Tupilait | Polarjournal
Abb.3, Schneewurm, Pottwalzahn, Augenmaterial, H5 x B14 x L4.5 cm
Künstler unbekannt, Grönland

Die moderne und zeitgenössische Kunst Grönlands ist ausserhalb von Grönland und Dänemark wenig bekannt. Nur wenige Kunstschaffende konnten sich bisher international einen Namen machen. Der nach Kanada ausgewanderte Jonasie Faber ist einer von ihnen. Die Werke von drei grönländischen Künstlern sind noch bis Juli 2022 in der Sonderausstellung „Exposure – Native Art and Political Ecology“ im Museum of Contemporary Native Art in Santa Fe, Neu Mexiko, zu bewundern. Die Ausstellung wurde von der Direktorin des Kunstmuseums in Nuuk, der Hauptstadt Grönlands, mitkuratiert.

Doch so unbekannt uns die Kunst der grössten Insel der Welt sein mag – eine Kunstform hat es geschafft, eine internationale Sammlergemeinde zu begeistern: die Tupilakschnitzereien.

Ursprünglich waren Tupilait (singular: Tupilak) Schadensbringer. Meist von Schamanen erschaffen und zum Leben erweckt, waren sie ursprünglich aus organischem Material, das auch menschliche Überreste beinhalten konnte. Der Zweck ihrer Erschaffung war, einer bestimmten anderen Person Schaden oder sogar den Tod zu bringen. Auch für den „Hersteller“ war dies nicht ganz ungefährlich, der Tupilak konnte sich auch gegen ihn richten.

Abb.2, Tupilak, Pottwalzahn, Augenmaterial, H13 x B7 x D5cm
Künstler unbekannt, Grönland

Ursprünglich weit verbreitet, ging die Praxis des Schadenszaubers durch die Christianisierung stark zurück. Jedoch hielt sie sich im lange unzugänglichen Ostgrönland länger. Während das südliche und westliche Grönland schon im 18. Jahrhundert von Dänemark aus wieder besiedelt wurde (nachdem die erste Besiedlung durch Skandinavier im 15. Jahrhundert ein Ende gefunden hatte), blieb Ostgrönland noch bis zum Ende des 19. Jahrhunderts weitgehend isoliert. Ostgrönland wird deshalb häufig als „Heimat“ der Tupilait bezeichnet und viele der bekannten Schnitzer und Schnitzerfamilien stammen von dort.

Abb.4, Transformation, Holz, H6 x B5 x L11.5cm
Künstler unbekannt, Grönland

Die als Kunstobjekte hergestellten Tupilait sind im eigentlichen Sinn nur Abbilder von Tupilait, denn sie werden nicht mehr hergestellt, um Schaden zu bringen. Auch die Formen und das benutzte Material haben sich teils gewandelt. Vor allem Pottwal- und Orcazähne finden Verwendung – und bestimmen die maximale Grösse und Form der Figur, da Tupilait meist aus einem einzigen Stück hergestellt werden. Nur die Augen werden häufig eingesetzt, um sich farblich abzusetzen. Neben Walzähnen benutzen die Schnitzer Karibugeweih und Holz, seltener auch Stein und Moschusochsenhorn. Die Namen der Künstler sind von frühen Sammlern selten dokumentiert worden und die Werke selbst nicht signiert. Doch sind Stile und Themen manchmal so besonders, das Stücke Künstlern oder Familien oder zumindest einem Ort zugewiesen werden können. Von den mehr als 50 Tupilakfiguren in den Sammlungen des Museum Cerny ist für den grössten Teil kein Künstlername überliefert. Es gibt jedoch Ausnahmen, wie etwa eine aus Walzahn geschnitzte Figur von Anda Nuko aus Kap Dan, die vermutlich aus der Zeit um 1970 stammt und zu einer grösseren Schenkung an Skulpturen und Tupilakfiguren gehörte, die das Museum 2021 erreichte.

Abb.1, Tupilak, ca. 1970, Walzahn, Augenmaterial, H9.8 x B3.5 x T4cm
Anda Nuko, Kap Dan, Grönland

Daneben lassen sich verschiedene Typen klassifizieren. Ein Beispiel dafür ist die in Abbildung 2 gezeigt Figur, ebenfalls aus einem Walzahn gefertigt. Sie stellt eine Art Hilfsgeist eines Schamanen dar, einen Amotortoq. Manche Tupilakfiguren werden kriechend dargestellt, zum Beispiel der Schneewurm, dessen Gestalt teils menschliche und teils tierisch ist und dessen eine Körperhälfte skelettiert dargestellt wird. Abbildung 3 zeigt einen solchen Schneewurm aus Walzahn gefertigt. Transformationsdarstellungen sind ebenfalls häufig zu finden. Die aus Holz gefertigte Figur in Abbildung 4 hat einen Hunde- oder Bärenkörper und ein Menschengesicht. Zwar ist die Fachliteratur zum Thema spärlich, die Kunstwerke erfreuen sich jedoch ungebrochener Beliebtheit, auch bei uns in Europa. Die heute geltenden Artenschutzbestimmungen haben einen Wandel im Material zur Folge. Walzahn wird immer seltener verwendet und Geweih findet als Ersatz immer weitere Verbreitung. Die unterschiedlichen Qualitäten des Materials führen daneben zu Veränderungen in den Darstellungen. Sicher ist wohl, dass uns diese Kunstform erhalten bleibt. Ist sie doch flexibel genug, sich Veränderungen anzupassen. Und auch an Talent der Kunstschaffenden mangelt es nicht. Nicht zuletzt dank des Internets werden auch hier in Europa Werke aus Grönland immer bekannter.

Martin Schultz, Museum Cerny

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