den harschen arktischen Winter zu überstehen.

Eisbären werden oft als Symbole der Bedrohung durch die menschgemachte globale Erwärmung gesehen. Bis jetzt gab es aber zu wenig Daten, um auszurechnen, wie viel Zeit uns noch bleibt, um sie vor dem Aussterben zu bewahren.

Eisbären-Mütter müssen mit ihren Jungen im Frühling schnell aufs feste Meereis, da die kleinen noch nicht weit schwimmen können und dort das Nahrungsangebot grösser ist als an Land. Doch wohin sollen sie, wenn kein Eis mehr da ist? Bild: KT Miller / Polar Bears International

“Vorher wussten wir, dass sie verschwinden würden, wenn wir den Anstieg der Treibhausgase nicht anhalten”, erklärte Dr. Steven Armstrup in einem Statement. Der Biologe der University of Wyoming, Department of Zoology and Physiology ist auch wissenschaftlicher Leiter der Eisbärenschutzorganisation PBI und einer der Autoren der Studie. „Aber Erkenntnisse über den Zeitpunkt, wann sie in unterschiedlichen Regionen zu verschwinden anfangen, ist unerlässlich für Eisbärenmanagement und –politik – und um uns zum Handeln anzuregen“.

Die Wissenschaftler nutzten Daten über Eisbären, die an Land fasteten, um festzustellen, wieviele Tage die Tiere ohne Meereis auskommen können, bevor die Reproduktion und das Überleben darunter leiden.

An vielen Orten sind bereits die Möglichkeiten, frühzeitig auf das Eis zu gelangen, massiv zurückgegangen. Daher bleibt Eisbären nur das Land. Und dort treffen sie vermehrt auf Menschen, die sie u.a. jagen. Bild: KT Miller / Polar Bears International

 “Indem wir schätzten, wie dünn und wie dick Eisbären sein können und ihren Kalorienverbrauch modellierten, konnten wir ausrechnen, wieviele Tage sie fasten können, bevor sich das auf die Überlebensraten von jungen beziehungsweise erwachsenen Tieren auswirkt“, erklärt Dr. Peter Molnar von der  University of Toronto Scarborough, einer der Leitautoren der Studie. Er entwickelte das Energieverbrauchmodel für die Studie.

Das Team kombinierte diese Schätzungen mit Projektionen aus Klimamodellen über die Anzahl der eisfreien Tage, die den Eisbären in unterschiedlichen Regionen der Arktis bevorstehen.

Sie nutzten zwei unterschiedliche Emissionsszenarien für die Berechnungen des Meereises. Das erste geht von „business as usual“ aus, also ohne Klimaschutzmaßnahmen wie eine Reduzierung des Verbrauchs von fossilen Brennstoffen. Das zweite rechnet mit moderaten Treibhausgaseinsparungen.

In beiden Fällen sind die Ergebnisse traurig.

“Kein Ort in der Arktis wurde verschont”.

Dr. Cecilia Bitz, Klimawissenschaftlerin und Meereisexpertin an der University of Washington, Seattle, ist die zweite Leitautorin der Studio. Sie gehört auch mit zu den Entwicklern des Community Earth Systems Model, das in der Studie benutzt wurde, um die Anzahl der eisfreien Tagen in den unterschiedlichen Regionen zu projizieren, wo die 19 Eisbärenpopulationen zuhause sind.

Ich rief sie an, um die Ergebnisse der Studie etwas detaillierter zu besprechen.

Dr. Cecilia Bitz ist eine der Hauptautorin der erschienenen Studie und für die Modellierung des Meereisschwunds verantwortlich. Bild: C. Bitz

 “Es ist ziemlich ernüchternd. Es gibt viele Regionen, von denen unsere Arbeit zeigt, dass die Eisbären bereits jetzt schon an Körpermasse verlieren. Es sind vor allem die Weibchen mit ihren Jungtieren, die betroffen sind. Die Mütter brauchen mehr Energie, während sie die Kleinen säugen. Sie sind am meisten gefährdet und in vielen Regionen bereits heute in Schwierigkeiten.“

Genau wie lange Eisbären in bestimmten Regionen überleben werden hängt davon ab, wie sich die Meereissituation entwickelt.

 “An jedem Ort der Arktis befindet sich das Meereis im Rückgang”, erzählte mir Bitz. „Wir haben Daten aus den letzten 40 Jahren und mehr. Kein Ort in der Arktis wurde verschont. Es ist fast das schlimmste Szenario, das es geben könnte. Das Eis schmilzt vom Rande aus. Die Eisbären leben am Rande. Dort ist das Meer nicht so tief. In Küstennähe sind mehr Nährstoffe vorhanden. In tieferem Wasser sinken sie nach untern (…) Das heißt, die Eisbären halten sich genau da auf, wo das Meereis zuerst zurückgeht.“

https://www.youtube.com/watch?v=gmrAiq_3uZM&feature=youtu.be
Das Video von Polar Bears International fasst die Ergebnisse der veröffentlichten Studie zusammen und zeichnet ein sehr düsteres Bild für die Zukunft der weissen Riesen. Video: Polar Bears International

„Business as usual“ – eine Katastrophe für die Eisbären

Das “business as usual” Emissionsszenario, das von dem Team verwendet wurde, würde bis zum Ende des Jahrhunderts zu einem Temperaturanstieg von 3.3 Grad Celsius im Vergleich mit dem vorindustriellen Zeitalter führen. Das ist weit über dem 1.5 bis 2 Grad-Ziel des Pariser Klimaabkommens, aber wir bewegen uns zurzeit in diese Richtung. Sollten wir weiter so agieren, laut Bitz und ihren Kollegen, würden bis auf einige wenige Gruppen die Eisbären bis 2100 verschwinden. In Hudson Bay in Kanada und im US-Bundesstaat Alaska, könnten sich die Eisbären bereits 2080 nicht mehr erfolgreich fortpflanzen. Danach käme die Population in der Davisstraße, westlich von Grönland.

Die Animation zeigt den Verlauf des Rückgangs der verschiedenen Eisbären-Populationen. Die 19 Populationen werden in Ökogruppen eingeteilt, die in den verschiedenen Regionen vorkommen. Wie schnell die Populationen zurückgehen, hängt von der Entwicklung der jeweiligen Bereiche des Arktischen Ozeans ab. Grafik: Molnar et al. (2020) Nat Clim Chang

Die errechneten Daten sind der Verfügbarkeit von täglichen Daten und Verbesserungen in der Computertechnik und Speicherkapazität zu verdanken, erklärt die Meereisexpertin. Dadurch konnten die Autoren der neuen Studie diese Zeitpunkte ausrechnen, die zeigen, dass es nur noch ein sehr kleines Zeitfenster gibt, um den Ausstoß an Treibhausgasen zu verringern und damit das Aussterben der Eisbären zu verhindern.

Füchse und Enten statt Robben?

Bitz wird oft gefragt, ob die Eisbären nicht einfach an Land bleiben können, und sich dort von Füchsen, Gänsen und Enten ernähren könnten:

„Eisbären können auf Land fressen – aber das ist sehr ineffektiv. Sie schaffen den Übergang schlecht und verhungern im Endeffekt“, antwortet sie dann. Robben, mit ihrer dicken Speckschicht, sind die perfekte Nahrungsquelle.

 Auch Robben brauchen Meereis, um ihre Jungen zur Welt zu bringen, erklärt Bitz. Dass passiert aber früher im Jahr. Die Jungtiere können bald schwimmen und damit im Sommer auch ohne Eis überleben.

Eisbären dagegen brauchen  Meereis im Sommer.

“Und das ist genau das Problem mit unserem Klima zurzeit. Gerade im Sommer verschwindet das Meereis am schnellsten“.

Und die eisfreie Zeit ist Fastenzeit für die pelzigen Arktisbewohner.

Eine Eisbärin wandert vor einer Gletscherwand auf Svalbard auf dem Meereis und sucht nach Beute. Bild: KT Miller / Polar Bears International

Moderate Treibhausgasverringerungen keine Garantie

Das zweite Szenario, die die Wissenschaftler für die Studie benutzten, geht von einer moderaten Reduzierung des CO2-Ausstosses aus. Die Temperatur würde sich um 2.4 Grad Celsius im Vergleich mit vorindustriellen Zeiten erhöhen. Damit könnten mehr Eisbärpopulationen überleben, fanden sie heraus. Das würde ihr langfristiges Überleben aber auch nicht garantieren, schreiben sie. Die Temperaturen würden in diesem Falle auch nach 2100 weiter steigen, und damit ein Niveau erreichen, dass die wärmsten Temperaturen in der Evolutionsgeschichte der Eisbären übertreffen.

Eisbärenwächter bei Barrow, Alaska. Vielleicht ein Job ohne Zukunft? Bild: I.Quaile

 “Wir dürfen unsere Arten nicht einfach auslöschen lassen”

Cecilia Bitz betont allerdings, dass es um die Eisbären noch nicht geschehen ist. Wir können ihr Überleben sichern – und das vieler anderen durch den Klimawandel bedrohter Arten – indem wir schnellere und drastischere Treibhausgasreduktionen vornehmen, als die, die für die Studie benutzt wurden.

Ich wollte wissen, ob sie da optimistisch ist:

„Ja, das bin ich. Weil ich die Alternative einfach nicht entgegensehen kann. Ich glaube, dass die meisten Menschen mir eher ähneln als nicht. Eines Tages werden wir einfach sagen, dass das nicht akzeptable ist. Wir können Menschen nicht sterben lassen – und wir können Arten nicht auf diese Weise auslöschen“.

“Die Menschen haben keine Lust, ihren Wohlstand zu reduzieren, um die Natur zu schützen.“

Dr. Cecilia Bitz, Universität Washington, Seattle

Sie zitiert Umfragen, die belegen, dass 70 Prozent der Amerikaner den Klimawandel wahr nehmen, darüber besorgt sind, und ihren Treibhausgasausstoß reduzieren würden, “wenn es nicht schmerzhaft wäre”. Aha. Darin liegt das Problem.

 “Die Menschen haben keine Lust, ihren Wohlstand zu reduzieren, um die Natur zu schützen. Aber wie wäre es, wenn wir nicht zwischen wirtschaftlichen Erfolg und einer intakten Umwelt wählen müssten? Wir müssen eine „Win-Win-Situation“ herstellen. “Also beides ermöglichen”.

Das erscheint zurzeit vielleicht nicht möglich, gibt sie zu bedenken. „Aber meiner Meinung nach ist es nur eine Frage der Zeit“.

Von der Coronakrise lernen?

Aber die Zeit läuft uns davon. Bitz gibt zu, dass es sehr schwierig wird, die globalen Emissionen bis 2030 oder 2040 dramatisch zu reduzieren.  Es sehe doch eher nach „business as usual” aus.

Ihre Hoffnung ist, dass die Welt aus der Coronakrise lernen kann:

„Alles ist möglich. Wir Menschen sind robust und kreativ. Ich glaube, dass COVID-19 eine interessante Herausforderung für uns ist. Wenn wir mit etwas ganz Schrecklichem konfrontiert sind, sind wir auch zu extremen Reaktionen bereit – wie zum Beispiel das Haus nicht zu verlassen. Wir könnten uns auch wegen des Klimawandels so verhalten, oder? Wir könnten sagen: Das ist ein Problem, mit dem wir nicht leben können. Also müssen wir etwas unternehmen“.

Ist es schon zu spät, das Steuer noch herumzureissen und den Ballon doch nicht fliegen zu lassen? Poster an einer Fridays for Future-Demonstration. Bild: I. Quaile

Warum sollten wir uns um Eisbären kümmern?

Ich fragte die engagierte Wissenschaftlerin, ob die Ergebnisse ihrer Studie nicht dazu führen könnten, dass Menschen aus einem Gefühl der Hilflosigkeit in ihrem Handeln gelähmt würden, vor allem angesichts des immer kleiner werdenden Zeitfensters.

„Wir müssen realistisch sein“, antwortet sie. „Wir verlieren Lebensraum für alle möglichen Spezies. Das müssen wir klar sehen. Das sollte keine Argumentation für Nichtstun sein. Im Gegenteil. Das soll ein Argument für sofortiges Handeln sein. Lasst uns retten, was wir retten können. Wenn wir uns anstrengen, können wir den Eisbären retten. Darin besteht kein Zweifel. Er wird bedroht sein, es wird weniger von ihnen geben. Aber wir können den Eisbären retten. Wir können Robben retten. Wir können das Meereis retten. Aber wir müssen hart daran arbeiten“.

Eisbären haben zwar seit zehntausenden von Jahren überlebt. Doch noch nie mussten sie derart schnelle Veränderungen durchmachen. Sie brauchen deswegen unsere Hilfe und Schutz. Bild: Steven Amstrup / Polar Bears International

Ob die pelzigen, weißen Riesen langfristig Teil unserer Zukunft sein werden, hängt davon ab, ob die Welt die Klimaerwärmung in Griff bekommen kann, die ihr eisiges Zuhause zerstört. Noch einmal spricht Cecila Bitz von einer Klimawende als „Win-Win-Situation“ – nicht nur für die Arktis:

„Das würde uns auch sauberere Luft bescheren; wir hätten Nahrungsmittelsicherheit für Menschen in den Polarregionen – aber auch in den Tropen, die auch zurzeit schwer betroffen sind. (…) Ich sehe so viele Vorteile darin. Meiner Meinung nach ist es nicht zu spät. Die Zeit ist jetzt gekommen – und der Aufruf zum Handeln”.

Eisbären seien ein Indikator für den Zustand unseres Planeten:

„Für mich stehen sie für eine Wildheit, die etwas rares und besonderes ist. Ich mag die Idee, dass unsere Erde noch so eine Spezies beherbergen kann; eine Spezies, die so außergewöhnlich ist, das sie, über das Meereis laufend, einen ganzen Winter lang überleben kann. Das ist erstaunlich. Ich möchte das in meiner Zukunft erhalten“.

Link zur Studie: Molnar et al (2020), Nat Clim Chang; Fasting season length sets temporal limits for global polar bear persistence; https://doi.org/10.1038/s41558-020-0818-9

Mehr zum Thema von Dr. Irene Quaile-Kersken

Zur Autorin:

Die mehrfach ausgezeichnete schottische Journalistin Irene Quaile-Kersken beschäftigt sich mit dem Klimawandel in den Polargebieten und den Auswirkungen auf den Rest der Erde. 2007 besuchte sie im Rahmen eines internationalen Radioprojekts die deutsche-französische Arktisforschungsstation auf Spitzbergen. Fasziniert vom weißen Norden, ließ sie das Thema Arktis und die Bedrohung des zerbrechlichen Ökosystems nicht mehr los. Während einer Reportagereise in Alaska 2008 entstand ihr Ice Blog, zunächst auf der Webseite der Deutschen Welle, heute als eigenständiges Projekt unter www.iceblog.org. Weitere Reisen führten die passionierte Naturliebhaberin immer wieder zurück in die Arktis, auch nach Island, Grönland und auf Forschungsschiffen durch das Nordpolarmeer.

Link zum Blog von Dr. Irene Quaile-Kersken:

Aktueller Blog: https://iceblog.org/

Ältere Blogs: http://blogs.dw.com/ice/

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