Lärmexperiment mit Zwergwalen bei Lofoten läuft an | Polarjournal
Zwergwale, auch Minkwale genannt, werden bis zu zwölf Meter lang, bis zu zehn Tonnen schwer und bis zu 50 Jahren alt. Sie ernähren sich bevorzugt von kleinen Krebstieren, fressen aber auch kleinere Fische. Deswegen sind sie in Norwegen nicht beliebt und stark bejagt. Bild: Ursula Tscherter ORES

Seit Jahren steht Japan international in der Kritik aufgrund ihres «wissenschaftlichen» Walfangprogrammes. Dabei werden hunderte von Zwergwalen jedes Jahr in der Antarktis getötet, einige Proben entnommen und das Fleisch in Japan zum Verkauf angeboten. Auch europäische Nationen gehören zu den Kritikern der Walfangpolitik. Doch direkt vor der eigenen europäischen Haustür, in Norwegen, werden Zwergwale ebenfalls gejagt, bisher aber ohne wissenschaftlichen Hintergrund. Aber: Vor einiger Zeit gab die norwegische Regierung grünes Licht für ein international umstrittenes Experiment mit jungen Zwergwalen gegeben, das nun offiziell angelaufen ist.

Im Jahr 2019 hat die verantwortliche Behörde für Lebensmittelsicherheit (Mattilsynet) die Genehmigung für ein Projekt erteilt, Experimente an wild lebenden Zwergwalen durchzuführen. Die Tests sollten bereits im vergangenen Jahr stattfinden, mussten aber wegen Covid-19 verschoben werden. Im Rahmen dieser Versuche sollen Zwergwale zwischen Mai und Juni vor der Lofoteninsel Vestvågøy von einem norwegisch-amerikanischen Forscherteam gefangen werden, um zu untersuchen, wie ihre Gehirne auf Unterwasserlärm reagieren. Finanziell getragen wird das Projekt von der US Navy, dem Norwegischen Verteidigungsministerium und der Gas- und Ölindustrie. Dabei geht es in erster Linie um Lärm, der von Sonar und seismischen Untersuchungen ausgeht. Sonar (Sound und Navigation Ranging) wird sowohl von Militär- als auch von Fischerbooten verwendet. Indem Geräusch ins Wasser gesendet und das zurückkommende Echo ausgewertet wird, können U-Boote aber auch grosse Fischschwäre entdeckt werden. Die Frequenz und die Stärke der Schallwellen variieren dabei je nach Tiefe, Untergrundbeschaffung und Zielobjekt. Für seismische Untersuchungen werden Schallimpulse mit einer tiefen Frequenz von einer Schallkanone erzeugt. Ein Teil dieser Schallwellen wird durch die Erdoberfläche zurückgeschickt und ermöglicht so der Öl-Industrie auf der Suche nach den letzten Öl- und Gasreserven eine detaillierte 3D Darstellung des Meeresbodens.

Vor der Südküste der Lofoten soll das Experiment durchgeführt werden. Dabei sollen junge Zwergwale mit Netzen (rote Linien) in ein Gebiet zwischen den Inseln getrieben werden. Dort sollen sie in einen Pool (grau) getrieben werden, wo sie dann in einem umgebauten Lachskäfig (blau) für die Untersuchungen festgehalten werden. Vorab soll der Zustand der Tiere und ihre Fitness evaluiert werden. Danach werden sie mit Lärm beschallt und die Messungen vorgenommen. Karte: Google Earth / FFI

Konkret muss man sich vorstellen, dass versucht wird, wandernde junge Zwergwale mit einem kilometerlangen Netz in ein 280 Meter langes, 170 Meter breites und 27 Meter tiefes Gehege zu treiben, um sie danach in kleinen Käfigen festzuhalten für die Messungen. Dort möchten die Forscher die Gehirnströme der gefangenen Wale messen, um festzustellen, wie sie auf Geräuschquellen von Aktivitäten der Öl- und Gasförderung, reagieren. Dem Forschungsteam steht für 4 Jahre ein Budget von US$ 1.8 Millionen zur Verfügung. Offiziell wurde das Ziel des Projektes etwas schwammig als «to map the hearing of baleen whales» definiert. Als Kunde wird The Subcommittee on Ocean Science and Technology (SOST) in den USA aufgeführt. Bei der Internetsuche nach SOST gelangt man auf die Internetseite Obamawhitehouse.archives, wo man darauf hingewiesen wird, dass die Adresse «frozen in time» ist und nicht mehr aktualisiert wird. Eine Nachfrage per Mail bei der als Kontakt angegebenen Stelle wurde nicht beantwortet. Die Behörde für Lebensmittelsicherheit Mattilsynet, die für das Projekt verantwortlich ist, hatte dafür auf seiner Webseite ein Statement zum Projekt veröffentlicht (PolarJournal berichtete vor drei Wochen darüber).

Zwergwale im Nordatlantik sind auch sehr stark auf Fischschwärme aus. Deswegen stehen sie auf der Abschussliste der norwegischen Fischer, die sie auch als «Ratten der Meere» bezeichnen. Umweltorganisationen und Walexperten sehen jedoch den Einfluss von Zwergwalen auf die rückläufigen Fangzahlen als kaum ins Gewicht fallend an. Bild: Ursula Tscherter ORES

Zwergwale haben in Norwegen einen schweren Stand und werden manchmal abwertend als Ratten der Meere bezeichnet. Sie sind aber selbstverständlich – entgegen den Behauptungen der Walfänger – nicht für den Rückgang der weltweiten Fischbestände verantwortlich. Zwergwale sind in der Regel neugierig und nähern sich interessiert den Booten, was sie bspw. in Island zu einem Favoriten bei Walbeobachtungen macht. In Norwegen werden sie immer noch kommerziell gejagt und als kleinste Vertreter der Bartenwale gelten sie für Touristen als nicht besonders attraktiv. Denn, je grösser ein Wal, desto mehr fliegen ihm die Herzen der Touristen zu. Man darf also davon ausgehen, dass diese beiden Gründe ausschlaggebend dafür waren, das Forschungsprojekt ausgerechnet in den norwegischen Lofoten durchzuführen.

Dem Projekt kommt zudem entgegen, dass im Frühsommer die jungen Zwergwale diese Gewässer gerne für ihre Wanderung in die Barentsee benutzen, wo sie ein reichhaltiges Nahrungsangebot finden. Heute wissen wir zwar, dass der Lärm von Sonar und seismischen Untersuchungen den Bartenwalen schadet. Sie verlassen die Gegend, hören auf zu fressen und verändern ihre Art und Weise zu kommunizieren. Um Bartenwale in Zukunft besser vor den oben erwähnten Lärmquellen zu schützen, müssen wir besser verstehen, was Bartenwale hören und wie sie sich verständigen. Dafür – so das Ziel des geplanten Versuches – sind aussagekräftige Forschungsergebnisse notwendig.

Zwergwale sind schnelle und sehr agile Tiere, die sich durchaus auch gegen Angriffe von Räubern wie Orcas zu wehren wissen. Doch in der Regel suchen sie ihr Heil in der Flucht. Bild: Ursula Tscherter ORES

Gemäss der Behörde für Lebensmittelsicherheit soll dieses experimentelle Verfahren eine für die Wale «mässige» Belastung von maximal sechs Stunden haben. Was immer mässig in diesem Zusammenhang heisst. Die Behörde für Lebensmittelsicherheit gesteht denn auch ein, dass «Dies ist ein sehr neues Forschungsprojekt sei…. Audiogramme wurden noch nie zuvor bei Bartenwalen aufgenommen und, noch hat jemand zuvor erfolgreich einen Bartenwal gefangen.» Gleichzeitig klingt es sarkastisch, wenn sich der projektverantwortliche Petter Kvadsheim vom norwegische Verteidigungsforschungsinstitut (FFI) folgendermassen zum Projekt äussert: «Das ist ein Hochrisikoprojekt… für uns, nicht für die Wale!» Was er anspricht, ist die Tatsache, dass Zwergwale durchaus wehrhafte Tiere sind, und nicht abzuschätzen ist, wie sie sich beim Versuch, sie zu fangen, verhalten werden. Das FFI konzentriert sich bei seiner Arbeit insbesondere auf Entwicklungen in Wissenschaft und Militärtechnologie, die einen direkten Einfluss auf die politische Sicherheit und Verteidigungsplanung Norwegens haben. Zusammen mit Dorian Houser von der National Marina Mammal Foundation (NMMF) leitet Petter Kvadsheim die Versuchsreihe an den Zwergwalen. Die NMMF wiederum schreibt auf ihrer Webseite: «Die National Marine Mammal Foundation hat die Mission, das Leben von Meeressäugern, Menschen und unseren gemeinsamen Ozeanen durch Wissenschaft, Dienstleistungen und Bildung zu verbessern und zu schützen.» Inwiefern diese lobenswerte Mission mit dem geplanten Forschungsprojekt vereinbar ist, wird aber von vielen Schutzorganisationen stark hinterfragt. Ausserdem stellt sich einer derart grossen Beteiligung von amerikanischen Partnern die Frage, warum diese Versuche nicht in amerikanischen Gewässern durchgeführt werden? Die Antwort ist so einfach wie erschütternd: Weil es nicht erlaubt wäre!

Zwergwalepopulationen sind durch die fehlende Bejagung während der Walfangzeit stark angestiegen. Von Walfangbefürwortern wird dadurch argumentiert, dass die Jagd so nachhaltig betrieben werden kann. Schutzorganisationen dagegen argumentieren, dass die Jagd antiquiert und unnötig ist, sowohl für die Industrie- wie auch für die Nahrungsproduktion. Bild: Michael Wenger

Gegen Forschung, d.h. systematisch wissenschaftliche Erkenntnisse mit einem konkreten Ziel zu gewinnen, ist selbstverständlich nichts einzuwenden. Auch bzw. gerade im Bereich Meeressäuger. Vor allem wenn es dazu beiträgt, diese faszinierenden Tiere in Zukunft nachhaltig zu schützen. Wichtig ist dabei aber, dass die allg. gültige Richtlinien der Forschung berücksichtigt werden. Wissenschaftliche Integrität ist die Grundlage für eine vertrauenswürdige Wissenschaft und beinhaltet u.a. die Verpflichtung, dass mit den Versuchsteilnehmern – in diesem Fall den Walen – ethisch korrekt umgegangen wird. Die allgemein anerkannten Ethikstandards definieren zudem, dass Ergebnisse nicht verfälscht und/oder zurückgehalten werden. So wird sichergestellt, dass Forschungsdaten durch Dritte überprüft und genutzt werden können. Jede Art von Forschung, insbesondere Tierversuche sollten ethisch reflektiert und gerechtfertigt sein. D.h., die beteiligten Forscher sind in der Pflicht, sorgfältig abzuwägen, ob der zu erwartende Nutzen für den Menschen wichtiger ist als die zu erwartende Belastung für das Tier. Unabhängig davon muss die Belastung für das Tier maximal beschränkt werden. Sind diese beiden Faktoren gegeben, dann kann der Tierversuch als ethisch vertretbar gelten.

Als weiterer Standard muss offengelegt werden, wer der Auftraggeber und die Geldgeber von Forschungsprojekten sind, da sonst die Integrität der Forschenden und die Glaubwürdigkeit der Ergebnisse ihrer Forschungsarbeiten leiden. Im konkreten Fall sind neben der NMMF und FFI u.a. das US Navy Marine Mammal Program, die Universität in Aarhus (Dänemark), und LK Arts Norway am Projekt beteiligt.

Experimente an Bartenwale sind kaum je durchgeführt worden, da die Tiere schwer einzufangen und kaum nach geltenden Richtlinien gehalten werden können. Der Versuch Norwegens hat entsprechend zu einem grossen Aufschrei bei Schutzorganisationen geführt. Bild: Ursula Tscherter ORES

Wenig begeistert von diesen invasiven Versuchsreihen sind norwegische und internationale Tierschutzorganisationen. WDC (Whale & Dolphin Conservation), das Animal Welfare Institute und die norwegische Organisation NOAH bitten ihre Mitglieder, Norwegen dazu aufzufordern, die geplanten Versuche nicht durchzuführen. Dr. Siri Martinsen, Tierärztin bei NOAH weist darauf hin, dass «die Umstände des Experiments einen enormen Stress für die Tiere bedeuten und sogar ihre Gesundheit beeinträchtigen können.» Der Vorschlag, die Wale durch Sedierung zu beruhigen oder in «Notfällen» zu betäuben, stösst auf kein Verständnis. Vanesa Tossenberger, Policy Director bei WDC, warnt: «Es ist wenig über die Sedierung oder Betäubung von wildlebenden Walen bekannt. Die wenigen verfügbaren Daten deuten aber darauf hin, dass die Sedierung von Bartenwalen in freier Wildbahn lebensbedrohlich sein könnte.“ Abgesehen davon ist zu hinterfragen, inwiefern Ergebnisse von derart gestressten Tieren die Ergebnisse nicht verfälschen oder sich auf andere Walarten übertragen lassen.

Dazu kommt, das Experiment auch für andere Tiere Auswirkungen haben wird, da sie sich in den Netzen, die zur Absperrung des Forschungsgebietes dienen, verheddern und ertrinken. Die WDC ist der festen Überzeugung, «dass das Wohlbefinden der Wale in diesem Fall wichtiger als der Forschungsnutzen ist. Daher ist es nicht gerechtfertigt, ein paar Walen zu schaden, selbst wenn man etwas Nützliches für die gesamte Art lernen sollte. Was wir sehr bezweifeln!»

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